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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891.

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Das Mittelmeerbecken.

Das alte römische Amphitheater deckt vielleicht den Schutt des
Stadium, in welchem der Sage nach die Eumeniden an den hart-
herzigen Mördern des Ibykos Rache übten.

Dagegen kann die berühmte Isthmos-Mauer, das grossartige Vor-
werk, mit dem die antike Kriegskunst den ganzen Isthmus abschloss,
wiewohl an einzelnen Strecken kaum über den Boden reichend, noch
gut erkannt werden. In Osten schliesst sich an diese Befestigung die
Umfassungsmauer der alten isthmischen Heiligthümer an, in welcher
jetzt eine dem heiligen Johannes geweihte Kapelle steht.

Nördlich davon sind noch Ueberreste der antiken Schleifbahn
(Diolkos) erkennbar.

Von durchaus actuellem Interesse stellt sich hingegen der seiner
Vollendung entgegensehende Canal von Korinth uns dar. Wir haben
oben angedeutet, wie der Gedanke, den Isthmus zu durchstechen, seit
dem Alterthume als ein Vermächtniss von Generation zu Generation
fortlebte, ohne dass seine Verwirklichung erreicht worden wäre.

Was aber selbst dem Machtworte von Herrschern spottete, die
über ganze Sclavenheere verfügten, das kann das associirte Capital
der Neuzeit allerdings unter Mitwirkung der hochentwickelten tech-
nischen Hilfsmittel zuwege bringen, und mit Recht wird die Gegen-
wart die Vollendung der neuen Wasserstrasse hoffentlich bald als
einen ihrer grossen Triumphe feiern dürfen.

Die Vortheile des Canales für den Seeverkehr nach der Levante
liegen auf der Hand. Für die adriatischen Häfen werden auf dem
neuen Wege die levantinischen Emporien um rund 140 Seemeilen und
für das westliche Mittelmeer noch immer um 90 Meilen näher ge-
rückt. Ausser der Kürzung des Weges erwächst aber noch der weitere
Vortheil, dass die Umschiffung von Morea, die namentlich im Winter
der stürmischen Witterung wegen nicht nur beschwerlich, sondern für
kleine Schiffe auch gefährlich ist, mit einer navigableren Route ver-
tauscht werden kann.

Die Vorgeschichte des neuen Canales reicht in das Jahr 1870
zurück. Am 28. Jänner des genannten Jahres schloss die griechische
Regierung mit den Banquiers Piatt und Chollet eine Convention, be-
treffend den Durchstich des Isthmus, ab, wonach die Arbeiten in 18
Monaten begonnen und in 10 Jahren bei einem Kostenaufwande von
20 Millionen Francs durchgeführt werden sollten. Die Länge des Ca-
nales war dem Plane gemäss auf 6120 m bei einer oberen Breite von
42, der Sohlenbreite von 32 m und 6·5 m geringster Wassertiefe be-
messen. Den höchsten Terraineinschnitt berechnete man auf 60 m für

Das Mittelmeerbecken.

Das alte römische Amphitheater deckt vielleicht den Schutt des
Stadium, in welchem der Sage nach die Eumeniden an den hart-
herzigen Mördern des Ibykos Rache übten.

Dagegen kann die berühmte Isthmos-Mauer, das grossartige Vor-
werk, mit dem die antike Kriegskunst den ganzen Isthmus abschloss,
wiewohl an einzelnen Strecken kaum über den Boden reichend, noch
gut erkannt werden. In Osten schliesst sich an diese Befestigung die
Umfassungsmauer der alten isthmischen Heiligthümer an, in welcher
jetzt eine dem heiligen Johannes geweihte Kapelle steht.

Nördlich davon sind noch Ueberreste der antiken Schleifbahn
(Diolkos) erkennbar.

Von durchaus actuellem Interesse stellt sich hingegen der seiner
Vollendung entgegensehende Canal von Korinth uns dar. Wir haben
oben angedeutet, wie der Gedanke, den Isthmus zu durchstechen, seit
dem Alterthume als ein Vermächtniss von Generation zu Generation
fortlebte, ohne dass seine Verwirklichung erreicht worden wäre.

Was aber selbst dem Machtworte von Herrschern spottete, die
über ganze Sclavenheere verfügten, das kann das associirte Capital
der Neuzeit allerdings unter Mitwirkung der hochentwickelten tech-
nischen Hilfsmittel zuwege bringen, und mit Recht wird die Gegen-
wart die Vollendung der neuen Wasserstrasse hoffentlich bald als
einen ihrer grossen Triumphe feiern dürfen.

