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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891.

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Der atlantische Ocean.
Equipagen und schönen Toiletteu ihren Prunk zu entfalten sich be-
müht. Im Hydepark finden auch gelegentlich die Revuen der Truppen
und Volonteers statt, und ebenso war derselbe auch schon oftmals
Schauplatz bewegter Volksversammlungen. Er gehört jedenfalls zu den
charakteristischen Punkten des Londoner Lebens.

Kehren wir nunmehr wiederum zur Themse zurück und setzen
wir die Fahrt von Albert-Bridge fort, so erreichen wir -- dicht nach
einander folgend -- die Chelsea- und die Victoria-Brücke -- letztere für
die Eisenbahn --, dann nimmt der Fluss bei der Vauxhall-Brücke die
Richtung gegen Norden, wird von der Lambeth-Brücke übersetzt, führt
an Westminster-Hall und dem prachtvollen Parlamentsgebäude vor-
bei und erreicht sodann die Westminster-Brücke. Betreten wir hier das
linke Ufer, so befinden wir uns in jenem Theile der Stadt, in welchem
sich das politische Leben wie jenes der besten Gesellschaft am
meisten bewegt.

Das Parlamentsgebäude zeigt seine Front dem Flusse. Es
ist ein gewaltiger, im späteren Tudorstyl errichteter Bau, der an die
Stelle des im Jahre 1834 abgebrannten alten Hauses gesetzt worden ist.
Drei grosse Thürme, an beiden Ecken und in der Mitte, überragen
diesen Palast, welcher elf grosse Höfe in sich schliesst und 1100
Zimmer aufweist. Die Facade längs des Flusses hat eine Länge von
275 m. Der linke Flügel des Gebäudes ist für das Haus der Ge-
meinen, der rechte für das Haus der Lords bestimmt. Ausserdem sind
verschiedene für Repräsentationszwecke dienliche Räume vorhanden, und
ist das ganze Gebäude auch in seiner Einrichtung und Ausschmückung
in einer Weise gehalten, welche der grossen Bedeutung entspricht,
die den parlamentarischen Körperschaften Englands im ganzen Leben
dieses Staates zukommt. In Verbindung mit dem Parlamentsgebäude
ist die Westminsterhalle gebracht, derart dass sie als ein Theil
desselben sich darstellt. Diese Halle ist eigentlich ein Theil des alten
Westminsterpalastes, der in der englischen Geschichte eine wichtige
Rolle gespielt hat. Der erste Palast dieses Namens wurde noch unter
den normannischen Königen begonnen, brannte jedoch am Ende des
XIII. Jahrhunderts gänzlich nieder. Erst unter Eduard II. begann man
mit dem Neubau. Jetzt dient Westminster Hall als die grosse Vor-
halle des Parlamentes und zeichnet sich durch ihre Dimensionen
namentlich deshalb aus, weil die ganze Halle trotzdem nicht durch
Säulen unterstützt wird. Hier fanden in alten Zeiten häufige Parla-
mentssitzungen statt, hier wurde König Karl I. zum Tode verurtheilt
und Oliver Cromwell als Lord-Protector begrüsst, hier feierte man

Der atlantische Ocean.
Equipagen und schönen Toiletteu ihren Prunk zu entfalten sich be-
müht. Im Hydepark finden auch gelegentlich die Revuen der Truppen
und Volonteers statt, und ebenso war derselbe auch schon oftmals
Schauplatz bewegter Volksversammlungen. Er gehört jedenfalls zu den
charakteristischen Punkten des Londoner Lebens.

Kehren wir nunmehr wiederum zur Themse zurück und setzen
wir die Fahrt von Albert-Bridge fort, so erreichen wir — dicht nach
einander folgend — die Chelsea- und die Victoria-Brücke — letztere für
die Eisenbahn —, dann nimmt der Fluss bei der Vauxhall-Brücke die
Richtung gegen Norden, wird von der Lambeth-Brücke übersetzt, führt
an Westminster-Hall und dem prachtvollen Parlamentsgebäude vor-
bei und erreicht sodann die Westminster-Brücke. Betreten wir hier das
linke Ufer, so befinden wir uns in jenem Theile der Stadt, in welchem
sich das politische Leben wie jenes der besten Gesellschaft am
meisten bewegt.

