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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891.

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Das Mittelmeerbecken.
des Orientes und wird deshalb für Jahrhunderte zum Zankapfel der
Mächtigen.

Nach dem Falle von Byzanz wird die Insel für kurze Zeit ve-
netianisch, dann bemächtigt sich ihrer der Despot von Epirus Michael I.,
der sie seiner schönen Enkelin Helena, der Braut des Heldenkönigs
Manfred als Mitgift verleiht.

1267 wurde Karl von Anjou durch die Eroberung des Epirus auch
Herrscher über Corfu. Die reiche Insel blieb bei dem Hause Anjou
bis zu dessen Verfall.

Dann erst boten die Corfioten der mächtigen Republik Venedig
die Herrschaft an. Vom 28. Mai 1386 flatterte das Banner des Mar-
cuslöwen über der Stadt und auf den jonischen Inseln, bis 1797 der
Dogenstaat selbst in Trümmer fiel.

Corfu sah während dieser seiner italienischen Periode die mäch-
tigen Flottenzüge der Türken und schlug 1573 die Belagerung der-
selben ab; Don Juan d'Austria führte von hier aus 1571 die grosse
Christenflotte nach Lepanto. 1716 versuchen die Türken eine zweite
Belagerung von Corfu, aber die Tapferkeit und Umsicht des Marschalls
Schulenburg rettet die Insel.

Nach Venedig ist Frankreich der nächste Erbe der jonischen
Inseln, aber schon im Frühjahre 1798 fallen sie nach harten Kämpfen,
insbesondere Corfu nach dreimonatlicher Belagerung durch eine rus-
sisch-türkische Flotte in die Hände des russischen Admirals Uschakoff
und erhalten dann eine Selbstverwaltung. Der Friede von Tilsit bringt
sie wieder an Frankreich und der Wiener Congress unter den Schutz
Englands, dessen Vicekönige den Wohlstand der Bevölkerung zu heben
wussten. Endlich wird das vielumstrittene Jonien am 1. Juni 1864
mit Hellas vereinigt.

Man könnte Corfu, an dessen Küsten seit Jahrtausenden die
mächtigsten Flotten aller Reiche und Staaten Europas zum Streite
kampfgerüstet erschienen, mit dem Beinamen einer historischen Flotten-
warte auszeichnen. "Es ist Weltgeschichte zu Schiff", sagt Gregoro-
vius in seiner fesselnden jonischen Idylle, "was da an unserem Auge
vorüberzieht. Von hier herab durch das Fernrohr der Geschichte zu
sehen ist fast so lohnend, als am goldenen Horn bei Byzanz. Denn
dieser schöne Sund ist die alte Wasserstrasse zwischen Italien und
Griechenland, zwischen Europa und Asien, durch welchen die Flut
der Völkerwanderung sich Jahrhunderte hindurch hin und her gewälzt
hat. In lauter Flottenzügen auf diesem Canal lässt sich nicht nur

Das Mittelmeerbecken.
des Orientes und wird deshalb für Jahrhunderte zum Zankapfel der
Mächtigen.

Nach dem Falle von Byzanz wird die Insel für kurze Zeit ve-
netianisch, dann bemächtigt sich ihrer der Despot von Epirus Michael I.,
der sie seiner schönen Enkelin Helena, der Braut des Heldenkönigs
Manfred als Mitgift verleiht.

1267 wurde Karl von Anjou durch die Eroberung des Epirus auch
Herrscher über Corfù. Die reiche Insel blieb bei dem Hause Anjou
bis zu dessen Verfall.

Dann erst boten die Corfioten der mächtigen Republik Venedig
die Herrschaft an. Vom 28. Mai 1386 flatterte das Banner des Mar-
cuslöwen über der Stadt und auf den jonischen Inseln, bis 1797 der
Dogenstaat selbst in Trümmer fiel.

Corfù sah während dieser seiner italienischen Periode die mäch-
tigen Flottenzüge der Türken und schlug 1573 die Belagerung der-
selben ab; Don Juan d’Austria führte von hier aus 1571 die grosse
Christenflotte nach Lepanto. 1716 versuchen die Türken eine zweite
Belagerung von Corfù, aber die Tapferkeit und Umsicht des Marschalls
Schulenburg rettet die Insel.

