Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891.London. pfindet vielleicht am besten die ungeheure Bedeutung von London.-- Unterhalb London-Bridge steht am linken Ufer das Zollamt und flussabwärts folgt bald ein anderes berühmtes Wahrzeichen der Stadt, der altersgraue Tower. Wir haben schon an einer früheren Stelle erwähnt, dass bereits Wilhelm der Eroberer den weissen Tower bauen liess, zur Sicherung seiner Verbindung auf der Themse und auch als Zwingburg gegen die Bürger von London, denen der Nor- manne doch kein rechtes Vertrauen entgegenbrachte, wenn er auch ihre städtischen Freiheiten bestätigt hatte. Um den weissen Tower herum wurde dann allmälig im Laufe des Mittelalters eine Reihe von starken Werken mit vielen Thürmen angelegt, welche im Ganzen die Form eines unregelmässigen Fünfeckes zeigen und mit einem breiten Graben nach aussen versehen waren. Heute dient der Tower theils als Arsenal, theils als Sammelstelle verschiedener historischer Denk- würdigkeiten, auch garnisonirt in demselben ein Theil der königlichen Fussgarden; einstens aber war der Tower ein fester Stützpunkt der königlichen Macht und zugleich das düstere Staatsgefängniss, in dem sich manche Tragödie der englischen Geschichte abspielte. Im Tower wurden die jugendlichen Söhne Eduard's IV. auf Befehl Richard's von York, des nachherigen Richard III. erwürgt; im Tower verbrachte Königin Elisabeth ihre Jugendjahre, gefangengehalten durch ihre Stief- schwester Maria; hier wurde Eduard's IV. Bruder, der Herzog von Clarence, in einem Fass Malvasier ersäuft, welche Todesart er selbst sich erwählen durfte; ebenso fand König Heinrich VI. daselbst seinen Tod. Im Tower sass König Johann von Frankreich lange gefangen, wurde Lord Strafford enthauptet, welcher König Karl I. in den Con- flict mit dem Parlamente gebracht hatte und von jenem der Bestra- fung durch das Parlament überlassen werden musste, und so liesse sich noch eine lange Reihe von Persönlichkeiten aufzählen, die ein trauriges, wenn auch nicht immer unverschuldetes Geschick mit dieser Burg in Verbindung brachte. Düster und unheimlich sind die Ein- drücke, welche man beim Besuche des Tower sammelt, und es thut der Gegensatz fast wohl, welchen die nächste Umgebung dieser Feste darbietet, allwo überall das friedliche Treiben der Gegenwart zum Ausdrucke gelangt. So steht nördlich vom Tower Trinityhouse und das Gebäude der königlichen Münze, östlich desselben beginnt mit den St. Katharines Docks die Reihe der grossartigen Dockanlagen im Londoner Hafen. Trinityhouse beherbergt auch eine eigenthümliche britische 118*
London. pfindet vielleicht am besten die ungeheure Bedeutung von London.— Unterhalb London-Bridge steht am linken Ufer das Zollamt und flussabwärts folgt bald ein anderes berühmtes Wahrzeichen der Stadt, der altersgraue Tower. Wir haben schon an einer früheren Stelle erwähnt, dass bereits Wilhelm der Eroberer den weissen Tower bauen liess, zur Sicherung seiner Verbindung auf der Themse und auch als Zwingburg gegen die Bürger von London, denen der Nor- manne doch kein rechtes Vertrauen entgegenbrachte, wenn er auch ihre städtischen Freiheiten bestätigt hatte. Um den weissen Tower herum wurde dann allmälig im Laufe des Mittelalters eine Reihe von starken Werken mit vielen Thürmen angelegt, welche im Ganzen die Form eines unregelmässigen Fünfeckes zeigen und mit einem breiten Graben nach aussen versehen waren. Heute dient der Tower theils als Arsenal, theils als Sammelstelle verschiedener historischer Denk- würdigkeiten, auch garnisonirt in demselben ein Theil der königlichen Fussgarden; einstens aber war der Tower ein fester Stützpunkt der königlichen Macht und zugleich das düstere Staatsgefängniss, in dem sich manche Tragödie der englischen Geschichte abspielte. Im Tower wurden die jugendlichen Söhne Eduard’s IV. auf Befehl Richard’s von York, des nachherigen Richard III. erwürgt; im Tower verbrachte