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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892.

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Montreal und Quebec.

Noch mehr als durch ihre kirchlichen Bauten glänzt die Stadt
durch die ausserordentlich hohe Zahl von Wohlthätigkeitsanstalten,
wie Spitäler, Asyle u. dgl.

Imponirend ist gleichfalls die grosse Ausbreitung und Frequenz
der Lehranstalten, unter welchen sich nebst zahlreichen Schulen aller
Bildungsrichtungen zwei Universitäten und viele höhere Collegien mit
Facultäten für alle Wissenschaftszweige befinden.

So ausgestattet gebührt Montreal, wo Künste und Wissenschaften
ein gastliches Heim gefunden haben, auch in humanitärer Hinsicht der
erste Rang in der ganzen weiten Dominion of Canada.

Aehnlich wie in vielen Handelsplätzen liegen auch in Montreal
die Wohnquartiere der Geschäftswelt (Residential-Suburbs) ausserhalb
der dem Handel gewidmeten Stadttheile und sind durch imposante
palastähnliche Bauten ausgezeichnet. Unter diesen ist das monumentale
Windsor-Hotel, das an der Nordseite des Dominion-Square gegenüber
der neuen Kathedrale seine vornehme, von einer mächtigen Kuppel
überragte Facade entwickelt, sehenswerth. Die mit fürstlicher Pracht
ausgestatteten Räume desselben haben dem hauptsächlich von Ameri-
kanern aus den Vereinigten Staaten gerne aufgesuchten Gebäude einen
Weltruf verschafft.

Der Dominion-Square ist ein Glanzpunkt von Montreal in archi-
tektonischem Sinne, wie auch in gesellschaftlicher Hinsicht, namentlich
zur Winterszeit, wenn auf seinem Plane in feenhaftem Eispalaste die
Wogen des Frohsinnes hoch aufschäumen. Während des sechs Monate
andauernden Winters zwingt die unerbittliche Macht der Natur, indem
sie Flüsse und Canäle mit starken Eisdecken überzieht, den Handel
zum Stillstande. Die rührige Stadtbevölkerung geniesst dann die
ihr aufgedrungene Ruhepause in Lust und Freude. Namentlich der
Carneval bringt, wie etwa in Rom und Venedig oder in den La Plata-
Städten, grossartige Lustbarkeiten. Allein so viel Vergnügungen der
Winter auch zuführen mag, er ist doch wie ein Fluch, der auf der
schönen Stadt wie auf ganz Canada schwer lastet.

Montreal steht an der Grenze des französischen und des englischen
Canadas. Wohl bilden die Franzosen noch mehr als die Hälfte der
Bevölkerung von Montreal, die für den Jänner 1888 auf 200.000 Seelen
geschätzt wurde. Aber die Vorherrschaft im Handel besitzen die Eng-
länder; ihre Sprache ist die Geschäftssprache. Der am Fusse des
"Mount Royal" gelegene untere Stadttheil, das alte Hafenviertel, ist
französisch; an den Terrassen aufwärts liegt das grossstädtische, das
angelsächsische Montreal, dort wohnen die Engländer und Schotten,

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Montreal und Quebec.

Noch mehr als durch ihre kirchlichen Bauten glänzt die Stadt
durch die ausserordentlich hohe Zahl von Wohlthätigkeitsanstalten,
wie Spitäler, Asyle u. dgl.

Imponirend ist gleichfalls die grosse Ausbreitung und Frequenz
der Lehranstalten, unter welchen sich nebst zahlreichen Schulen aller
Bildungsrichtungen zwei Universitäten und viele höhere Collegien mit
Facultäten für alle Wissenschaftszweige befinden.

So ausgestattet gebührt Montreal, wo Künste und Wissenschaften
ein gastliches Heim gefunden haben, auch in humanitärer Hinsicht der
erste Rang in der ganzen weiten Dominion of Canada.

Aehnlich wie in vielen Handelsplätzen liegen auch in Montreal
die Wohnquartiere der Geschäftswelt (Residential-Suburbs) ausserhalb
der dem Handel gewidmeten Stadttheile und sind durch imposante
palastähnliche Bauten ausgezeichnet. Unter diesen ist das monumentale
Windsor-Hotel, das an der Nordseite des Dominion-Square gegenüber
der neuen Kathedrale seine vornehme, von einer mächtigen Kuppel
überragte Façade entwickelt, sehenswerth. Die mit fürstlicher Pracht
ausgestatteten Räume desselben haben dem hauptsächlich von Ameri-
kanern aus den Vereinigten Staaten gerne aufgesuchten Gebäude einen
Weltruf verschafft.

