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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892.

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Vera-Cruz.
von Orizaba als dunklen Kegel gegen die See projiciren -- ein un-
trügliches Wahrzeichen für die zu steuernde Richtung und oft der
erste Gruss aus dem noch 200 Seemeilen entfernten Lande.

Noch grossartiger ist die Wirkung auf den Beschauenden, wenn
an klaren Morgen der 5450 m hohe Bergriese sein von der auf-
gehenden Sonne beschienenes spitzes schneebedecktes Haupt hoch über
Nebel und Gewölke erhebt. Man wähnt den seit langer Zeit erloschenen
Vulcan in allen seinen Details greifen zu können, und doch sind es
noch 80 Seemeilen von der Küste landeinwärts bis zu dessen Fuss,
auf welcher Strecke die verzehrende Glut der Tropen nur allmälig
einer gemässigten Temperatur weicht.

Es können jedoch Wochen und Monate vergehen, bevor man den
Anblick eines dieser beiden Bilder geniessen kann, denn so regelmässig
der Passat -- die grösste Wohlthat und einzige Kühlung -- hier
weht, so regelmässig erfüllen die von ihm mitgetragenen schweren
Dünste die Atmosphäre, insbesondere zur Morgen- und Abendzeit.

Der Pulsschlag der Natur ist kein reger; die nur um Geringes
schwankende Gleichheit von Tag- und Nachtlänge, das gleichmässige
Klima, welches nur eine nasse und eine trockene Jahreszeit aufweist,
die fast öde Küste mit ihren monotonen leichten Sandhügeln wirken
um so deprimirender auf den Bewohner der Seestadt, als die ganze
Küste insbesondere in den heissen Jahreszeiten vom gelben Fieber
heimgesucht ist.

Vera-Cruz kann daher nur eine vorübergehende Anziehungskraft
auf jene Fremden üben, welche für die Gefahren und Entbehrungen
denen sie ausgesetzt sind, reichen Lohn zu finden hoffen.

Vera-Cruz besitzt, wie aus unserem Plane zu ersehen, keinen
Hafen, nur eine schlechte Rhede; zahllose, zu ganzen Bänken ver-
einigte Riffe, welche hier vor der Küste lagern, dienen jedoch als
Wellenbrecher gegen den durch den Passatwind erzeugten hohen See-
gang, der hier aus Südost und Süd weht; aber sie schützen die
Rhede nur unvollkommen vor den schweren Wogen der "Nortes",
Nordstürme des Winters.

Allein es fehlt alles rege Leben auf dieser Rhede, und all
die Dampfer, welche Vera-Cruz berühren und den directen Verkehr
mit den Vereinigten Staaten, den Antillen, England und Deutschland
vermitteln, wie auch die Segler nehmen ihren Ankerplatz zwischen
der Stadt und dem auf einer kleinen Insel gelegenen Fort Ulloa nur
so lange ein, als dies die Abwicklung der Post- und Handelsgeschäfte
erfordert. Schiffe aber, die zu längerem Aufenthalte vor Vera-Cruz

Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 20

Vera-Cruz.
von Orizaba als dunklen Kegel gegen die See projiciren — ein un-
trügliches Wahrzeichen für die zu steuernde Richtung und oft der
erste Gruss aus dem noch 200 Seemeilen entfernten Lande.

Noch grossartiger ist die Wirkung auf den Beschauenden, wenn
an klaren Morgen der 5450 m hohe Bergriese sein von der auf-
gehenden Sonne beschienenes spitzes schneebedecktes Haupt hoch über
Nebel und Gewölke erhebt. Man wähnt den seit langer Zeit erloschenen
Vulcan in allen seinen Details greifen zu können, und doch sind es
noch 80 Seemeilen von der Küste landeinwärts bis zu dessen Fuss,
auf welcher Strecke die verzehrende Glut der Tropen nur allmälig
einer gemässigten Temperatur weicht.

Es können jedoch Wochen und Monate vergehen, bevor man den
Anblick eines dieser beiden Bilder geniessen kann, denn so regelmässig
der Passat — die grösste Wohlthat und einzige Kühlung — hier
weht, so regelmässig erfüllen die von ihm mitgetragenen schweren
Dünste die Atmosphäre, insbesondere zur Morgen- und Abendzeit.

Der Pulsschlag der Natur ist kein reger; die nur um Geringes
schwankende Gleichheit von Tag- und Nachtlänge, das gleichmässige
Klima, welches nur eine nasse und eine trockene Jahreszeit aufweist,
die fast öde Küste mit ihren monotonen leichten Sandhügeln wirken
um so deprimirender auf den Bewohner der Seestadt, als die ganze
Küste insbesondere in den heissen Jahreszeiten vom gelben Fieber
heimgesucht ist.

