Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891.

Bild:
<< vorherige Seite

Corfu.
das Schicksal der Insel Corfu, sondern ein grosser Theil der Welt-
geschichte darstellen."

Die bewegte Vergangenheit der Insel liess merkwürdigerweise
nur spärliche Erinnerungszeichen zurück. Aus dem Alterthume sind
nur die Fundamente eines Tempels und das Grabmal des Menekrates
(VI. Jahrh. v. Chr.), das 1843 blossgelegt ward, erhalten geblieben,
so gründlich vertilgten hier Zerstörungsgeist und wieder aufbanende
Wohlhabenheit jede Spur früherer Culturepochen.

Diesem Umstande ist es zuzuschreiben, dass die Stadt Corfu
einen durchaus neueren Charakter aufweist. In ihren Bauten und
Denkmälern herrscht vornehmlich die Erinnerung an die venetianische
und englische Herrschaft vor.

Die Esplanade, la Spianata, ist der vornehmste, von Alleen durch-
zogene Platz von Corfu. Im Grunde genommen ist dieser eigentlich
das Glacis der alten Befestigung der Koryphäen, zu welchen eine
Brücke über den natürlichen tiefen Wassergraben führt.

An der Nordseite ist mit prächtigem Ausblick auf den Hafen
der gut stylisirte königliche Palast gelegen, und die Südseite schmückt
ein zu Ehren des ersten Lord-Obercommissärs Sir Thomas Maitland
errichteter Rundtempel, in dessen Nähe ein Obelisk an Sir Howard
Douglas (1843) erinnert, der die beengenden venetianischen Bastionen
an jener Seite abbrechen und den reizenden Fahrweg, der als Via
Marina nach Castrades hinabführt, herstellen liess.

Auch die verdienstvolle Thätigkeit Sir Frederic Adams, der von
1823 bis 1832 hier residirte, ist durch ein Erzstandbild vor dem
Königs-Palais ausgezeichnet worden.

An die venetianische Zeit erinnert das Monument des helden-
müthigen Marschalls Grafen Schulenburg, das 1717 dem berühmten
Vertheidiger von Corfu noch bei Lebzeiten errichtet worden war. Die
Bildsäule fand vor dem Eingange in die Festung einen bezeichnenden
Platz. Der Marcuslöwe, der sonst in den ehemaligen Besitzungen
des Dogenstaates noch so manchen Thorbogen ziert, ist in Corfu nahe-
zu ganz verschwunden, denn hier wie in der venetianischen Ebene
ward 1797 der Befehl Bonapartes, das Wappen Venedigs zu ent-
fernen, mit sklavischem Gehorsam durchgeführt. Nur einzelne In-
schriften haben sich aus der Dogenzeit erhalten.

Das moderne Hellenenthum ist durch das Marmorstandbild des
unglücklichen ersten Präsidenten von Griechenland, des Corfioten
Capodistria, das den Platz südlich des Rundtempels seit 1887 ziert,
vertreten.


Corfù.
das Schicksal der Insel Corfù, sondern ein grosser Theil der Welt-
geschichte darstellen.“

Die bewegte Vergangenheit der Insel liess merkwürdigerweise
nur spärliche Erinnerungszeichen zurück. Aus dem Alterthume sind
nur die Fundamente eines Tempels und das Grabmal des Menekrates
(VI. Jahrh. v. Chr.), das 1843 blossgelegt ward, erhalten geblieben,
so gründlich vertilgten hier Zerstörungsgeist und wieder aufbanende
Wohlhabenheit jede Spur früherer Culturepochen.

Diesem Umstande ist es zuzuschreiben, dass die Stadt Corfù
einen durchaus neueren Charakter aufweist. In ihren Bauten und
Denkmälern herrscht vornehmlich die Erinnerung an die venetianische
und englische Herrschaft vor.

Die Esplanade, la Spianata, ist der vornehmste, von Alleen durch-
zogene Platz von Corfù. Im Grunde genommen ist dieser eigentlich
das Glacis der alten Befestigung der Koryphäen, zu welchen eine
Brücke über den natürlichen tiefen Wassergraben führt.

