Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891.

Bild:
<< vorherige Seite

Das Mittelmeerbecken.
der Levante, Perle des Morgenlandes, Auge Anatoliens" u. s. w. ge-
nannt, gehört zu jenen Plätzen, welche, dank einer ganz besonders
bevorzugten geographischen Lage, aus allen von aussen kommenden
Schicksalswandlungen, dem Phönix gleich, sich in neuer Lebenskraft
erheben, immer wieder zu einer handelsbeherrschenden Stellung
erblühen.

Smyrna, das türkische Ismir, liegt unter 38° 26' nördl. B. und
27° 9' östl. L. von Gr. (Hafenbecken) am Ende eines der präch-
tigsten Golfe der Erde. Von dem Cap Kara Burun an über 68 km
tief in das Land eingeschnitten, ist das Becken bei einer wechselnden
Breite von 3--18 km vielfach von malerischen Höhen mit fruchtbaren
Thalläufen und anmuthigen Ortschaften umrahmt. Im Norden gewahrt
man die Bergwände des Sipylos, im Osten den Jonischen Olymp und
im Süden die Gebirgsgruppe des Mimasmu.

Die Einfahrt in den Golf markirt das steile Cap Kara Burun, dem
gegenüber am Festlande der Hafenort Phokia (türkisch Fotscha) liegt.
Hier lag das antike seemächtige Phokäa, die Mutterstadt von Mas-
silia (Marseille). Die fruchtbare Insel Chio, die mit Smyrna in regster
Verbindung steht, bleibt im SW des genannten Cap. Im Smyrna-
Golfe lagert südöstlich des Caps die nahezu 13 km lange Insel
Makronisi (türkisch Usun Ada, lange Insel). Ausgebreitete Feigen-
und Olivenhaine bezeichnen den kleinen Ort Vurla (das alte
Klazomenä) an der Südküste, dessen gute Rhede sehr oft von
Schiffen besucht wird. Von hier aus nimmt der Golf eine völlige Ost-
richtung an und wird durch die sich vorschiebende Alluvialebene und
das Delta des hier mündenden Gedis-Tschai (des alten Hermos), der
seine Ablagerungen mit jedem Jahre weiter seewärts absetzt, so be-
deutend eingeengt, dass die Gefahr einer gänzlichen Abschliessung
des Hafens von Smyrna zu befürchten ist, wenn nicht energische
Massregeln zur Beseitigung derselben ergriffen werden.

Das Fahrwasser in der Enge des Schlosses Sandjak-Kalessi hat
bei einer Längserstreckung von 7 km eine Minimalbreite von nur mehr
einen Kilometer und sind die grossen Schiffe gezwungen, ganz nahe
an der Südküste sich zu halten.

Die Rhede von Smyrna ist nur gegen Westen ungeschützt; allein
das am Hafenquai erbaute Bassin vermag eine bedeutende Zahl von
Schiffen aufzunehmen und gestattet diesen selbst bei stürmischer Wit-
terung die Verkehrsoperationen vorzunehmen, wohingegen die auf der
Rhede liegenden Schiffe bei Eintritt schlechten Wetters zur Un-
thätigkeit verurtheilt sind. Das heutige Smyrna lagert, wie unser

Das Mittelmeerbecken.
der Levante, Perle des Morgenlandes, Auge Anatoliens“ u. s. w. ge-
nannt, gehört zu jenen Plätzen, welche, dank einer ganz besonders
bevorzugten geographischen Lage, aus allen von aussen kommenden
Schicksalswandlungen, dem Phönix gleich, sich in neuer Lebenskraft
erheben, immer wieder zu einer handelsbeherrschenden Stellung
erblühen.

Smyrna, das türkische Ismir, liegt unter 38° 26′ nördl. B. und
27° 9′ östl. L. von Gr. (Hafenbecken) am Ende eines der präch-
tigsten Golfe der Erde. Von dem Cap Kara Burun an über 68 km
tief in das Land eingeschnitten, ist das Becken bei einer wechselnden
Breite von 3—18 km vielfach von malerischen Höhen mit fruchtbaren
Thalläufen und anmuthigen Ortschaften umrahmt. Im Norden gewahrt
man die Bergwände des Sipylos, im Osten den Jonischen Olymp und
im Süden die Gebirgsgruppe des Mimasmu.