Königin Elisabeth ihre Jugendjahre, gefangengehalten durch ihre Stief- schwester Maria; hier wurde Eduard’s IV. Bruder, der Herzog von Clarence, in einem Fass Malvasier ersäuft, welche Todesart er selbst sich erwählen durfte; ebenso fand König Heinrich VI. daselbst seinen Tod. Im Tower sass König Johann von Frankreich lange gefangen, wurde Lord Strafford enthauptet, welcher König Karl I. in den Con- flict mit dem Parlamente gebracht hatte und von jenem der Bestra- fung durch das Parlament überlassen werden musste, und so liesse sich noch eine lange Reihe von Persönlichkeiten aufzählen, die ein trauriges, wenn auch nicht immer unverschuldetes Geschick mit dieser Burg in Verbindung brachte. Düster und unheimlich sind die Ein- drücke, welche man beim Besuche des Tower sammelt, und es thut der Gegensatz fast wohl, welchen die nächste Umgebung dieser Feste darbietet, allwo überall das friedliche Treiben der Gegenwart zum Ausdrucke gelangt. So steht nördlich vom Tower Trinityhouse und das Gebäude der königlichen Münze, östlich desselben beginnt mit den St. Katharines Docks die Reihe der grossartigen Dockanlagen im Londoner Hafen. Trinityhouse beherbergt auch eine eigenthümliche britische 118*
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London.
pfindet vielleicht am besten die ungeheure Bedeutung von London.
— Unterhalb London-Bridge steht am linken Ufer das Zollamt und
flussabwärts folgt bald ein anderes berühmtes Wahrzeichen der Stadt,
der altersgraue Tower. Wir haben schon an einer früheren Stelle
erwähnt, dass bereits Wilhelm der Eroberer den weissen Tower
bauen liess, zur Sicherung seiner Verbindung auf der Themse und
auch als Zwingburg gegen die Bürger von London, denen der Nor-
manne doch kein rechtes Vertrauen entgegenbrachte, wenn er auch
ihre städtischen Freiheiten bestätigt hatte. Um den weissen Tower
herum wurde dann allmälig im Laufe des Mittelalters eine Reihe von
starken Werken mit vielen Thürmen angelegt, welche im Ganzen die
Form eines unregelmässigen Fünfeckes zeigen und mit einem breiten
Graben nach aussen versehen waren. Heute dient der Tower theils
als Arsenal, theils als Sammelstelle verschiedener historischer Denk-
würdigkeiten, auch garnisonirt in demselben ein Theil der königlichen
Fussgarden; einstens aber war der Tower ein fester Stützpunkt der
königlichen Macht und zugleich das düstere Staatsgefängniss, in dem
sich manche Tragödie der englischen Geschichte abspielte. Im Tower
wurden die jugendlichen Söhne Eduard’s IV. auf Befehl Richard’s von
York, des nachherigen Richard III. erwürgt; im Tower verbrachte
Königin Elisabeth ihre Jugendjahre, gefangengehalten durch ihre Stief-
schwester Maria; hier wurde Eduard’s IV. Bruder, der Herzog von
Clarence, in einem Fass Malvasier ersäuft, welche Todesart er selbst
sich erwählen durfte; ebenso fand König Heinrich VI. daselbst seinen
Tod. Im Tower sass König Johann von Frankreich lange gefangen,
wurde Lord Strafford enthauptet, welcher König Karl I. in den Con-
flict mit dem Parlamente gebracht hatte und von jenem der Bestra-
fung durch das Parlament überlassen werden musste, und so liesse
sich noch eine lange Reihe von Persönlichkeiten aufzählen, die ein
trauriges, wenn auch nicht immer unverschuldetes Geschick mit dieser
Burg in Verbindung brachte. Düster und unheimlich sind die Ein-
drücke, welche man beim Besuche des Tower sammelt, und es thut
der Gegensatz fast wohl, welchen die nächste Umgebung dieser Feste
darbietet, allwo überall das friedliche Treiben der Gegenwart zum
Ausdrucke gelangt. So steht nördlich vom Tower Trinityhouse
und das Gebäude der königlichen Münze, östlich desselben beginnt
mit den St. Katharines Docks die Reihe der grossartigen Dockanlagen
im Londoner Hafen.
Trinityhouse beherbergt auch eine eigenthümliche britische
Institution, nämlich die Corporation von Trinityhouse, welche unter
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