In den folgenden Jahrhunderten steigt die Republik langsam, aber stetig von dem Höhepunkte ihrer Macht herab. Dank ihrer aus- gezeichneten Flotte vermag sie während der Periode der türkischen Invasion in Europa der enormen ottomanischen Macht zwar die Stirne zu bieten, allein in demselben Masse als durch das Aufleben des oceanischen Verkehres der Portugiesen und Spanier die aus Handel und Industrie fliessenden Hilfsquellen eine immer grössere Einbusse erleiden, sinkt auch die militärische und politische Stellung Venedigs. Dazu gesellen sich Verluste an Landbesitz in der Levante, ein verhängnissvoller Müssiggang aller Bevölkerungsschichten, Abnahme des Rechtsgefühles, kurz, eine Zahl von Ursachen, unter deren Einflusse die Republik mit Beschleunigung ihrem Untergange zueilte, bis sie 1797, von den Ba- jonnetten Bonaparte's eingeschüchtert, ruhmlos erlosch. Der letzte Doge, der schwache Ludovico Manin, hatte den Gedanken Marino Falieri's durchgeführt.
Von da an war das ehemalige Dominium des Markuslöwen zur Beute der Grossstaaten geworden, deren Schicksale es theilte. Venedig, die Mutterstadt, und deren Terra ferma aber schmücken schliesslich als glanzvolle Perlen den Busen der zu Leben und That erwachten jugendlichen Italia.
Während der Blick zurück in die Vergangenheit schweift, kommen wir dem Lande näher. Die langgestreckten und niedrigen Dünen-Inseln, Lidi, die wie ein Schutzwall das Lagunengebiet von der offenen See abschliessen, liegen vor uns. Man gewahrt dort, zum Theile durch die 10 m hohe Aufböschung der berühmten Murazzi gedeckt, Ortschaften, Gärten, Festungswerke. Dahinter bauen sich die Häusermassen Venedigs auf.
In das Labyrinth der Lagunen führen die vier Einfahrten von Lido, Treporti, Malamocco und Chioggia. Die vorletzt genannte ist die Passage der grossen Schiffe; sie wird durch einen 2100 m frei in das Meer gebauten Damm, der 1825 unter der Regierung des Kaisers Franz I. entstand, vor Versandung geschützt. Die Zufahrt von Mala- mocco wird bei stürmischem Wetter auch von den kleinen Schiffen benützt, denn bei Lido, wo ausgedehnte Sandbänke vorgelagert sind, bilden sich bei hohem Seegange infolge der geringen Wassertiefe schwere Brechen und Sturzseen, welche die Schiffahrt ernstlich ge- fährden.
Die Ebbe und Flut treibt eine beachtenswerthe Strömung durch die Lagunen-Canäle zu den genannten Einfahrten und bewirkt Ver- änderungen des Meeresspiegels bis zu einem Meter Höhe. Zur Flut-
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Venedig.
In den folgenden Jahrhunderten steigt die Republik langsam, aber stetig von dem Höhepunkte ihrer Macht herab. Dank ihrer aus- gezeichneten Flotte vermag sie während der Periode der türkischen Invasion in Europa der enormen ottomanischen Macht zwar die Stirne zu bieten, allein in demselben Masse als durch das Aufleben des oceanischen Verkehres der Portugiesen und Spanier die aus Handel und Industrie fliessenden Hilfsquellen eine immer grössere Einbusse erleiden, sinkt auch die militärische und politische Stellung Venedigs. Dazu gesellen sich Verluste an Landbesitz in der Levante, ein verhängnissvoller Müssiggang aller Bevölkerungsschichten, Abnahme des Rechtsgefühles, kurz, eine Zahl von Ursachen, unter deren Einflusse die Republik mit Beschleunigung ihrem Untergange zueilte, bis sie 1797, von den Ba- jonnetten Bonaparte’s eingeschüchtert, ruhmlos erlosch. Der letzte Doge, der schwache Ludovico Manin, hatte den Gedanken Marino Falieri’s durchgeführt.
Von da an war das ehemalige Dominium des Markuslöwen zur Beute der Grossstaaten geworden, deren Schicksale es theilte. Venedig, die Mutterstadt, und deren Terra ferma aber schmücken schliesslich als glanzvolle Perlen den Busen der zu Leben und That erwachten jugendlichen Italia.
