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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891.

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Norden hingegen erhebt sich die Bergkette des Haurangebietes, be-
rüchtigt durch seine Beduinenstämme. Auch diese eigenthümliche
Landschaft besitzt einen unbeschreiblichen Farbenzauber.

"Nun kehren wir zur Stadt zurück, die einzelnen Viertel zu be-
sichtigen. Der erste Gang gilt dem Bazar, welcher den inneren Theil
derselben bildet. Obwohl er im Wesentlichen denen aller orientalischen
Städte gleicht, übertrifft er sie doch an Ausdehnung und Reichhaltig-
keit und gehört unstreitig zu den malerischesten. Die verschiedenen
Gewerbe und Fabricate, deren Auswahl grossartig ist, sind in be-
stimmte Gassen vertheilt, welche durch riesige alte Holzthore mit
antiken Eisenbeschlägen von einander geschieden sind. Die Buden
sind schrankartig gebaut, gegen die Gasse zu offen, so dass die
Handwerker ihre Arbeiten vor aller Augen verrichten. Die Werkzeuge,
deren sie sich dabei bedienen, sind grösstentheils sehr veraltet, desto
bewunderungswürdiger ist die Geschicklichkeit, mit der sie dieselben
handhaben. Holzgerüste, von denen schwere uralte Teppiche herab-
hängen, überdecken die Gassen. Es gibt einen prächtig magischen
Effect, wenn ein Sonnenstrahl verstohlen das Dämmerlicht durchdringt
und auf den bunten Waaren spielt. Fast alle Völker des Morgenlandes
sind hier vertreten und wogen rastlos und geschäftig in den engen
Gassen umher. Je weiter wir in diesem Labyrinth von Strassen und
Gässchen eindringen, desto dichter wird das Gewühl, so dass wir die
interessantesten Typen und verschiedensten Costüme genau beobachten
können. Neben einheimischen Arabern sehen wir Türken, Perser, in-
dische Pilger, echte Zigeuner, Derwische aus Bagdad, Leute aus Af-
ghanistan, Armenier, Kurden, Tscherkessen und Cirkassier, ferner
Araber aus Palästina und wundervolle Gestalten aus dem afrikanischen
Orient; ausserdem noch viele Mohren, blonde Maroniten mit fast nor-
dischem Aussehen, wilde Drusen, ganze Gruppen dunkelfärbiger Be-
duinen, jene lebhaften unheimlichen Gesellen aus dem Hauraugebiete
und der Umgebung von Damaskus, welche unsere Aufmerksamkeit
durch ihre herrlichen biegsamen Gestalten fesseln. Die Entschlossen-
heit, die gemessenen Bewegungen, das Selbstbewusstein, mit welchem
diese Söhne der Wüste herumwandeln, verleihen ihnen eine gewisse
unverkennbare Würde. Die meisten derselben sind hoch gewachsen, hager,
aber sehnig und musculös. Ihre schönen regelmässigen Gesichtszüge sind
scharf geschnitten und sie wären passende Modelle für Maler zu
Christusköpfen.

"Durch die breiteren Bazarstrassen schreiten gravitätisch lange
Reihen schwer beladener Kameele, eines an das andere gebunden,

Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 31

Beirut.
Norden hingegen erhebt sich die Bergkette des Haurangebietes, be-
rüchtigt durch seine Beduinenstämme. Auch diese eigenthümliche
Landschaft besitzt einen unbeschreiblichen Farbenzauber.