Die Vortheile des Canales für den Seeverkehr nach der Levante
liegen auf der Hand. Für die adriatischen Häfen werden auf dem
neuen Wege die levantinischen Emporien um rund 140 Seemeilen und
für das westliche Mittelmeer noch immer um 90 Meilen näher ge-
rückt. Ausser der Kürzung des Weges erwächst aber noch der weitere
Vortheil, dass die Umschiffung von Morea, die namentlich im Winter
der stürmischen Witterung wegen nicht nur beschwerlich, sondern für
kleine Schiffe auch gefährlich ist, mit einer navigableren Route ver-
tauscht werden kann.

Die Vorgeschichte des neuen Canales reicht in das Jahr 1870
zurück. Am 28. Jänner des genannten Jahres schloss die griechische
Regierung mit den Banquiers Piatt und Chollet eine Convention, be-
treffend den Durchstich des Isthmus, ab, wonach die Arbeiten in 18
Monaten begonnen und in 10 Jahren bei einem Kostenaufwande von
20 Millionen Francs durchgeführt werden sollten. Die Länge des Ca-
nales war dem Plane gemäss auf 6120 m bei einer oberen Breite von
42, der Sohlenbreite von 32 m und 6·5 m geringster Wassertiefe be-
messen. Den höchsten Terraineinschnitt berechnete man auf 60 m für

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[76/0096] Das Mittelmeerbecken. Das alte römische Amphitheater deckt vielleicht den Schutt des Stadium, in welchem der Sage nach die Eumeniden an den hart- herzigen Mördern des Ibykos Rache übten. Dagegen kann die berühmte Isthmos-Mauer, das grossartige Vor- werk, mit dem die antike Kriegskunst den ganzen Isthmus abschloss, wiewohl an einzelnen Strecken kaum über den Boden reichend, noch gut erkannt werden. In Osten schliesst sich an diese Befestigung die Umfassungsmauer der alten isthmischen Heiligthümer an, in welcher jetzt eine dem heiligen Johannes geweihte Kapelle steht. Nördlich davon sind noch Ueberreste der antiken Schleifbahn (Diolkos) erkennbar. Von durchaus actuellem Interesse stellt sich hingegen der seiner Vollendung entgegensehende Canal von Korinth uns dar. Wir haben oben angedeutet, wie der Gedanke, den Isthmus zu durchstechen, seit dem Alterthume als ein Vermächtniss von Generation zu Generation fortlebte, ohne dass seine Verwirklichung erreicht worden wäre. Was aber selbst dem Machtworte von Herrschern spottete, die über ganze Sclavenheere verfügten, das kann das associirte Capital der Neuzeit allerdings unter Mitwirkung der hochentwickelten tech- nischen Hilfsmittel zuwege bringen, und mit Recht wird die Gegen- wart die Vollendung der neuen Wasserstrasse hoffentlich bald als einen ihrer grossen Triumphe feiern dürfen. Die Vortheile des Canales für den Seeverkehr nach der Levante liegen auf der Hand. Für die adriatischen Häfen werden auf dem neuen Wege die levantinischen Emporien um rund 140 Seemeilen und für das westliche Mittelmeer noch immer um 90 Meilen näher ge- rückt. Ausser der Kürzung des Weges erwächst aber noch der weitere Vortheil, dass die Umschiffung von Morea, die namentlich im Winter der stürmischen Witterung wegen nicht nur beschwerlich, sondern für kleine Schiffe auch gefährlich ist, mit einer navigableren Route ver- tauscht werden kann. Die Vorgeschichte des neuen Canales reicht in das Jahr 1870 zurück. Am 28. Jänner des genannten Jahres schloss die griechische Regierung mit den Banquiers Piatt und Chollet eine Convention, be- treffend den Durchstich des Isthmus, ab, wonach die Arbeiten in 18 Monaten begonnen und in 10 Jahren bei einem Kostenaufwande von 20 Millionen Francs durchgeführt werden sollten. Die Länge des Ca- nales war dem Plane gemäss auf 6120 m bei einer oberen Breite von 42, der Sohlenbreite von 32 m und 6·5 m geringster Wassertiefe be- messen. Den höchsten Terraineinschnitt berechnete man auf 60 m für

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Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen01_1891/96>, abgerufen am 08.05.2024.