einen aus wirren Fäden gewobenen Schleier, das prächtige Bild der Stadt geheimnissvoll verschliessend; kurz, Schiffe und Masten überall, so weit das Auge reicht. Den schönen Strom durcheilen Dampfer und Segler, Trajectboote und Flussfahrzeuge aller Art, das Spiegelbild von Arbeit und Leben. Die Hochbauten der Stadt, ihre Thürme und Dome, ihre Paläste und monumentalen Quais, Treppen und Rampen ergänzen die malerische Wirkung des Ganzen.
Antwerpens jüngster Aufschwung datirt vom Jahre 1803, als Napoleon I., die äusserst günstige Weltlage der Stadt erfassend, in Antwerpen ein "London des Continentes" und einen Haupt- stützpunkt für sein System der Continentalsperre schaffen wollte. Vor Allem erklärte er Rhein und Schelde zu freien offenen Strömen, dann legte er ein grosses See-Arsenal und Werften für die Flotte an. Er liess die prächtigen gemauerten Quais Jordaens und Van Dyck (nächst der Kathedrale) und die zwei älteren Bassins, die lange Zeit seinen Namen führten, ausheben; er war es auch, der den Plan fasste, das linke Ufer mit der Stadt durch eine Brücke zu verbinden und dort eine neue befestigte Stadt zu erbauen, er plante endlich auch die Verbindung des Hafens mit dem Rhein und jene des Rheins mit der Maas und Schelde, sowie mit der Rhone durch navigable Wasserstrassen, wodurch die Nordsee mit dem Mittelmeere verbunden sein würde. Wenn auch viele dieser Projecte durch den Sturz des Eroberers damals nicht ausgeführt wurden, so blieb für Antwerpen doch die wichtigste Errungenschaft der napoleonischen Zeit, die freie Schiffahrt auf der Schelde, erhalten.
In eine neue Phase trat Antwerpen nach der Revolution des Jahres 1830. Es entstanden weitere Bassins an der Nordseite der Stadt, die Quais wurden ausgebaut, Eisenbahnverbindungen mit Frankreich und Deutschland geschaffen, und die Bevölkerung stieg bis 1860 auf 112.000 Einwohner.
Im Jahre 1866 wurden die beengenden alten Umwallungen geschleift und weit hinausgelegt, wodurch die Fläche des Weich- bildes mit einem Schlage eine fünffache Vergrösserung erlangte. Die Stadt begann sich nun auszudehnen, neue Stadttheile mit schönen Strassenzügen und öffentlichen Gärten entstanden, maritime Etablisse- ments, Magazine und Depots, neue Bassins wurden geschaffen (1881 jene im Süden, 1887 Bassin Amerika und Afrika im Norden), und bis 1885 war die Bevölkerung auf 201.000 Einwohner angewachsen. Gegenwärtig kann sie mit 250.000 Einwohnern nicht zu hoch veranschlagt werden. Die Stadterweiterung regte die Baulust bedeutend an. Auch die älteren
Der atlantische Ocean.
einen aus wirren Fäden gewobenen Schleier, das prächtige Bild der Stadt geheimnissvoll verschliessend; kurz, Schiffe und Masten überall, so weit das Auge reicht. Den schönen Strom durcheilen Dampfer und Segler, Trajectboote und Flussfahrzeuge aller Art, das Spiegelbild von Arbeit und Leben. Die Hochbauten der Stadt, ihre Thürme und Dome, ihre Paläste und monumentalen Quais, Treppen und Rampen ergänzen die malerische Wirkung des Ganzen.
Antwerpens jüngster Aufschwung datirt vom Jahre 1803, als Napoleon I., die äusserst günstige Weltlage der Stadt erfassend, in Antwerpen ein „London des Continentes“ und einen Haupt- stützpunkt für sein System der Continentalsperre schaffen wollte. Vor Allem erklärte er Rhein und Schelde zu freien offenen Strömen, dann legte er ein grosses See-Arsenal und Werften für die Flotte an. Er liess die prächtigen gemauerten Quais Jordaens und Van Dyck (nächst der Kathedrale) und die zwei älteren Bassins, die lange Zeit seinen Namen führten, ausheben; er war es auch, der den Plan fasste, das linke Ufer mit der Stadt durch eine Brücke zu verbinden und dort eine neue befestigte Stadt zu erbauen, er plante endlich auch die Verbindung des Hafens mit dem Rhein und jene des Rheins mit der Maas und Schelde, sowie mit der Rhone durch navigable Wasserstrassen, wodurch die Nordsee mit dem Mittelmeere verbunden sein würde. Wenn auch viele dieser Projecte durch den Sturz des Eroberers damals nicht ausgeführt wurden, so blieb für Antwerpen doch die wichtigste Errungenschaft der napoleonischen Zeit, die freie Schiffahrt auf der Schelde, erhalten.