„Nun kehren wir zur Stadt zurück, die einzelnen Viertel zu be-
sichtigen. Der erste Gang gilt dem Bazar, welcher den inneren Theil
derselben bildet. Obwohl er im Wesentlichen denen aller orientalischen
Städte gleicht, übertrifft er sie doch an Ausdehnung und Reichhaltig-
keit und gehört unstreitig zu den malerischesten. Die verschiedenen
Gewerbe und Fabricate, deren Auswahl grossartig ist, sind in be-
stimmte Gassen vertheilt, welche durch riesige alte Holzthore mit
antiken Eisenbeschlägen von einander geschieden sind. Die Buden
sind schrankartig gebaut, gegen die Gasse zu offen, so dass die
Handwerker ihre Arbeiten vor aller Augen verrichten. Die Werkzeuge,
deren sie sich dabei bedienen, sind grösstentheils sehr veraltet, desto
bewunderungswürdiger ist die Geschicklichkeit, mit der sie dieselben
handhaben. Holzgerüste, von denen schwere uralte Teppiche herab-
hängen, überdecken die Gassen. Es gibt einen prächtig magischen
Effect, wenn ein Sonnenstrahl verstohlen das Dämmerlicht durchdringt
und auf den bunten Waaren spielt. Fast alle Völker des Morgenlandes
sind hier vertreten und wogen rastlos und geschäftig in den engen
Gassen umher. Je weiter wir in diesem Labyrinth von Strassen und
Gässchen eindringen, desto dichter wird das Gewühl, so dass wir die
interessantesten Typen und verschiedensten Costüme genau beobachten
können. Neben einheimischen Arabern sehen wir Türken, Perser, in-
dische Pilger, echte Zigeuner, Derwische aus Bagdad, Leute aus Af-
ghanistan, Armenier, Kurden, Tscherkessen und Cirkassier, ferner
Araber aus Palästina und wundervolle Gestalten aus dem afrikanischen
Orient; ausserdem noch viele Mohren, blonde Maroniten mit fast nor-
dischem Aussehen, wilde Drusen, ganze Gruppen dunkelfärbiger Be-
duinen, jene lebhaften unheimlichen Gesellen aus dem Hauraugebiete
und der Umgebung von Damaskus, welche unsere Aufmerksamkeit
durch ihre herrlichen biegsamen Gestalten fesseln. Die Entschlossen-
heit, die gemessenen Bewegungen, das Selbstbewusstein, mit welchem
diese Söhne der Wüste herumwandeln, verleihen ihnen eine gewisse
unverkennbare Würde. Die meisten derselben sind hoch gewachsen, hager,
aber sehnig und musculös. Ihre schönen regelmässigen Gesichtszüge sind
scharf geschnitten und sie wären passende Modelle für Maler zu
Christusköpfen.

„Durch die breiteren Bazarstrassen schreiten gravitätisch lange
Reihen schwer beladener Kameele, eines an das andere gebunden,

Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 31
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[241/0261] Beirut. Norden hingegen erhebt sich die Bergkette des Haurangebietes, be- rüchtigt durch seine Beduinenstämme. Auch diese eigenthümliche Landschaft besitzt einen unbeschreiblichen Farbenzauber. „Nun kehren wir zur Stadt zurück, die einzelnen Viertel zu be- sichtigen. Der erste Gang gilt dem Bazar, welcher den inneren Theil derselben bildet. Obwohl er im Wesentlichen denen aller orientalischen Städte gleicht, übertrifft er sie doch an Ausdehnung und Reichhaltig- keit und gehört unstreitig zu den malerischesten. Die verschiedenen Gewerbe und Fabricate, deren Auswahl grossartig ist, sind in be- stimmte Gassen vertheilt, welche durch riesige alte Holzthore mit antiken Eisenbeschlägen von einander geschieden sind. Die Buden sind schrankartig gebaut, gegen die Gasse zu offen, so dass die Handwerker ihre Arbeiten vor aller Augen verrichten. Die Werkzeuge, deren sie sich dabei bedienen, sind grösstentheils sehr veraltet, desto bewunderungswürdiger ist die Geschicklichkeit, mit der sie dieselben handhaben. Holzgerüste, von denen schwere uralte Teppiche herab- hängen, überdecken die Gassen. Es gibt einen prächtig magischen Effect, wenn ein Sonnenstrahl verstohlen das Dämmerlicht durchdringt und auf den bunten Waaren spielt. Fast alle Völker des Morgenlandes sind hier vertreten und wogen rastlos und geschäftig in den engen Gassen umher. Je weiter wir in diesem Labyrinth von Strassen und Gässchen eindringen, desto dichter wird das Gewühl, so dass wir die interessantesten Typen und verschiedensten Costüme genau beobachten können. Neben einheimischen Arabern sehen wir Türken, Perser, in- dische Pilger, echte Zigeuner, Derwische aus Bagdad, Leute aus Af- ghanistan, Armenier, Kurden, Tscherkessen und Cirkassier, ferner Araber aus Palästina und wundervolle Gestalten aus dem afrikanischen Orient; ausserdem noch viele Mohren, blonde Maroniten mit fast nor- dischem Aussehen, wilde Drusen, ganze Gruppen dunkelfärbiger Be- duinen, jene lebhaften unheimlichen Gesellen aus dem Hauraugebiete und der Umgebung von Damaskus, welche unsere Aufmerksamkeit durch ihre herrlichen biegsamen Gestalten fesseln. Die Entschlossen- heit, die gemessenen Bewegungen, das Selbstbewusstein, mit welchem diese Söhne der Wüste herumwandeln, verleihen ihnen eine gewisse unverkennbare Würde. Die meisten derselben sind hoch gewachsen, hager, aber sehnig und musculös. Ihre schönen regelmässigen Gesichtszüge sind scharf geschnitten und sie wären passende Modelle für Maler zu Christusköpfen. „Durch die breiteren Bazarstrassen schreiten gravitätisch lange Reihen schwer beladener Kameele, eines an das andere gebunden, Die Seehäfen des Weltverkehrs. I. Band. 31

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Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891, S. 241. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen01_1891/261>, abgerufen am 17.05.2024.