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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891.

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Das Mittelmeerbecken.
berichten weiss. Die Stürme des Meeres und des Krieges hinterliessen,
dank der vortheilhaften Lage der Dogenstadt, keine Spuren zurück,
und vierzehn Jahrhunderte hindurch bis zu ihrem Falle schmückte der
Myrthenzweig der fortificatorischen Jungfräulichkeit die Befestigungen
der Lagunen. Selbst die Belagerung im Jahre 1849, als Radetzky
nach fünfzehnmonatlichen Anstrengungen die Republik des zweiten
Manin stürzte, verursachte den Kunstschätzen Venedigs keinen Schaden
und so steht die Stadt vor uns prächtig und glanzvoll wie in ihren
schönsten Tagen.

Als anmuthiges heiteres Element im Rundbilde Venedigs, wie es
vom Hafen aus dem Beschauer sich bietet, erscheinen ausser den
Thürmen der zahlreichen herrlichen Kirchen auch die grünen Laub-
kronen der südöstlich in die Lagune vorgeschobenen Giardini pubblici.
Die mässig ausgedehnten Anlagen sind eines der wenigen Geschenke,
mit welchen Napoleon 1807 die zehn Jahre vorher durch ihn ge-
demüthigte und gebrandschatzte Stadt bedacht hatte. Das heute in
den Baumalleen der Anlage lustwandelnde fröhliche Volk weiss aller-
dings nicht, dass die Freundschaft des übermüthigen Eroberers ausser
mit dem politischen Tode des Freistaates auch noch mit mehr als
40 Millionen Ducaten an Kriegsmateriale und Kunstobjecten gesühnt
werden musste.

Von den Giardini bis zum Beginn der breiten Quai-Promenade,
der Riva degli Schiavoni dehnt sich der in maritimer Hinsicht be-
merkenswerthe Stadttheil S. Pietro aus, in welchem das äussert geräu-
mige Seearsenal eingeschlossen ist. Gegenwärtig im Betriebe sehr
eingeschränkt, war es zur Zeit der Republik ein Ort rührigsten und
grossartigsten Schaffens, wo bis zu 16.000 Arbeiter Beschäftigung
fanden. Sowohl die Zahl der Arbeitskräfte wie die Weitläufigkeit der
ganzen Anlage, die selbst einer grossen Seemacht unserer Zeit genügen
würden, entsprachen indes völlig dem Bedürfnisse der venetianischen
Machtstellung. Man muss, in die Geschichte zurückgreifend, der enormen
Kriegsflotten gedenken, welche Venedig während der Bekämpfung der
byzantinischen Kaiser entsendete. Mit Stolz erwähnt die Tradition, dass,
als im XII. Jahrhunderte Kaiser Emanuel alle Venetianer in seinem
Reiche verhaften liess und alle Kerker und zahlreiche Klöster mit den-
selben anfüllte, das Arsenal in der Zeit von 100 Tagen nicht weniger
als 100 gewaltige Galeeren, 30 Transportschiffe und 20 andere Fahr-
zeuge wohlgerüstet in den Kampf entsenden konnte. Ebenso bethei-
ligte sich Venedig bei der Eroberung von Constantinopel (1201) mit
220 Schiffen, unter denen 100 riesige Dromonen und Uscieri waren,

Das Mittelmeerbecken.
berichten weiss. Die Stürme des Meeres und des Krieges hinterliessen,
dank der vortheilhaften Lage der Dogenstadt, keine Spuren zurück,
und vierzehn Jahrhunderte hindurch bis zu ihrem Falle schmückte der
Myrthenzweig der fortificatorischen Jungfräulichkeit die Befestigungen
der Lagunen. Selbst die Belagerung im Jahre 1849, als Radetzky
nach fünfzehnmonatlichen Anstrengungen die Republik des zweiten
Manin stürzte, verursachte den Kunstschätzen Venedigs keinen Schaden
und so steht die Stadt vor uns prächtig und glanzvoll wie in ihren
schönsten Tagen.

Als anmuthiges heiteres Element im Rundbilde Venedigs, wie es
vom Hafen aus dem Beschauer sich bietet, erscheinen ausser den
Thürmen der zahlreichen herrlichen Kirchen auch die grünen Laub-
kronen der südöstlich in die Lagune vorgeschobenen Giardini pubblici.
Die mässig ausgedehnten Anlagen sind eines der wenigen Geschenke,
mit welchen Napoleon 1807 die zehn Jahre vorher durch ihn ge-
demüthigte und gebrandschatzte Stadt bedacht hatte. Das heute in
den Baumalleen der Anlage lustwandelnde fröhliche Volk weiss aller-
dings nicht, dass die Freundschaft des übermüthigen Eroberers ausser
mit dem politischen Tode des Freistaates auch noch mit mehr als
40 Millionen Ducaten an Kriegsmateriale und Kunstobjecten gesühnt
werden musste.