Die Einfahrt in den Golf markirt das steile Cap Kara Burun, dem
gegenüber am Festlande der Hafenort Phokia (türkisch Fotscha) liegt.
Hier lag das antike seemächtige Phokäa, die Mutterstadt von Mas-
silia (Marseille). Die fruchtbare Insel Chio, die mit Smyrna in regster
Verbindung steht, bleibt im SW des genannten Cap. Im Smyrna-
Golfe lagert südöstlich des Caps die nahezu 13 km lange Insel
Makronisi (türkisch Usun Ada, lange Insel). Ausgebreitete Feigen-
und Olivenhaine bezeichnen den kleinen Ort Vurla (das alte
Klazomenä) an der Südküste, dessen gute Rhede sehr oft von
Schiffen besucht wird. Von hier aus nimmt der Golf eine völlige Ost-
richtung an und wird durch die sich vorschiebende Alluvialebene und
das Delta des hier mündenden Gedis-Tschai (des alten Hermos), der
seine Ablagerungen mit jedem Jahre weiter seewärts absetzt, so be-
deutend eingeengt, dass die Gefahr einer gänzlichen Abschliessung
des Hafens von Smyrna zu befürchten ist, wenn nicht energische
Massregeln zur Beseitigung derselben ergriffen werden.

Das Fahrwasser in der Enge des Schlosses Sandjak-Kalessi hat
bei einer Längserstreckung von 7 km eine Minimalbreite von nur mehr
einen Kilometer und sind die grossen Schiffe gezwungen, ganz nahe
an der Südküste sich zu halten.

Die Rhede von Smyrna ist nur gegen Westen ungeschützt; allein
das am Hafenquai erbaute Bassin vermag eine bedeutende Zahl von
Schiffen aufzunehmen und gestattet diesen selbst bei stürmischer Wit-
terung die Verkehrsoperationen vorzunehmen, wohingegen die auf der
Rhede liegenden Schiffe bei Eintritt schlechten Wetters zur Un-
thätigkeit verurtheilt sind. Das heutige Smyrna lagert, wie unser

