anzulegen sind und die schmutzigen Wässer in offenen Rinnsalen dem Meere zufliessen, sowie die grässliche Plage der Mosquitos werden Jedem unvergesslich sein, der sich genöthigt sah, innerhalb der Mauern von Vera-Cruz ein nahezu vereinsamtes Dasein zu führen.
Kaum bringt die Winterszeit, zu welcher nur in seltenen Fällen die Temperatur unter + 15°C. herabsinkt, dauernde Erlösung aus dem lethargischen Dahinleben, in welchem die vor einer Kaffee- oder Trinkhalle bei den seltsamsten Gemischen von mit Eis versetzten Ge- tränken verbrachten Abendstunden nur durch eine kurze Weile über die unter der Sonnenglut dahingelebte Zeit hinwegtäuschen.
Die Zeit der Geschäfte ist der Morgen. Kaum graut der Tag, so recken die auf allen Gesimsen der Gebäude und auf den Thürmen der Kirchen zu tausenden nistenden Aasgeier ihre Gefieder und erheben ihr heiseres Gekrächze, indem sie die Kehrichtwägen verfolgen, welche ihren unsauberen Inhalt weitab von der Stadt, an die von der fort- währenden Brandung heimgesuchten sandigen Ufer führen.
Diese Aasgeier, Zopilotes, sind eine ganz eigene Species und ein Charakteristicum der Stadt, und so unheimlich ihr Gekrächze, so unangenehm ihr Parfüm, wenn die unscheuen Thiere den Passanten mit ihrem Flügelschlage zufällig Kühlung zuwehen, müssen sie in ge- wissem Sinne als Strassenreiniger betrachtet werden, indem die ver- faulenden Abfälle doch grösstentheils ihrer Gefrässigkeit zum Opfer fallen.
So ein nächtlicher oder früher Morgengang gewährt überhaupt dem Fremdling im Lande manche Ueberraschungen, denn mitten im Lande, ja sogar im Gebiete der Stadt begegnet man unheimlichen Krabbenthieren, welche Crustaceen nicht nur in dem sandigen Terrain ringsum, sondern meilenweite Strecken landeinwärts auch dort, wo undurchdringliches Gestrüppe und reiche üppige Tropenvegetation den Boden zieren, ihren Aufenthalt haben und sogar die Bäume erklettern und bevölkern.
Kaum ein anderes Land der Erde ist wie die Tierra caliente, der Küstenstrich am Golfe, so reich an Formen und Farben allerhand Ungethiers. Auch die Nutzthiere in den Haziendas, welche fast wild aufwachsen, das Pferd, der kleine aber kräftige Stier, das Maulthier, die Hühnerarten zeigen ihr eigenthümliches Gepräge, und der Nimrod, welcher die Strapazen nicht scheut, die spärlich bewohnte Gegend unter manchen Gefahren zu durchkreuzen, der Zoologe, können ein reicheres Terrain nach Jagd oder Forschung kaum anderswo finden.
Die geringe Inanspruchnahme der Gaben des Landes lässt Alles
Die atlantische Küste von Amerika.
anzulegen sind und die schmutzigen Wässer in offenen Rinnsalen dem Meere zufliessen, sowie die grässliche Plage der Mosquitos werden Jedem unvergesslich sein, der sich genöthigt sah, innerhalb der Mauern von Vera-Cruz ein nahezu vereinsamtes Dasein zu führen.
Kaum bringt die Winterszeit, zu welcher nur in seltenen Fällen die Temperatur unter + 15°C. herabsinkt, dauernde Erlösung aus dem lethargischen Dahinleben, in welchem die vor einer Kaffee- oder Trinkhalle bei den seltsamsten Gemischen von mit Eis versetzten Ge- tränken verbrachten Abendstunden nur durch eine kurze Weile über die unter der Sonnenglut dahingelebte Zeit hinwegtäuschen.
Die Zeit der Geschäfte ist der Morgen. Kaum graut der Tag, so recken die auf allen Gesimsen der Gebäude und auf den Thürmen der Kirchen zu tausenden nistenden Aasgeier ihre Gefieder und erheben ihr heiseres Gekrächze, indem sie die Kehrichtwägen verfolgen, welche ihren unsauberen Inhalt weitab von der Stadt, an die von der fort- währenden Brandung heimgesuchten sandigen Ufer führen.
Diese Aasgeier, Zopilotes, sind eine ganz eigene Species und ein Charakteristicum der Stadt, und so unheimlich ihr Gekrächze, so unangenehm ihr Parfüm, wenn die unscheuen Thiere den Passanten mit ihrem Flügelschlage zufällig Kühlung zuwehen, müssen sie in ge- wissem Sinne als Strassenreiniger betrachtet werden, indem die ver- faulenden Abfälle doch grösstentheils ihrer Gefrässigkeit zum Opfer fallen.
