Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891.

Bild:
<< vorherige Seite

Beirut.
die anderen aufmerksam den verkündeten Sprüchen des Korans
lauschten. Wir gelangten in den viereckigen mit Marmor getäfelten
Hof; die ihn umgebenden Arcaden sind zum Theil von korinthischen
Säulen, zum Theil nur von Pfeilern getragen. Einige Indier hockten
in den Ecken des länglichen Hofes. Während die Herren sich bei
den Dreh-Derwischen aufhielten, gingen wir Damen nochmals durch
den Bazar und zum Hotel zurück, wo sich alle um 7 Uhr zum Diner
einfanden.

"Nach demselben harrte unser ein ganz besonderes Schauspiel,
welches einigen der Mitreisenden Grauen einflösste. Es traten in
unseren Kreis einige Türken, bekannt als Feuer- und Schlangenfresser
und Schlangenbändiger. Zur Production entledigten sie sich der Ober-
kleider. Sie hatten eigenthümliche, lang zugespitzte Waffen mit einem
Kolben am Ende, welche sie sich durch Magen, Wangen und Brust
stiessen. Nach dem Experimente des Durchstechens der Wange steckten
sie zu beiden Seiten des Spiesses brennende Kerzen. Nun legte sich
der eine mit dem Magen auf die Schneide eines krummen Schwertes,
während der andere sich auf dessen Rücken stellte. Einige der Waffen
erwarben wir als Erinnerung an die schaurige Stunde. Jetzt kam die
Reihe an die Schlangenfresser. Die Schlangen wurden entzweigeschnitten
und die noch zuckenden Stücke unter Beschwörungsformeln in den
Mund gesteckt. Unter Krämpfen und Zittern des ganzen Körpers
würgten und zerbissen sie die einzelnen Stücke, so dass die Fetzen
der Haut zu beiden Seiten des Mundes herunterhingen. Der Anführer
blies einige Schlangenfresser unter Gemurmel an, worauf sie sich
beruhigten. Einige steckten auch glühende Kohlen in den Mund und
behielten sie bis zum Erlöschen. Mit diesen unglaublichen Kunst-
stücken beendeten sie ihre unvergesslichen Productionen.

"Um 9 Uhr fuhren wir bei herrlichem Mondschein und funkeln-
dem Sternenhimmel durch die schlummernden Strassen des finsteren
Bazars, dessen einzelne Abtheilungen während der Nacht durch rie-
sige Thore geschlossen werden. Unheimliche Stille herrschte darin,
nur zeitweise unterbrochen durch das Geheul der herrenlosen Hunde.
Die Wächter, die in diesen Gängen sich bewegen, sind die einzigen
Menschen, denen man zu so später Stunde hier begegnet. Nach drei-
viertelstündiger Fahrt hatten wir das christlich-orientalische Haus des
österreichisch-ungarischen Consuls erreicht, in welchem ein von ihm
inscenirtes Fest stattfand. Bei demselben tanzten Frauen ganz eigen-
thümliche Tänze unter Begleitung von näselndem Gesang und ganz
urwüchsigen Instrumenten. Gegen 11 Uhr verabschiedeten wir uns und

31*

Beirut.
die anderen aufmerksam den verkündeten Sprüchen des Korans
lauschten. Wir gelangten in den viereckigen mit Marmor getäfelten
Hof; die ihn umgebenden Arcaden sind zum Theil von korinthischen
Säulen, zum Theil nur von Pfeilern getragen. Einige Indier hockten
in den Ecken des länglichen Hofes. Während die Herren sich bei
den Dreh-Derwischen aufhielten, gingen wir Damen nochmals durch
den Bazar und zum Hôtel zurück, wo sich alle um 7 Uhr zum Diner
einfanden.