An der Nordseite ist mit prächtigem Ausblick auf den Hafen
der gut stylisirte königliche Palast gelegen, und die Südseite schmückt
ein zu Ehren des ersten Lord-Obercommissärs Sir Thomas Maitland
errichteter Rundtempel, in dessen Nähe ein Obelisk an Sir Howard
Douglas (1843) erinnert, der die beengenden venetianischen Bastionen
an jener Seite abbrechen und den reizenden Fahrweg, der als Via
Marina nach Castrades hinabführt, herstellen liess.

Auch die verdienstvolle Thätigkeit Sir Frederic Adams, der von
1823 bis 1832 hier residirte, ist durch ein Erzstandbild vor dem
Königs-Palais ausgezeichnet worden.

An die venetianische Zeit erinnert das Monument des helden-
müthigen Marschalls Grafen Schulenburg, das 1717 dem berühmten
Vertheidiger von Corfù noch bei Lebzeiten errichtet worden war. Die
Bildsäule fand vor dem Eingange in die Festung einen bezeichnenden
Platz. Der Marcuslöwe, der sonst in den ehemaligen Besitzungen
des Dogenstaates noch so manchen Thorbogen ziert, ist in Corfù nahe-
zu ganz verschwunden, denn hier wie in der venetianischen Ebene
ward 1797 der Befehl Bonapartes, das Wappen Venedigs zu ent-
fernen, mit sklavischem Gehorsam durchgeführt. Nur einzelne In-
schriften haben sich aus der Dogenzeit erhalten.