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0222" n="202"/><fw place="top" type="header">Das Mittelmeerbecken.</fw><lb/>
der Levante, Perle des Morgenlandes, Auge Anatoliens&#x201C; u. s. w. ge-<lb/>
nannt, gehört zu jenen Plätzen, welche, dank einer ganz besonders<lb/>
bevorzugten geographischen Lage, aus allen von aussen kommenden<lb/>
Schicksalswandlungen, dem Phönix gleich, sich in neuer Lebenskraft<lb/>
erheben, immer wieder zu einer handelsbeherrschenden Stellung<lb/>
erblühen.</p><lb/>
          <p>Smyrna, das türkische Ismir, liegt unter 38° 26&#x2032; nördl. B. und<lb/>
27° 9&#x2032; östl. L. von Gr. (Hafenbecken) am Ende eines der präch-<lb/>
tigsten Golfe der Erde. Von dem Cap Kara Burun an über 68 <hi rendition="#i">km</hi><lb/>
tief in das Land eingeschnitten, ist das Becken bei einer wechselnden<lb/>
Breite von 3&#x2014;18 <hi rendition="#i">km</hi> vielfach von malerischen Höhen mit fruchtbaren<lb/>
Thalläufen und anmuthigen Ortschaften umrahmt. Im Norden gewahrt<lb/>
man die Bergwände des Sipylos, im Osten den Jonischen Olymp und<lb/>
im Süden die Gebirgsgruppe des Mimasmu.</p><lb/>
          <p>Die Einfahrt in den Golf markirt das steile Cap Kara Burun, dem<lb/>
gegenüber am Festlande der Hafenort Phokia (türkisch Fotscha) liegt.<lb/>
Hier lag das antike seemächtige Phokäa, die Mutterstadt von Mas-<lb/>
silia (Marseille). Die fruchtbare Insel Chio, die mit Smyrna in regster<lb/>
Verbindung steht, bleibt im SW des genannten Cap. Im Smyrna-<lb/>
Golfe lagert südöstlich des Caps die nahezu 13 <hi rendition="#i">km</hi> lange Insel<lb/>
Makronisi (türkisch Usun Ada, lange Insel). Ausgebreitete Feigen-<lb/>
und Olivenhaine bezeichnen den kleinen Ort Vurla (das alte<lb/>
Klazomenä) an der Südküste, dessen gute Rhede sehr oft von<lb/>
Schiffen besucht wird. Von hier aus nimmt der Golf eine völlige Ost-<lb/>
richtung an und wird durch die sich vorschiebende Alluvialebene und<lb/>
das Delta des hier mündenden Gedis-Tschai (des alten Hermos), der<lb/>
seine Ablagerungen mit jedem Jahre weiter seewärts absetzt, so be-<lb/>
deutend eingeengt, dass die Gefahr einer gänzlichen Abschliessung<lb/>
des Hafens von Smyrna zu befürchten ist, wenn nicht energische<lb/>
Massregeln zur Beseitigung derselben ergriffen werden.</p><lb/>
          <p>Das Fahrwasser in der Enge des Schlosses Sandjak-Kalessi hat<lb/>
bei einer Längserstreckung von 7 <hi rendition="#i">km</hi> eine Minimalbreite von nur mehr<lb/>
einen Kilometer und sind die grossen Schiffe gezwungen, ganz nahe<lb/>
an der Südküste sich zu halten.</p><lb/>
          <p>Die Rhede von Smyrna ist nur gegen Westen ungeschützt; allein<lb/>
das am Hafenquai erbaute Bassin vermag eine bedeutende Zahl von<lb/>
Schiffen aufzunehmen und gestattet diesen selbst bei stürmischer Wit-<lb/>
terung die Verkehrsoperationen vorzunehmen, wohingegen die auf der<lb/>
Rhede liegenden Schiffe bei Eintritt schlechten Wetters zur Un-<lb/>
thätigkeit verurtheilt sind. Das heutige Smyrna lagert, wie unser<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[202/0222] Das Mittelmeerbecken. der Levante, Perle des Morgenlandes, Auge Anatoliens“ u. s. w. ge- nannt, gehört zu jenen Plätzen, welche, dank einer ganz besonders bevorzugten geographischen Lage, aus allen von aussen kommenden Schicksalswandlungen, dem Phönix gleich, sich in neuer Lebenskraft erheben, immer wieder zu einer handelsbeherrschenden Stellung erblühen. Smyrna, das türkische Ismir, liegt unter 38° 26′ nördl. B. und 27° 9′ östl. L. von Gr. (Hafenbecken) am Ende eines der präch- tigsten Golfe der Erde. Von dem Cap Kara Burun an über 68 km tief in das Land eingeschnitten, ist das Becken bei einer wechselnden Breite von 3—18 km vielfach von malerischen Höhen mit fruchtbaren Thalläufen und anmuthigen Ortschaften umrahmt. Im Norden gewahrt man die Bergwände des Sipylos, im Osten den Jonischen Olymp und im Süden die Gebirgsgruppe des Mimasmu. Die Einfahrt in den Golf markirt das steile Cap Kara Burun, dem gegenüber am Festlande der Hafenort Phokia (türkisch Fotscha) liegt. Hier lag das antike seemächtige Phokäa, die Mutterstadt von Mas- silia (Marseille). Die fruchtbare Insel Chio, die mit Smyrna in regster Verbindung steht, bleibt im SW des genannten Cap. Im Smyrna- Golfe lagert südöstlich des Caps die nahezu 13 km lange Insel Makronisi (türkisch Usun Ada, lange Insel). Ausgebreitete Feigen- und Olivenhaine bezeichnen den kleinen Ort Vurla (das alte Klazomenä) an der Südküste, dessen gute Rhede sehr oft von Schiffen besucht wird. Von hier aus nimmt der Golf eine völlige Ost- richtung an und wird durch die sich vorschiebende Alluvialebene und das Delta des hier mündenden Gedis-Tschai (des alten Hermos), der seine Ablagerungen mit jedem Jahre weiter seewärts absetzt, so be- deutend eingeengt, dass die Gefahr einer gänzlichen Abschliessung des Hafens von Smyrna zu befürchten ist, wenn nicht energische Massregeln zur Beseitigung derselben ergriffen werden. Das Fahrwasser in der Enge des Schlosses Sandjak-Kalessi hat bei einer Längserstreckung von 7 km eine Minimalbreite von nur mehr einen Kilometer und sind die grossen Schiffe gezwungen, ganz nahe an der Südküste sich zu halten. Die Rhede von Smyrna ist nur gegen Westen ungeschützt; allein das am Hafenquai erbaute Bassin vermag eine bedeutende Zahl von Schiffen aufzunehmen und gestattet diesen selbst bei stürmischer Wit- terung die Verkehrsoperationen vorzunehmen, wohingegen die auf der Rhede liegenden Schiffe bei Eintritt schlechten Wetters zur Un- thätigkeit verurtheilt sind. Das heutige Smyrna lagert, wie unser

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen01_1891
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen01_1891/222
Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen01_1891/222>, abgerufen am 25.11.2024.