„Nach demselben harrte unser ein ganz besonderes Schauspiel,
welches einigen der Mitreisenden Grauen einflösste. Es traten in
unseren Kreis einige Türken, bekannt als Feuer- und Schlangenfresser
und Schlangenbändiger. Zur Production entledigten sie sich der Ober-
kleider. Sie hatten eigenthümliche, lang zugespitzte Waffen mit einem
Kolben am Ende, welche sie sich durch Magen, Wangen und Brust
stiessen. Nach dem Experimente des Durchstechens der Wange steckten
sie zu beiden Seiten des Spiesses brennende Kerzen. Nun legte sich
der eine mit dem Magen auf die Schneide eines krummen Schwertes,
während der andere sich auf dessen Rücken stellte. Einige der Waffen
erwarben wir als Erinnerung an die schaurige Stunde. Jetzt kam die
Reihe an die Schlangenfresser. Die Schlangen wurden entzweigeschnitten
und die noch zuckenden Stücke unter Beschwörungsformeln in den
Mund gesteckt. Unter Krämpfen und Zittern des ganzen Körpers
würgten und zerbissen sie die einzelnen Stücke, so dass die Fetzen
der Haut zu beiden Seiten des Mundes herunterhingen. Der Anführer
blies einige Schlangenfresser unter Gemurmel an, worauf sie sich
beruhigten. Einige steckten auch glühende Kohlen in den Mund und
behielten sie bis zum Erlöschen. Mit diesen unglaublichen Kunst-
stücken beendeten sie ihre unvergesslichen Productionen.

„Um 9 Uhr fuhren wir bei herrlichem Mondschein und funkeln-
dem Sternenhimmel durch die schlummernden Strassen des finsteren
Bazars, dessen einzelne Abtheilungen während der Nacht durch rie-
sige Thore geschlossen werden. Unheimliche Stille herrschte darin,
nur zeitweise unterbrochen durch das Geheul der herrenlosen Hunde.
Die Wächter, die in diesen Gängen sich bewegen, sind die einzigen
Menschen, denen man zu so später Stunde hier begegnet. Nach drei-
viertelstündiger Fahrt hatten wir das christlich-orientalische Haus des
österreichisch-ungarischen Consuls erreicht, in welchem ein von ihm
inscenirtes Fest stattfand. Bei demselben tanzten Frauen ganz eigen-
thümliche Tänze unter Begleitung von näselndem Gesang und ganz
urwüchsigen Instrumenten. Gegen 11 Uhr verabschiedeten wir uns und