Nach Venedig ist Frankreich der nächste Erbe der jonischen
Inseln, aber schon im Frühjahre 1798 fallen sie nach harten Kämpfen,
insbesondere Corfù nach dreimonatlicher Belagerung durch eine rus-
sisch-türkische Flotte in die Hände des russischen Admirals Uschakoff
und erhalten dann eine Selbstverwaltung. Der Friede von Tilsit bringt
sie wieder an Frankreich und der Wiener Congress unter den Schutz
Englands, dessen Vicekönige den Wohlstand der Bevölkerung zu heben
wussten. Endlich wird das vielumstrittene Jonien am 1. Juni 1864
mit Hellas vereinigt.

Man könnte Corfù, an dessen Küsten seit Jahrtausenden die
mächtigsten Flotten aller Reiche und Staaten Europas zum Streite
kampfgerüstet erschienen, mit dem Beinamen einer historischen Flotten-
warte auszeichnen. „Es ist Weltgeschichte zu Schiff“, sagt Gregoro-
vius in seiner fesselnden jonischen Idylle, „was da an unserem Auge
vorüberzieht. Von hier herab durch das Fernrohr der Geschichte zu
sehen ist fast so lohnend, als am goldenen Horn bei Byzanz. Denn
dieser schöne Sund ist die alte Wasserstrasse zwischen Italien und
Griechenland, zwischen Europa und Asien, durch welchen die Flut
der Völkerwanderung sich Jahrhunderte hindurch hin und her gewälzt
hat. In lauter Flottenzügen auf diesem Canal lässt sich nicht nur

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[62/0082] Das Mittelmeerbecken. des Orientes und wird deshalb für Jahrhunderte zum Zankapfel der Mächtigen. Nach dem Falle von Byzanz wird die Insel für kurze Zeit ve- netianisch, dann bemächtigt sich ihrer der Despot von Epirus Michael I., der sie seiner schönen Enkelin Helena, der Braut des Heldenkönigs Manfred als Mitgift verleiht. 1267 wurde Karl von Anjou durch die Eroberung des Epirus auch Herrscher über Corfù. Die reiche Insel blieb bei dem Hause Anjou bis zu dessen Verfall. Dann erst boten die Corfioten der mächtigen Republik Venedig die Herrschaft an. Vom 28. Mai 1386 flatterte das Banner des Mar- cuslöwen über der Stadt und auf den jonischen Inseln, bis 1797 der Dogenstaat selbst in Trümmer fiel. Corfù sah während dieser seiner italienischen Periode die mäch- tigen Flottenzüge der Türken und schlug 1573 die Belagerung der- selben ab; Don Juan d’Austria führte von hier aus 1571 die grosse Christenflotte nach Lepanto. 1716 versuchen die Türken eine zweite Belagerung von Corfù, aber die Tapferkeit und Umsicht des Marschalls Schulenburg rettet die Insel. Nach Venedig ist Frankreich der nächste Erbe der jonischen Inseln, aber schon im Frühjahre 1798 fallen sie nach harten Kämpfen, insbesondere Corfù nach dreimonatlicher Belagerung durch eine rus- sisch-türkische Flotte in die Hände des russischen Admirals Uschakoff und erhalten dann eine Selbstverwaltung. Der Friede von Tilsit bringt sie wieder an Frankreich und der Wiener Congress unter den Schutz Englands, dessen Vicekönige den Wohlstand der Bevölkerung zu heben wussten. Endlich wird das vielumstrittene Jonien am 1. Juni 1864 mit Hellas vereinigt. Man könnte Corfù, an dessen Küsten seit Jahrtausenden die mächtigsten Flotten aller Reiche und Staaten Europas zum Streite kampfgerüstet erschienen, mit dem Beinamen einer historischen Flotten- warte auszeichnen. „Es ist Weltgeschichte zu Schiff“, sagt Gregoro- vius in seiner fesselnden jonischen Idylle, „was da an unserem Auge vorüberzieht. Von hier herab durch das Fernrohr der Geschichte zu sehen ist fast so lohnend, als am goldenen Horn bei Byzanz. Denn dieser schöne Sund ist die alte Wasserstrasse zwischen Italien und Griechenland, zwischen Europa und Asien, durch welchen die Flut der Völkerwanderung sich Jahrhunderte hindurch hin und her gewälzt hat. In lauter Flottenzügen auf diesem Canal lässt sich nicht nur

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Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen01_1891/82>, abgerufen am 08.05.2024.