Der Dominion-Square ist ein Glanzpunkt von Montreal in archi-
tektonischem Sinne, wie auch in gesellschaftlicher Hinsicht, namentlich
zur Winterszeit, wenn auf seinem Plane in feenhaftem Eispalaste die
Wogen des Frohsinnes hoch aufschäumen. Während des sechs Monate
andauernden Winters zwingt die unerbittliche Macht der Natur, indem
sie Flüsse und Canäle mit starken Eisdecken überzieht, den Handel
zum Stillstande. Die rührige Stadtbevölkerung geniesst dann die
ihr aufgedrungene Ruhepause in Lust und Freude. Namentlich der
Carneval bringt, wie etwa in Rom und Venedig oder in den La Plata-
Städten, grossartige Lustbarkeiten. Allein so viel Vergnügungen der
Winter auch zuführen mag, er ist doch wie ein Fluch, der auf der
schönen Stadt wie auf ganz Canada schwer lastet.

Montreal steht an der Grenze des französischen und des englischen
Canadas. Wohl bilden die Franzosen noch mehr als die Hälfte der
Bevölkerung von Montreal, die für den Jänner 1888 auf 200.000 Seelen
geschätzt wurde. Aber die Vorherrschaft im Handel besitzen die Eng-
länder; ihre Sprache ist die Geschäftssprache. Der am Fusse des
„Mount Royal“ gelegene untere Stadttheil, das alte Hafenviertel, ist
französisch; an den Terrassen aufwärts liegt das grossstädtische, das
angelsächsische Montreal, dort wohnen die Engländer und Schotten,

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[11/0027] Montreal und Quebec. Noch mehr als durch ihre kirchlichen Bauten glänzt die Stadt durch die ausserordentlich hohe Zahl von Wohlthätigkeitsanstalten, wie Spitäler, Asyle u. dgl. Imponirend ist gleichfalls die grosse Ausbreitung und Frequenz der Lehranstalten, unter welchen sich nebst zahlreichen Schulen aller Bildungsrichtungen zwei Universitäten und viele höhere Collegien mit Facultäten für alle Wissenschaftszweige befinden. So ausgestattet gebührt Montreal, wo Künste und Wissenschaften ein gastliches Heim gefunden haben, auch in humanitärer Hinsicht der erste Rang in der ganzen weiten Dominion of Canada. Aehnlich wie in vielen Handelsplätzen liegen auch in Montreal die Wohnquartiere der Geschäftswelt (Residential-Suburbs) ausserhalb der dem Handel gewidmeten Stadttheile und sind durch imposante palastähnliche Bauten ausgezeichnet. Unter diesen ist das monumentale Windsor-Hotel, das an der Nordseite des Dominion-Square gegenüber der neuen Kathedrale seine vornehme, von einer mächtigen Kuppel überragte Façade entwickelt, sehenswerth. Die mit fürstlicher Pracht ausgestatteten Räume desselben haben dem hauptsächlich von Ameri- kanern aus den Vereinigten Staaten gerne aufgesuchten Gebäude einen Weltruf verschafft. Der Dominion-Square ist ein Glanzpunkt von Montreal in archi- tektonischem Sinne, wie auch in gesellschaftlicher Hinsicht, namentlich zur Winterszeit, wenn auf seinem Plane in feenhaftem Eispalaste die Wogen des Frohsinnes hoch aufschäumen. Während des sechs Monate andauernden Winters zwingt die unerbittliche Macht der Natur, indem sie Flüsse und Canäle mit starken Eisdecken überzieht, den Handel zum Stillstande. Die rührige Stadtbevölkerung geniesst dann die ihr aufgedrungene Ruhepause in Lust und Freude. Namentlich der Carneval bringt, wie etwa in Rom und Venedig oder in den La Plata- Städten, grossartige Lustbarkeiten. Allein so viel Vergnügungen der Winter auch zuführen mag, er ist doch wie ein Fluch, der auf der schönen Stadt wie auf ganz Canada schwer lastet. Montreal steht an der Grenze des französischen und des englischen Canadas. Wohl bilden die Franzosen noch mehr als die Hälfte der Bevölkerung von Montreal, die für den Jänner 1888 auf 200.000 Seelen geschätzt wurde. Aber die Vorherrschaft im Handel besitzen die Eng- länder; ihre Sprache ist die Geschäftssprache. Der am Fusse des „Mount Royal“ gelegene untere Stadttheil, das alte Hafenviertel, ist französisch; an den Terrassen aufwärts liegt das grossstädtische, das angelsächsische Montreal, dort wohnen die Engländer und Schotten, 2*

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Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen02_1892/27>, abgerufen am 24.04.2024.