31*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0263" n="243"/><fw place="top" type="header">Beirut.</fw><lb/>
die anderen aufmerksam den verkündeten Sprüchen des Korans<lb/>
lauschten. Wir gelangten in den viereckigen mit Marmor getäfelten<lb/>
Hof; die ihn umgebenden Arcaden sind zum Theil von korinthischen<lb/>
Säulen, zum Theil nur von Pfeilern getragen. Einige Indier hockten<lb/>
in den Ecken des länglichen Hofes. Während die Herren sich bei<lb/>
den Dreh-Derwischen aufhielten, gingen wir Damen nochmals durch<lb/>
den Bazar und zum Hôtel zurück, wo sich alle um 7 Uhr zum Diner<lb/>
einfanden.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Nach demselben harrte unser ein ganz besonderes Schauspiel,<lb/>
welches einigen der Mitreisenden Grauen einflösste. Es traten in<lb/>
unseren Kreis einige Türken, bekannt als Feuer- und Schlangenfresser<lb/>
und Schlangenbändiger. Zur Production entledigten sie sich der Ober-<lb/>
kleider. Sie hatten eigenthümliche, lang zugespitzte Waffen mit einem<lb/>
Kolben am Ende, welche sie sich durch Magen, Wangen und Brust<lb/>
stiessen. Nach dem Experimente des Durchstechens der Wange steckten<lb/>
sie zu beiden Seiten des Spiesses brennende Kerzen. Nun legte sich<lb/>
der eine mit dem Magen auf die Schneide eines krummen Schwertes,<lb/>
während der andere sich auf dessen Rücken stellte. Einige der Waffen<lb/>
erwarben wir als Erinnerung an die schaurige Stunde. Jetzt kam die<lb/>
Reihe an die Schlangenfresser. Die Schlangen wurden entzweigeschnitten<lb/>
und die noch zuckenden Stücke unter Beschwörungsformeln in den<lb/>
Mund gesteckt. Unter Krämpfen und Zittern des ganzen Körpers<lb/>
würgten und zerbissen sie die einzelnen Stücke, so dass die Fetzen<lb/>
der Haut zu beiden Seiten des Mundes herunterhingen. Der Anführer<lb/>
blies einige Schlangenfresser unter Gemurmel an, worauf sie sich<lb/>
beruhigten. Einige steckten auch glühende Kohlen in den Mund und<lb/>
behielten sie bis zum Erlöschen. Mit diesen unglaublichen Kunst-<lb/>
stücken beendeten sie ihre unvergesslichen Productionen.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Um 9 Uhr fuhren wir bei herrlichem Mondschein und funkeln-<lb/>
dem Sternenhimmel durch die schlummernden Strassen des finsteren<lb/>
Bazars, dessen einzelne Abtheilungen während der Nacht durch rie-<lb/>
sige Thore geschlossen werden. Unheimliche Stille herrschte darin,<lb/>
nur zeitweise unterbrochen durch das Geheul der herrenlosen Hunde.<lb/>
Die Wächter, die in diesen Gängen sich bewegen, sind die einzigen<lb/>
Menschen, denen man zu so später Stunde hier begegnet. Nach drei-<lb/>
viertelstündiger Fahrt hatten wir das christlich-orientalische Haus des<lb/>
österreichisch-ungarischen Consuls erreicht, in welchem ein von ihm<lb/>
inscenirtes Fest stattfand. Bei demselben tanzten Frauen ganz eigen-<lb/>
thümliche Tänze unter Begleitung von näselndem Gesang und ganz<lb/>
urwüchsigen Instrumenten. Gegen 11 Uhr verabschiedeten wir uns und<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">31*</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[243/0263] Beirut. die anderen aufmerksam den verkündeten Sprüchen des Korans lauschten. Wir gelangten in den viereckigen mit Marmor getäfelten Hof; die ihn umgebenden Arcaden sind zum Theil von korinthischen Säulen, zum Theil nur von Pfeilern getragen. Einige Indier hockten in den Ecken des länglichen Hofes. Während die Herren sich bei den Dreh-Derwischen aufhielten, gingen wir Damen nochmals durch den Bazar und zum Hôtel zurück, wo sich alle um 7 Uhr zum Diner einfanden. „Nach demselben harrte unser ein ganz besonderes Schauspiel, welches einigen der Mitreisenden Grauen einflösste. Es traten in unseren Kreis einige Türken, bekannt als Feuer- und Schlangenfresser und Schlangenbändiger. Zur Production entledigten sie sich der Ober- kleider. Sie hatten eigenthümliche, lang zugespitzte Waffen mit einem Kolben am Ende, welche sie sich durch Magen, Wangen und Brust stiessen. Nach dem Experimente des Durchstechens der Wange steckten sie zu beiden Seiten des Spiesses brennende Kerzen. Nun legte sich der eine mit dem Magen auf die Schneide eines krummen Schwertes, während der andere sich auf dessen Rücken stellte. Einige der Waffen erwarben wir als Erinnerung an die schaurige Stunde. Jetzt kam die Reihe an die Schlangenfresser. Die Schlangen wurden entzweigeschnitten und die noch zuckenden Stücke unter Beschwörungsformeln in den Mund gesteckt. Unter Krämpfen und Zittern des ganzen Körpers würgten und zerbissen sie die einzelnen Stücke, so dass die Fetzen der Haut zu beiden Seiten des Mundes herunterhingen. Der Anführer blies einige Schlangenfresser unter Gemurmel an, worauf sie sich beruhigten. Einige steckten auch glühende Kohlen in den Mund und behielten sie bis zum Erlöschen. Mit diesen unglaublichen Kunst- stücken beendeten sie ihre unvergesslichen Productionen. „Um 9 Uhr fuhren wir bei herrlichem Mondschein und funkeln- dem Sternenhimmel durch die schlummernden Strassen des finsteren Bazars, dessen einzelne Abtheilungen während der Nacht durch rie- sige Thore geschlossen werden. Unheimliche Stille herrschte darin, nur zeitweise unterbrochen durch das Geheul der herrenlosen Hunde. Die Wächter, die in diesen Gängen sich bewegen, sind die einzigen Menschen, denen man zu so später Stunde hier begegnet. Nach drei- viertelstündiger Fahrt hatten wir das christlich-orientalische Haus des österreichisch-ungarischen Consuls erreicht, in welchem ein von ihm inscenirtes Fest stattfand. Bei demselben tanzten Frauen ganz eigen- thümliche Tänze unter Begleitung von näselndem Gesang und ganz urwüchsigen Instrumenten. Gegen 11 Uhr verabschiedeten wir uns und 31*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen01_1891
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen01_1891/263
Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891, S. 243. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen01_1891/263>, abgerufen am 17.05.2024.