So ein nächtlicher oder früher Morgengang gewährt überhaupt dem Fremdling im Lande manche Ueberraschungen, denn mitten im Lande, ja sogar im Gebiete der Stadt begegnet man unheimlichen Krabbenthieren, welche Crustaceen nicht nur in dem sandigen Terrain ringsum, sondern meilenweite Strecken landeinwärts auch dort, wo undurchdringliches Gestrüppe und reiche üppige Tropenvegetation den Boden zieren, ihren Aufenthalt haben und sogar die Bäume erklettern und bevölkern.
Kaum ein anderes Land der Erde ist wie die Tierra caliente, der Küstenstrich am Golfe, so reich an Formen und Farben allerhand Ungethiers. Auch die Nutzthiere in den Haziendas, welche fast wild aufwachsen, das Pferd, der kleine aber kräftige Stier, das Maulthier, die Hühnerarten zeigen ihr eigenthümliches Gepräge, und der Nimrod, welcher die Strapazen nicht scheut, die spärlich bewohnte Gegend unter manchen Gefahren zu durchkreuzen, der Zoologe, können ein reicheres Terrain nach Jagd oder Forschung kaum anderswo finden.
Die geringe Inanspruchnahme der Gaben des Landes lässt Alles
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Die atlantische Küste von Amerika.
anzulegen sind und die schmutzigen Wässer in offenen Rinnsalen dem
Meere zufliessen, sowie die grässliche Plage der Mosquitos werden
Jedem unvergesslich sein, der sich genöthigt sah, innerhalb der Mauern
von Vera-Cruz ein nahezu vereinsamtes Dasein zu führen.
Kaum bringt die Winterszeit, zu welcher nur in seltenen Fällen
die Temperatur unter + 15°C. herabsinkt, dauernde Erlösung aus
dem lethargischen Dahinleben, in welchem die vor einer Kaffee- oder
Trinkhalle bei den seltsamsten Gemischen von mit Eis versetzten Ge-
tränken verbrachten Abendstunden nur durch eine kurze Weile über
die unter der Sonnenglut dahingelebte Zeit hinwegtäuschen.
Die Zeit der Geschäfte ist der Morgen. Kaum graut der Tag, so
recken die auf allen Gesimsen der Gebäude und auf den Thürmen
der Kirchen zu tausenden nistenden Aasgeier ihre Gefieder und erheben
ihr heiseres Gekrächze, indem sie die Kehrichtwägen verfolgen, welche
ihren unsauberen Inhalt weitab von der Stadt, an die von der fort-
währenden Brandung heimgesuchten sandigen Ufer führen.
Diese Aasgeier, Zopilotes, sind eine ganz eigene Species und
ein Charakteristicum der Stadt, und so unheimlich ihr Gekrächze, so
unangenehm ihr Parfüm, wenn die unscheuen Thiere den Passanten
mit ihrem Flügelschlage zufällig Kühlung zuwehen, müssen sie in ge-
wissem Sinne als Strassenreiniger betrachtet werden, indem die ver-
faulenden Abfälle doch grösstentheils ihrer Gefrässigkeit zum Opfer
fallen.
So ein nächtlicher oder früher Morgengang gewährt überhaupt
dem Fremdling im Lande manche Ueberraschungen, denn mitten im
Lande, ja sogar im Gebiete der Stadt begegnet man unheimlichen
Krabbenthieren, welche Crustaceen nicht nur in dem sandigen Terrain
ringsum, sondern meilenweite Strecken landeinwärts auch dort, wo
undurchdringliches Gestrüppe und reiche üppige Tropenvegetation den
Boden zieren, ihren Aufenthalt haben und sogar die Bäume erklettern
und bevölkern.
Kaum ein anderes Land der Erde ist wie die Tierra caliente,
der Küstenstrich am Golfe, so reich an Formen und Farben allerhand
Ungethiers. Auch die Nutzthiere in den Haziendas, welche fast wild
aufwachsen, das Pferd, der kleine aber kräftige Stier, das Maulthier,
die Hühnerarten zeigen ihr eigenthümliches Gepräge, und der Nimrod,
welcher die Strapazen nicht scheut, die spärlich bewohnte Gegend
unter manchen Gefahren zu durchkreuzen, der Zoologe, können ein
reicheres Terrain nach Jagd oder Forschung kaum anderswo finden.
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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen02_1892/178>, abgerufen am 22.11.2024.
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