Vera-Cruz kann daher nur eine vorübergehende Anziehungskraft
auf jene Fremden üben, welche für die Gefahren und Entbehrungen
denen sie ausgesetzt sind, reichen Lohn zu finden hoffen.

Vera-Cruz besitzt, wie aus unserem Plane zu ersehen, keinen
Hafen, nur eine schlechte Rhede; zahllose, zu ganzen Bänken ver-
einigte Riffe, welche hier vor der Küste lagern, dienen jedoch als
Wellenbrecher gegen den durch den Passatwind erzeugten hohen See-
gang, der hier aus Südost und Süd weht; aber sie schützen die
Rhede nur unvollkommen vor den schweren Wogen der „Nortes“,
Nordstürme des Winters.

Allein es fehlt alles rege Leben auf dieser Rhede, und all
die Dampfer, welche Vera-Cruz berühren und den directen Verkehr
mit den Vereinigten Staaten, den Antillen, England und Deutschland
vermitteln, wie auch die Segler nehmen ihren Ankerplatz zwischen
der Stadt und dem auf einer kleinen Insel gelegenen Fort Ulloa nur
so lange ein, als dies die Abwicklung der Post- und Handelsgeschäfte
erfordert. Schiffe aber, die zu längerem Aufenthalte vor Vera-Cruz

Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 20
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[153/0169] Vera-Cruz. von Orizaba als dunklen Kegel gegen die See projiciren — ein un- trügliches Wahrzeichen für die zu steuernde Richtung und oft der erste Gruss aus dem noch 200 Seemeilen entfernten Lande. Noch grossartiger ist die Wirkung auf den Beschauenden, wenn an klaren Morgen der 5450 m hohe Bergriese sein von der auf- gehenden Sonne beschienenes spitzes schneebedecktes Haupt hoch über Nebel und Gewölke erhebt. Man wähnt den seit langer Zeit erloschenen Vulcan in allen seinen Details greifen zu können, und doch sind es noch 80 Seemeilen von der Küste landeinwärts bis zu dessen Fuss, auf welcher Strecke die verzehrende Glut der Tropen nur allmälig einer gemässigten Temperatur weicht. Es können jedoch Wochen und Monate vergehen, bevor man den Anblick eines dieser beiden Bilder geniessen kann, denn so regelmässig der Passat — die grösste Wohlthat und einzige Kühlung — hier weht, so regelmässig erfüllen die von ihm mitgetragenen schweren Dünste die Atmosphäre, insbesondere zur Morgen- und Abendzeit. Der Pulsschlag der Natur ist kein reger; die nur um Geringes schwankende Gleichheit von Tag- und Nachtlänge, das gleichmässige Klima, welches nur eine nasse und eine trockene Jahreszeit aufweist, die fast öde Küste mit ihren monotonen leichten Sandhügeln wirken um so deprimirender auf den Bewohner der Seestadt, als die ganze Küste insbesondere in den heissen Jahreszeiten vom gelben Fieber heimgesucht ist. Vera-Cruz kann daher nur eine vorübergehende Anziehungskraft auf jene Fremden üben, welche für die Gefahren und Entbehrungen denen sie ausgesetzt sind, reichen Lohn zu finden hoffen. Vera-Cruz besitzt, wie aus unserem Plane zu ersehen, keinen Hafen, nur eine schlechte Rhede; zahllose, zu ganzen Bänken ver- einigte Riffe, welche hier vor der Küste lagern, dienen jedoch als Wellenbrecher gegen den durch den Passatwind erzeugten hohen See- gang, der hier aus Südost und Süd weht; aber sie schützen die Rhede nur unvollkommen vor den schweren Wogen der „Nortes“, Nordstürme des Winters. Allein es fehlt alles rege Leben auf dieser Rhede, und all die Dampfer, welche Vera-Cruz berühren und den directen Verkehr mit den Vereinigten Staaten, den Antillen, England und Deutschland vermitteln, wie auch die Segler nehmen ihren Ankerplatz zwischen der Stadt und dem auf einer kleinen Insel gelegenen Fort Ulloa nur so lange ein, als dies die Abwicklung der Post- und Handelsgeschäfte erfordert. Schiffe aber, die zu längerem Aufenthalte vor Vera-Cruz Die Seehäfen des Weltverkehrs. II. Band. 20

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Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen02_1892/169>, abgerufen am 25.11.2024.