Von den Giardini bis zum Beginn der breiten Quai-Promenade,
der Riva degli Schiavoni dehnt sich der in maritimer Hinsicht be-
merkenswerthe Stadttheil S. Pietro aus, in welchem das äussert geräu-
mige Seearsenal eingeschlossen ist. Gegenwärtig im Betriebe sehr
eingeschränkt, war es zur Zeit der Republik ein Ort rührigsten und
grossartigsten Schaffens, wo bis zu 16.000 Arbeiter Beschäftigung
fanden. Sowohl die Zahl der Arbeitskräfte wie die Weitläufigkeit der
ganzen Anlage, die selbst einer grossen Seemacht unserer Zeit genügen
würden, entsprachen indes völlig dem Bedürfnisse der venetianischen
Machtstellung. Man muss, in die Geschichte zurückgreifend, der enormen
Kriegsflotten gedenken, welche Venedig während der Bekämpfung der
byzantinischen Kaiser entsendete. Mit Stolz erwähnt die Tradition, dass,
als im XII. Jahrhunderte Kaiser Emanuel alle Venetianer in seinem
Reiche verhaften liess und alle Kerker und zahlreiche Klöster mit den-
selben anfüllte, das Arsenal in der Zeit von 100 Tagen nicht weniger
als 100 gewaltige Galeeren, 30 Transportschiffe und 20 andere Fahr-
zeuge wohlgerüstet in den Kampf entsenden konnte. Ebenso bethei-
ligte sich Venedig bei der Eroberung von Constantinopel (1201) mit
220 Schiffen, unter denen 100 riesige Dromonen und Uscieri waren,

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[42/0062] Das Mittelmeerbecken. berichten weiss. Die Stürme des Meeres und des Krieges hinterliessen, dank der vortheilhaften Lage der Dogenstadt, keine Spuren zurück, und vierzehn Jahrhunderte hindurch bis zu ihrem Falle schmückte der Myrthenzweig der fortificatorischen Jungfräulichkeit die Befestigungen der Lagunen. Selbst die Belagerung im Jahre 1849, als Radetzky nach fünfzehnmonatlichen Anstrengungen die Republik des zweiten Manin stürzte, verursachte den Kunstschätzen Venedigs keinen Schaden und so steht die Stadt vor uns prächtig und glanzvoll wie in ihren schönsten Tagen. Als anmuthiges heiteres Element im Rundbilde Venedigs, wie es vom Hafen aus dem Beschauer sich bietet, erscheinen ausser den Thürmen der zahlreichen herrlichen Kirchen auch die grünen Laub- kronen der südöstlich in die Lagune vorgeschobenen Giardini pubblici. Die mässig ausgedehnten Anlagen sind eines der wenigen Geschenke, mit welchen Napoleon 1807 die zehn Jahre vorher durch ihn ge- demüthigte und gebrandschatzte Stadt bedacht hatte. Das heute in den Baumalleen der Anlage lustwandelnde fröhliche Volk weiss aller- dings nicht, dass die Freundschaft des übermüthigen Eroberers ausser mit dem politischen Tode des Freistaates auch noch mit mehr als 40 Millionen Ducaten an Kriegsmateriale und Kunstobjecten gesühnt werden musste. Von den Giardini bis zum Beginn der breiten Quai-Promenade, der Riva degli Schiavoni dehnt sich der in maritimer Hinsicht be- merkenswerthe Stadttheil S. Pietro aus, in welchem das äussert geräu- mige Seearsenal eingeschlossen ist. Gegenwärtig im Betriebe sehr eingeschränkt, war es zur Zeit der Republik ein Ort rührigsten und grossartigsten Schaffens, wo bis zu 16.000 Arbeiter Beschäftigung fanden. Sowohl die Zahl der Arbeitskräfte wie die Weitläufigkeit der ganzen Anlage, die selbst einer grossen Seemacht unserer Zeit genügen würden, entsprachen indes völlig dem Bedürfnisse der venetianischen Machtstellung. Man muss, in die Geschichte zurückgreifend, der enormen Kriegsflotten gedenken, welche Venedig während der Bekämpfung der byzantinischen Kaiser entsendete. Mit Stolz erwähnt die Tradition, dass, als im XII. Jahrhunderte Kaiser Emanuel alle Venetianer in seinem Reiche verhaften liess und alle Kerker und zahlreiche Klöster mit den- selben anfüllte, das Arsenal in der Zeit von 100 Tagen nicht weniger als 100 gewaltige Galeeren, 30 Transportschiffe und 20 andere Fahr- zeuge wohlgerüstet in den Kampf entsenden konnte. Ebenso bethei- ligte sich Venedig bei der Eroberung von Constantinopel (1201) mit 220 Schiffen, unter denen 100 riesige Dromonen und Uscieri waren,

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Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen01_1891/62>, abgerufen am 08.05.2024.