In eine neue Phase trat Antwerpen nach der Revolution des Jahres 1830. Es entstanden weitere Bassins an der Nordseite der Stadt, die Quais wurden ausgebaut, Eisenbahnverbindungen mit Frankreich und Deutschland geschaffen, und die Bevölkerung stieg bis 1860 auf 112.000 Einwohner.
Im Jahre 1866 wurden die beengenden alten Umwallungen geschleift und weit hinausgelegt, wodurch die Fläche des Weich- bildes mit einem Schlage eine fünffache Vergrösserung erlangte. Die Stadt begann sich nun auszudehnen, neue Stadttheile mit schönen Strassenzügen und öffentlichen Gärten entstanden, maritime Etablisse- ments, Magazine und Dépôts, neue Bassins wurden geschaffen (1881 jene im Süden, 1887 Bassin Amerika und Afrika im Norden), und bis 1885 war die Bevölkerung auf 201.000 Einwohner angewachsen. Gegenwärtig kann sie mit 250.000 Einwohnern nicht zu hoch veranschlagt werden. Die Stadterweiterung regte die Baulust bedeutend an. Auch die älteren
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0672"n="652"/><fwplace="top"type="header">Der atlantische Ocean.</fw><lb/>
einen aus wirren Fäden gewobenen Schleier, das prächtige Bild der<lb/>
Stadt geheimnissvoll verschliessend; kurz, Schiffe und Masten überall,<lb/>
so weit das Auge reicht. Den schönen Strom durcheilen Dampfer<lb/>
und Segler, Trajectboote und Flussfahrzeuge aller Art, das Spiegelbild<lb/>
von Arbeit und Leben. Die Hochbauten der Stadt, ihre Thürme und<lb/>
Dome, ihre Paläste und monumentalen Quais, Treppen und Rampen<lb/>
ergänzen die malerische Wirkung des Ganzen.</p><lb/><p>Antwerpens jüngster Aufschwung datirt vom Jahre 1803, als<lb/>
Napoleon I., die äusserst günstige Weltlage der Stadt erfassend,<lb/>
in Antwerpen ein „London des Continentes“ und einen Haupt-<lb/>
stützpunkt für sein System der Continentalsperre schaffen wollte.<lb/>
Vor Allem erklärte er Rhein und Schelde zu freien offenen Strömen,<lb/>
dann legte er ein grosses See-Arsenal und Werften für die Flotte<lb/>
an. Er liess die prächtigen gemauerten Quais Jordaens und Van Dyck<lb/>
(nächst der Kathedrale) und die zwei älteren Bassins, die lange Zeit<lb/>
seinen Namen führten, ausheben; er war es auch, der den Plan<lb/>
fasste, das linke Ufer mit der Stadt durch eine Brücke zu verbinden<lb/>
und dort eine neue befestigte Stadt zu erbauen, er plante endlich<lb/>
auch die Verbindung des Hafens mit dem Rhein und jene des Rheins<lb/>
mit der Maas und Schelde, sowie mit der Rhone durch navigable<lb/>
Wasserstrassen, wodurch die Nordsee mit dem Mittelmeere verbunden<lb/>
sein würde. Wenn auch viele dieser Projecte durch den Sturz des<lb/>
Eroberers damals nicht ausgeführt wurden, so blieb für Antwerpen<lb/>
doch die wichtigste Errungenschaft der napoleonischen Zeit, die freie<lb/>
Schiffahrt auf der Schelde, erhalten.</p><lb/><p>In eine neue Phase trat Antwerpen nach der Revolution des<lb/>
Jahres 1830. Es entstanden weitere Bassins an der Nordseite der<lb/>
Stadt, die Quais wurden ausgebaut, Eisenbahnverbindungen mit<lb/>
Frankreich und Deutschland geschaffen, und die Bevölkerung stieg<lb/>
bis 1860 auf 112.000 Einwohner.</p><lb/><p>Im Jahre 1866 wurden die beengenden alten Umwallungen<lb/>
geschleift und weit hinausgelegt, wodurch die Fläche des Weich-<lb/>
bildes mit einem Schlage eine fünffache Vergrösserung erlangte.<lb/>
Die Stadt begann sich nun auszudehnen, neue Stadttheile mit schönen<lb/>
Strassenzügen und öffentlichen Gärten entstanden, maritime Etablisse-<lb/>
ments, Magazine und Dépôts, neue Bassins wurden geschaffen (1881<lb/>
jene im Süden, 1887 Bassin Amerika und Afrika im Norden), und bis 1885<lb/>
war die Bevölkerung auf 201.000 Einwohner angewachsen. Gegenwärtig<lb/>
kann sie mit 250.000 Einwohnern nicht zu hoch veranschlagt werden.<lb/>
Die Stadterweiterung regte die Baulust bedeutend an. Auch die älteren<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[652/0672]
Der atlantische Ocean.