Das Parlamentsgebäude zeigt seine Front dem Flusse. Es
ist ein gewaltiger, im späteren Tudorstyl errichteter Bau, der an die
Stelle des im Jahre 1834 abgebrannten alten Hauses gesetzt worden ist.
Drei grosse Thürme, an beiden Ecken und in der Mitte, überragen
diesen Palast, welcher elf grosse Höfe in sich schliesst und 1100
Zimmer aufweist. Die Façade längs des Flusses hat eine Länge von
275 m. Der linke Flügel des Gebäudes ist für das Haus der Ge-
meinen, der rechte für das Haus der Lords bestimmt. Ausserdem sind
verschiedene für Repräsentationszwecke dienliche Räume vorhanden, und
ist das ganze Gebäude auch in seiner Einrichtung und Ausschmückung
in einer Weise gehalten, welche der grossen Bedeutung entspricht,
die den parlamentarischen Körperschaften Englands im ganzen Leben
dieses Staates zukommt. In Verbindung mit dem Parlamentsgebäude
ist die Westminsterhalle gebracht, derart dass sie als ein Theil
desselben sich darstellt. Diese Halle ist eigentlich ein Theil des alten
Westminsterpalastes, der in der englischen Geschichte eine wichtige
Rolle gespielt hat. Der erste Palast dieses Namens wurde noch unter
den normannischen Königen begonnen, brannte jedoch am Ende des
XIII. Jahrhunderts gänzlich nieder. Erst unter Eduard II. begann man
mit dem Neubau. Jetzt dient Westminster Hall als die grosse Vor-
halle des Parlamentes und zeichnet sich durch ihre Dimensionen
namentlich deshalb aus, weil die ganze Halle trotzdem nicht durch
Säulen unterstützt wird. Hier fanden in alten Zeiten häufige Parla-
mentssitzungen statt, hier wurde König Karl I. zum Tode verurtheilt
und Oliver Cromwell als Lord-Protector begrüsst, hier feierte man

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[932/0952] Der atlantische Ocean. Equipagen und schönen Toiletteu ihren Prunk zu entfalten sich be- müht. Im Hydepark finden auch gelegentlich die Revuen der Truppen und Volonteers statt, und ebenso war derselbe auch schon oftmals Schauplatz bewegter Volksversammlungen. Er gehört jedenfalls zu den charakteristischen Punkten des Londoner Lebens. Kehren wir nunmehr wiederum zur Themse zurück und setzen wir die Fahrt von Albert-Bridge fort, so erreichen wir — dicht nach einander folgend — die Chelsea- und die Victoria-Brücke — letztere für die Eisenbahn —, dann nimmt der Fluss bei der Vauxhall-Brücke die Richtung gegen Norden, wird von der Lambeth-Brücke übersetzt, führt an Westminster-Hall und dem prachtvollen Parlamentsgebäude vor- bei und erreicht sodann die Westminster-Brücke. Betreten wir hier das linke Ufer, so befinden wir uns in jenem Theile der Stadt, in welchem sich das politische Leben wie jenes der besten Gesellschaft am meisten bewegt. Das Parlamentsgebäude zeigt seine Front dem Flusse. Es ist ein gewaltiger, im späteren Tudorstyl errichteter Bau, der an die Stelle des im Jahre 1834 abgebrannten alten Hauses gesetzt worden ist. Drei grosse Thürme, an beiden Ecken und in der Mitte, überragen diesen Palast, welcher elf grosse Höfe in sich schliesst und 1100 Zimmer aufweist. Die Façade längs des Flusses hat eine Länge von 275 m. Der linke Flügel des Gebäudes ist für das Haus der Ge- meinen, der rechte für das Haus der Lords bestimmt. Ausserdem sind verschiedene für Repräsentationszwecke dienliche Räume vorhanden, und ist das ganze Gebäude auch in seiner Einrichtung und Ausschmückung in einer Weise gehalten, welche der grossen Bedeutung entspricht, die den parlamentarischen Körperschaften Englands im ganzen Leben dieses Staates zukommt. In Verbindung mit dem Parlamentsgebäude ist die Westminsterhalle gebracht, derart dass sie als ein Theil desselben sich darstellt. Diese Halle ist eigentlich ein Theil des alten Westminsterpalastes, der in der englischen Geschichte eine wichtige Rolle gespielt hat. Der erste Palast dieses Namens wurde noch unter den normannischen Königen begonnen, brannte jedoch am Ende des XIII. Jahrhunderts gänzlich nieder. Erst unter Eduard II. begann man mit dem Neubau. Jetzt dient Westminster Hall als die grosse Vor- halle des Parlamentes und zeichnet sich durch ihre Dimensionen namentlich deshalb aus, weil die ganze Halle trotzdem nicht durch Säulen unterstützt wird. Hier fanden in alten Zeiten häufige Parla- mentssitzungen statt, hier wurde König Karl I. zum Tode verurtheilt und Oliver Cromwell als Lord-Protector begrüsst, hier feierte man

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Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891, S. 932. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen01_1891/952>, abgerufen am 23.11.2024.