Während der Blick zurück in die Vergangenheit schweift, kommen wir dem Lande näher. Die langgestreckten und niedrigen Dünen-Inseln, Lidi, die wie ein Schutzwall das Lagunengebiet von der offenen See abschliessen, liegen vor uns. Man gewahrt dort, zum Theile durch die 10 m hohe Aufböschung der berühmten Murazzi gedeckt, Ortschaften, Gärten, Festungswerke. Dahinter bauen sich die Häusermassen Venedigs auf.
In das Labyrinth der Lagunen führen die vier Einfahrten von Lido, Treporti, Malamocco und Chioggia. Die vorletzt genannte ist die Passage der grossen Schiffe; sie wird durch einen 2100 m frei in das Meer gebauten Damm, der 1825 unter der Regierung des Kaisers Franz I. entstand, vor Versandung geschützt. Die Zufahrt von Mala- mocco wird bei stürmischem Wetter auch von den kleinen Schiffen benützt, denn bei Lido, wo ausgedehnte Sandbänke vorgelagert sind, bilden sich bei hohem Seegange infolge der geringen Wassertiefe schwere Brechen und Sturzseen, welche die Schiffahrt ernstlich ge- fährden.
Die Ebbe und Flut treibt eine beachtenswerthe Strömung durch die Lagunen-Canäle zu den genannten Einfahrten und bewirkt Ver- änderungen des Meeresspiegels bis zu einem Meter Höhe. Zur Flut-
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Venedig.
In den folgenden Jahrhunderten steigt die Republik langsam,
aber stetig von dem Höhepunkte ihrer Macht herab. Dank ihrer aus-
gezeichneten Flotte vermag sie während der Periode der türkischen
Invasion in Europa der enormen ottomanischen Macht zwar die Stirne zu
bieten, allein in demselben Masse als durch das Aufleben des oceanischen
Verkehres der Portugiesen und Spanier die aus Handel und Industrie
fliessenden Hilfsquellen eine immer grössere Einbusse erleiden, sinkt
auch die militärische und politische Stellung Venedigs. Dazu gesellen
sich Verluste an Landbesitz in der Levante, ein verhängnissvoller
Müssiggang aller Bevölkerungsschichten, Abnahme des Rechtsgefühles,
kurz, eine Zahl von Ursachen, unter deren Einflusse die Republik mit
Beschleunigung ihrem Untergange zueilte, bis sie 1797, von den Ba-
jonnetten Bonaparte’s eingeschüchtert, ruhmlos erlosch. Der letzte Doge,
der schwache Ludovico Manin, hatte den Gedanken Marino Falieri’s
durchgeführt.
Von da an war das ehemalige Dominium des Markuslöwen zur
Beute der Grossstaaten geworden, deren Schicksale es theilte. Venedig,
die Mutterstadt, und deren Terra ferma aber schmücken schliesslich
als glanzvolle Perlen den Busen der zu Leben und That erwachten
jugendlichen Italia.
Während der Blick zurück in die Vergangenheit schweift,
kommen wir dem Lande näher. Die langgestreckten und niedrigen
Dünen-Inseln, Lidi, die wie ein Schutzwall das Lagunengebiet von
der offenen See abschliessen, liegen vor uns. Man gewahrt dort, zum
Theile durch die 10 m hohe Aufböschung der berühmten Murazzi
gedeckt, Ortschaften, Gärten, Festungswerke. Dahinter bauen sich die
Häusermassen Venedigs auf.
In das Labyrinth der Lagunen führen die vier Einfahrten von
Lido, Treporti, Malamocco und Chioggia. Die vorletzt genannte ist
die Passage der grossen Schiffe; sie wird durch einen 2100 m frei in
das Meer gebauten Damm, der 1825 unter der Regierung des Kaisers
Franz I. entstand, vor Versandung geschützt. Die Zufahrt von Mala-
mocco wird bei stürmischem Wetter auch von den kleinen Schiffen
benützt, denn bei Lido, wo ausgedehnte Sandbänke vorgelagert sind,
bilden sich bei hohem Seegange infolge der geringen Wassertiefe
schwere Brechen und Sturzseen, welche die Schiffahrt ernstlich ge-
fährden.
Die Ebbe und Flut treibt eine beachtenswerthe Strömung durch
die Lagunen-Canäle zu den genannten Einfahrten und bewirkt Ver-
änderungen des Meeresspiegels bis zu einem Meter Höhe. Zur Flut-
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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen01_1891/55>, abgerufen am 23.11.2024.
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