einen aus wirren Fäden gewobenen Schleier, das prächtige Bild der
Stadt geheimnissvoll verschliessend; kurz, Schiffe und Masten überall,
so weit das Auge reicht. Den schönen Strom durcheilen Dampfer
und Segler, Trajectboote und Flussfahrzeuge aller Art, das Spiegelbild
von Arbeit und Leben. Die Hochbauten der Stadt, ihre Thürme und
Dome, ihre Paläste und monumentalen Quais, Treppen und Rampen
ergänzen die malerische Wirkung des Ganzen.
Antwerpens jüngster Aufschwung datirt vom Jahre 1803, als
Napoleon I., die äusserst günstige Weltlage der Stadt erfassend,
in Antwerpen ein „London des Continentes“ und einen Haupt-
stützpunkt für sein System der Continentalsperre schaffen wollte.
Vor Allem erklärte er Rhein und Schelde zu freien offenen Strömen,
dann legte er ein grosses See-Arsenal und Werften für die Flotte
an. Er liess die prächtigen gemauerten Quais Jordaens und Van Dyck
(nächst der Kathedrale) und die zwei älteren Bassins, die lange Zeit
seinen Namen führten, ausheben; er war es auch, der den Plan
fasste, das linke Ufer mit der Stadt durch eine Brücke zu verbinden
und dort eine neue befestigte Stadt zu erbauen, er plante endlich
auch die Verbindung des Hafens mit dem Rhein und jene des Rheins
mit der Maas und Schelde, sowie mit der Rhone durch navigable
Wasserstrassen, wodurch die Nordsee mit dem Mittelmeere verbunden
sein würde. Wenn auch viele dieser Projecte durch den Sturz des
Eroberers damals nicht ausgeführt wurden, so blieb für Antwerpen
doch die wichtigste Errungenschaft der napoleonischen Zeit, die freie
Schiffahrt auf der Schelde, erhalten.
In eine neue Phase trat Antwerpen nach der Revolution des
Jahres 1830. Es entstanden weitere Bassins an der Nordseite der
Stadt, die Quais wurden ausgebaut, Eisenbahnverbindungen mit
Frankreich und Deutschland geschaffen, und die Bevölkerung stieg
bis 1860 auf 112.000 Einwohner.
Im Jahre 1866 wurden die beengenden alten Umwallungen
geschleift und weit hinausgelegt, wodurch die Fläche des Weich-
bildes mit einem Schlage eine fünffache Vergrösserung erlangte.
Die Stadt begann sich nun auszudehnen, neue Stadttheile mit schönen
Strassenzügen und öffentlichen Gärten entstanden, maritime Etablisse-
ments, Magazine und Dépôts, neue Bassins wurden geschaffen (1881
jene im Süden, 1887 Bassin Amerika und Afrika im Norden), und bis 1885
war die Bevölkerung auf 201.000 Einwohner angewachsen. Gegenwärtig
kann sie mit 250.000 Einwohnern nicht zu hoch veranschlagt werden.
Die Stadterweiterung regte die Baulust bedeutend an. Auch die älteren
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891, S. 652. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen01_1891/672>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.