Das moderne Hellenenthum ist durch das Marmorstandbild des
unglücklichen ersten Präsidenten von Griechenland, des Corfioten
Capodistria, das den Platz südlich des Rundtempels seit 1887 ziert,
vertreten.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0083" n="63"/><fw place="top" type="header">Corfù.</fw><lb/>
das Schicksal der Insel Corfù, sondern ein grosser Theil der Welt-<lb/>
geschichte darstellen.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Die bewegte Vergangenheit der Insel liess merkwürdigerweise<lb/>
nur spärliche Erinnerungszeichen zurück. Aus dem Alterthume sind<lb/>
nur die Fundamente eines Tempels und das Grabmal des Menekrates<lb/>
(VI. Jahrh. v. Chr.), das 1843 blossgelegt ward, erhalten geblieben,<lb/>
so gründlich vertilgten hier Zerstörungsgeist und wieder aufbanende<lb/>
Wohlhabenheit jede Spur früherer Culturepochen.</p><lb/>
          <p>Diesem Umstande ist es zuzuschreiben, dass die Stadt Corfù<lb/>
einen durchaus neueren Charakter aufweist. In ihren Bauten und<lb/>
Denkmälern herrscht vornehmlich die Erinnerung an die venetianische<lb/>
und englische Herrschaft vor.</p><lb/>
          <p>Die Esplanade, la Spianata, ist der vornehmste, von Alleen durch-<lb/>
zogene Platz von Corfù. Im Grunde genommen ist dieser eigentlich<lb/>
das Glacis der alten Befestigung der Koryphäen, zu welchen eine<lb/>
Brücke über den natürlichen tiefen Wassergraben führt.</p><lb/>
          <p>An der Nordseite ist mit prächtigem Ausblick auf den Hafen<lb/>
der gut stylisirte königliche Palast gelegen, und die Südseite schmückt<lb/>
ein zu Ehren des ersten Lord-Obercommissärs Sir Thomas Maitland<lb/>
errichteter Rundtempel, in dessen Nähe ein Obelisk an Sir Howard<lb/>
Douglas (1843) erinnert, der die beengenden venetianischen Bastionen<lb/>
an jener Seite abbrechen und den reizenden Fahrweg, der als Via<lb/>
Marina nach Castrades hinabführt, herstellen liess.</p><lb/>
          <p>Auch die verdienstvolle Thätigkeit Sir Frederic Adams, der von<lb/>
1823 bis 1832 hier residirte, ist durch ein Erzstandbild vor dem<lb/>
Königs-Palais ausgezeichnet worden.</p><lb/>
          <p>An die venetianische Zeit erinnert das Monument des helden-<lb/>
müthigen Marschalls Grafen Schulenburg, das 1717 dem berühmten<lb/>
Vertheidiger von Corfù noch bei Lebzeiten errichtet worden war. Die<lb/>
Bildsäule fand vor dem Eingange in die Festung einen bezeichnenden<lb/>
Platz. Der Marcuslöwe, der sonst in den ehemaligen Besitzungen<lb/>
des Dogenstaates noch so manchen Thorbogen ziert, ist in Corfù nahe-<lb/>
zu ganz verschwunden, denn hier wie in der venetianischen Ebene<lb/>
ward 1797 der Befehl Bonapartes, das Wappen Venedigs zu ent-<lb/>
fernen, mit sklavischem Gehorsam durchgeführt. Nur einzelne In-<lb/>
schriften haben sich aus der Dogenzeit erhalten.</p><lb/>
          <p>Das moderne Hellenenthum ist durch das Marmorstandbild des<lb/>
unglücklichen ersten Präsidenten von Griechenland, des Corfioten<lb/>
Capodistria, das den Platz südlich des Rundtempels seit 1887 ziert,<lb/>
vertreten.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[63/0083] Corfù. das Schicksal der Insel Corfù, sondern ein grosser Theil der Welt- geschichte darstellen.“ Die bewegte Vergangenheit der Insel liess merkwürdigerweise nur spärliche Erinnerungszeichen zurück. Aus dem Alterthume sind nur die Fundamente eines Tempels und das Grabmal des Menekrates (VI. Jahrh. v. Chr.), das 1843 blossgelegt ward, erhalten geblieben, so gründlich vertilgten hier Zerstörungsgeist und wieder aufbanende Wohlhabenheit jede Spur früherer Culturepochen. Diesem Umstande ist es zuzuschreiben, dass die Stadt Corfù einen durchaus neueren Charakter aufweist. In ihren Bauten und Denkmälern herrscht vornehmlich die Erinnerung an die venetianische und englische Herrschaft vor. Die Esplanade, la Spianata, ist der vornehmste, von Alleen durch- zogene Platz von Corfù. Im Grunde genommen ist dieser eigentlich das Glacis der alten Befestigung der Koryphäen, zu welchen eine Brücke über den natürlichen tiefen Wassergraben führt. An der Nordseite ist mit prächtigem Ausblick auf den Hafen der gut stylisirte königliche Palast gelegen, und die Südseite schmückt ein zu Ehren des ersten Lord-Obercommissärs Sir Thomas Maitland errichteter Rundtempel, in dessen Nähe ein Obelisk an Sir Howard Douglas (1843) erinnert, der die beengenden venetianischen Bastionen an jener Seite abbrechen und den reizenden Fahrweg, der als Via Marina nach Castrades hinabführt, herstellen liess. Auch die verdienstvolle Thätigkeit Sir Frederic Adams, der von 1823 bis 1832 hier residirte, ist durch ein Erzstandbild vor dem Königs-Palais ausgezeichnet worden. An die venetianische Zeit erinnert das Monument des helden- müthigen Marschalls Grafen Schulenburg, das 1717 dem berühmten Vertheidiger von Corfù noch bei Lebzeiten errichtet worden war. Die Bildsäule fand vor dem Eingange in die Festung einen bezeichnenden Platz. Der Marcuslöwe, der sonst in den ehemaligen Besitzungen des Dogenstaates noch so manchen Thorbogen ziert, ist in Corfù nahe- zu ganz verschwunden, denn hier wie in der venetianischen Ebene ward 1797 der Befehl Bonapartes, das Wappen Venedigs zu ent- fernen, mit sklavischem Gehorsam durchgeführt. Nur einzelne In- schriften haben sich aus der Dogenzeit erhalten. Das moderne Hellenenthum ist durch das Marmorstandbild des unglücklichen ersten Präsidenten von Griechenland, des Corfioten Capodistria, das den Platz südlich des Rundtempels seit 1887 ziert, vertreten.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen01_1891
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen01_1891/83
Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen01_1891/83>, abgerufen am 25.11.2024.