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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891.

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Das Mittelmeerbecken.
Ramses und der der Ptolemäer angelegt waren. Er spendet überall
Fruchtbarkeit und ermöglicht bei einer Tiefe von 1·2 m den Verkehr
mit ziemlich grossen Booten. In den letzten Jahren ist der Canal
ebenso verschlammt, wie die Unternehmungen des Alterthums und be-
darf schon dringend einer Reinigung.

Keinem der grossen Bauwerke aller Zeiten fehlt so gänzlich wie
dem Suez-Canal die Fähigkeit, sinnliche Wahrnehmungen hervor-
zurufen, welche zur unmittelbaren Empfindung des Grossartigen führen.

Mehr noch als für jenen, der von Süden in den Canal einfährt,
ist für den von Norden kommenden Besucher der Anblick des Canals
jeden Reizes bar, und nichts ist da, was den suchenden Blick irgend-
wie fesseln könnte. Zu beiden Seiten des anfänglich (wegen des
flachen Profils nur scheinbar) breiten Canals niedrige kahle Sand-
dämme, bald darauf weite Wasserflächen, weitläufige, seichte, schlam-
mige Lagunen; weiter seitwärts gänzlich flaches, sonnverbranntes
wüstes Land. Weit vor oder hinter uns ein Schiff -- eintönige, me-
lancholische Ruhe über dem Ganzen. Aber vielleicht ist es eben jene
Ruhe und Stille, welche den Gedanken an das Getümmel und Ge-
wimmel wachruft, die hier an derselben Stelle geherrscht haben
müssen, als während mehr als zehnjähriger Dauer (22. April 1859
bis 17. November 1869) Tausende und Tausende von Menschen in
emsiger Ameisenarbeit vereinigt waren, um das Riesenwerk zu schaffen,
an dessen Bestehen und Benützen die heutige Generation vielleicht
schon zu sehr gewöhnt ist, um sich die Gefühle vergegenwärtigen zu
können, welche dessen Vollendung vor mehr als zwanzig Jahren wach-
rief. 75 Millionen Cubikmeter Erde mussten in Bewegung gebracht
werden, um den über 160 km langen, durchaus über 8 m tiefen, an der
Sohle nirgends weniger als 22 m breiten Canal zu graben und ihn
gegen Flugsand durch Dämme zu schützen; eine halbe Million Cubik-
meter Erde und Schlamm muss jährlich nachgebaggert werden, um die
Wasserstrasse in klaglos fahrbarem Zustande zu erhalten.

Die Gesammtkosten für den Bau und die erste Einrichtung des
Canals, eingeschlossen die Kosten für die Verbesserung des Canals
und die Anleihe, betrugen bis Ende 1883 488,055.019 Francs. Der
Werth der Baulichkeiten und des Inventars der Compagnie, wie der
der disponiblen und der realisirbaren Activen wurde auf 72,660.223 Frcs.
geschätzt. Für die später zu besprechende Erweiterung und Vertiefung
des Canals wurde in den letzten Jahren eine Anleihe von 100 Millionen
Francs gemacht.

Als die von den Franzosen gezeichneten Anleihen zur Vollendung

Das Mittelmeerbecken.
Ramses und der der Ptolemäer angelegt waren. Er spendet überall
Fruchtbarkeit und ermöglicht bei einer Tiefe von 1·2 m den Verkehr
mit ziemlich grossen Booten. In den letzten Jahren ist der Canal
ebenso verschlammt, wie die Unternehmungen des Alterthums und be-
darf schon dringend einer Reinigung.

Keinem der grossen Bauwerke aller Zeiten fehlt so gänzlich wie
dem Suez-Canal die Fähigkeit, sinnliche Wahrnehmungen hervor-
zurufen, welche zur unmittelbaren Empfindung des Grossartigen führen.

Mehr noch als für jenen, der von Süden in den Canal einfährt,
ist für den von Norden kommenden Besucher der Anblick des Canals
jeden Reizes bar, und nichts ist da, was den suchenden Blick irgend-
wie fesseln könnte. Zu beiden Seiten des anfänglich (wegen des
flachen Profils nur scheinbar) breiten Canals niedrige kahle Sand-
dämme, bald darauf weite Wasserflächen, weitläufige, seichte, schlam-
mige Lagunen; weiter seitwärts gänzlich flaches, sonnverbranntes
wüstes Land. Weit vor oder hinter uns ein Schiff — eintönige, me-
lancholische Ruhe über dem Ganzen. Aber vielleicht ist es eben jene
Ruhe und Stille, welche den Gedanken an das Getümmel und Ge-
wimmel wachruft, die hier an derselben Stelle geherrscht haben
müssen, als während mehr als zehnjähriger Dauer (22. April 1859
bis 17. November 1869) Tausende und Tausende von Menschen in
emsiger Ameisenarbeit vereinigt waren, um das Riesenwerk zu schaffen,
an dessen Bestehen und Benützen die heutige Generation vielleicht
schon zu sehr gewöhnt ist, um sich die Gefühle vergegenwärtigen zu
können, welche dessen Vollendung vor mehr als zwanzig Jahren wach-
rief. 75 Millionen Cubikmeter Erde mussten in Bewegung gebracht
werden, um den über 160 km langen, durchaus über 8 m tiefen, an der
Sohle nirgends weniger als 22 m breiten Canal zu graben und ihn
gegen Flugsand durch Dämme zu schützen; eine halbe Million Cubik-
meter Erde und Schlamm muss jährlich nachgebaggert werden, um die
Wasserstrasse in klaglos fahrbarem Zustande zu erhalten.

Die Gesammtkosten für den Bau und die erste Einrichtung des
Canals, eingeschlossen die Kosten für die Verbesserung des Canals
und die Anleihe, betrugen bis Ende 1883 488,055.019 Francs. Der
Werth der Baulichkeiten und des Inventars der Compagnie, wie der
der disponiblen und der realisirbaren Activen wurde auf 72,660.223 Frcs.
geschätzt. Für die später zu besprechende Erweiterung und Vertiefung
des Canals wurde in den letzten Jahren eine Anleihe von 100 Millionen
Francs gemacht.

Als die von den Franzosen gezeichneten Anleihen zur Vollendung

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[258/0278] Das Mittelmeerbecken. Ramses und der der Ptolemäer angelegt waren. Er spendet überall Fruchtbarkeit und ermöglicht bei einer Tiefe von 1·2 m den Verkehr mit ziemlich grossen Booten. In den letzten Jahren ist der Canal ebenso verschlammt, wie die Unternehmungen des Alterthums und be- darf schon dringend einer Reinigung. Keinem der grossen Bauwerke aller Zeiten fehlt so gänzlich wie dem Suez-Canal die Fähigkeit, sinnliche Wahrnehmungen hervor- zurufen, welche zur unmittelbaren Empfindung des Grossartigen führen. Mehr noch als für jenen, der von Süden in den Canal einfährt, ist für den von Norden kommenden Besucher der Anblick des Canals jeden Reizes bar, und nichts ist da, was den suchenden Blick irgend- wie fesseln könnte. Zu beiden Seiten des anfänglich (wegen des flachen Profils nur scheinbar) breiten Canals niedrige kahle Sand- dämme, bald darauf weite Wasserflächen, weitläufige, seichte, schlam- mige Lagunen; weiter seitwärts gänzlich flaches, sonnverbranntes wüstes Land. Weit vor oder hinter uns ein Schiff — eintönige, me- lancholische Ruhe über dem Ganzen. Aber vielleicht ist es eben jene Ruhe und Stille, welche den Gedanken an das Getümmel und Ge- wimmel wachruft, die hier an derselben Stelle geherrscht haben müssen, als während mehr als zehnjähriger Dauer (22. April 1859 bis 17. November 1869) Tausende und Tausende von Menschen in emsiger Ameisenarbeit vereinigt waren, um das Riesenwerk zu schaffen, an dessen Bestehen und Benützen die heutige Generation vielleicht schon zu sehr gewöhnt ist, um sich die Gefühle vergegenwärtigen zu können, welche dessen Vollendung vor mehr als zwanzig Jahren wach- rief. 75 Millionen Cubikmeter Erde mussten in Bewegung gebracht werden, um den über 160 km langen, durchaus über 8 m tiefen, an der Sohle nirgends weniger als 22 m breiten Canal zu graben und ihn gegen Flugsand durch Dämme zu schützen; eine halbe Million Cubik- meter Erde und Schlamm muss jährlich nachgebaggert werden, um die Wasserstrasse in klaglos fahrbarem Zustande zu erhalten. Die Gesammtkosten für den Bau und die erste Einrichtung des Canals, eingeschlossen die Kosten für die Verbesserung des Canals und die Anleihe, betrugen bis Ende 1883 488,055.019 Francs. Der Werth der Baulichkeiten und des Inventars der Compagnie, wie der der disponiblen und der realisirbaren Activen wurde auf 72,660.223 Frcs. geschätzt. Für die später zu besprechende Erweiterung und Vertiefung des Canals wurde in den letzten Jahren eine Anleihe von 100 Millionen Francs gemacht. Als die von den Franzosen gezeichneten Anleihen zur Vollendung

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Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen01_1891/278>, abgerufen am 17.05.2024.