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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891.

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Constantinopel.
aufkommen, wenn man auch zugeben muss, dass die Gesellschaft der
Orientbahnen Constantinopel gegenüber Salonich begünstigt.

Auch müsste Constantinopel als Hafen billiger werden; die
Schiffahrtsabgaben sind zu hoch, die Schiffe können nicht am Ufer
anlegen, und müssen sich der Lichterboote bedienen. Die Hamals
(Lastträger) gestatten nicht, dass man den Dampfkrahn der Eisenbahn-
station an der Serailspitze benütze.

In der Einfuhr Constantinopels spielen Getreide und Mehl eine grosse
Rolle. Weizen wird ihm von allen Seiten zugeführt, hauptsächlich aber aus Russ-
land und Ostrumelien. In den letzten Jahren dominirte Russland; das Bild ändert
sich aber sofort, wenn Eis die Schiffahrt in den russischen Häfen schliesst.

Reis bringt seit zwei Jahren eine arabische Firma direct aus Bombay und
Saigon und hat darin ein Monopol erreicht. Zufuhren von indischem Reis 1888
96.000, 1887 88.800 Säcke.

Von Zucker wurden 1888 139.000 q eingeführt, das sind um 40.000 q
weniger als die mittlere Einfuhr der Vorjahre, weil die Kaufkraft der Bezirke
Kleinasiens, welche sich über Constantinopel versorgen, durch Missernten gesunken
ist. Auch die Hauptstadt consumirt jetzt weniger. Von der obigen Einfuhrziffer
des Jahres 1888 entfallen auf Oesterreich (Pile) 80.626 q, auf Russland (Sand-
zucker) 30.343 q, auf Frankreich (Pile) 21.054 q, auf Aegypten (Rohrzucker) 5585 q.
Seit dem Anfange der Siebzigerjahre beherrschte Oesterreich über Triest den
Zuckerhandel Constantinopels. Jetzt muss es das vermehrte Angebot von vier Con-
currenten durch eine ausgiebige Herabsetzung des Preises abwehren. Eine neue
Concurrenz droht Triest und Constantinopel von Ungarn, das seinen Zucker mit
der Bahn über Belgrad nach Rumelien zu schicken versucht.

Kaffee kommt seit zwei Jahren direct aus Rio Janeiro, die Ankünfte aus
Triest und Marseille sind daher kleiner als früher.

Neben den Colonialwaaren bilden die Gegenstände der Textilindustrie
den wichtigsten Theil des Importes. In Baumwollgarnen, in rohen, gebleichten
und bedruckten Kattunen beherrscht England den Markt, neben ihm in feinster
bedruckter Waare der Elsass und Frankreich, Frankreich auch in buntgewebten
Baumwollstoffen (Toile de Vichy), welche zur Anfertigung von Feredsches (Frauen-
mäntel) für die ärmere Bevölkerung dienen. In Flanellen, Strumpf- und Wirkwaaren
dominirt Deutschland, Tücher kommen aus England, Deutschland und Oesterreich
(Bielitz), bedruckte Wollstoffe aus Oesterreich, Leinenwaaren und Jutestoffe über-
wiegend aus England, Seidenwaaren aus Deutschland und Frankreich und Italien.
Von einzelnen Artikeln verdienen hervorgehoben zu werden Shawls für den Hals
und lange Shawls als Leibbinden (Kuschak), welche meist aus Oesterreich und
Deutschland bezogen werden, und Fez und fertige Kleider aus Oesterreich.

An der Einfuhr des Eisens sind England, Belgien und Schweden betheiligt.
In diesem Artikel hat Constantinopel durch die Zollgrenze gegen Ostrumelien einen
grossen Theil seiner dortigen Clientel verloren. Stahl kommt nur aus Oesterreich und
Deutschland (1888 4600 Kisten), Zinn und Schwarzblech fast ausschliesslich
aus England. In die Einfuhr von Werkzeugen, Schlosserwaaren, Haus- und
Küchengeräthen theilen sich Deutschland, Belgien, Frankreich, England und
Oesterreich.


Constantinopel.
aufkommen, wenn man auch zugeben muss, dass die Gesellschaft der
Orientbahnen Constantinopel gegenüber Salonich begünstigt.

Auch müsste Constantinopel als Hafen billiger werden; die
Schiffahrtsabgaben sind zu hoch, die Schiffe können nicht am Ufer
anlegen, und müssen sich der Lichterboote bedienen. Die Hamals
(Lastträger) gestatten nicht, dass man den Dampfkrahn der Eisenbahn-
station an der Serailspitze benütze.

In der Einfuhr Constantinopels spielen Getreide und Mehl eine grosse
Rolle. Weizen wird ihm von allen Seiten zugeführt, hauptsächlich aber aus Russ-
land und Ostrumelien. In den letzten Jahren dominirte Russland; das Bild ändert
sich aber sofort, wenn Eis die Schiffahrt in den russischen Häfen schliesst.

Reis bringt seit zwei Jahren eine arabische Firma direct aus Bombay und
Saïgon und hat darin ein Monopol erreicht. Zufuhren von indischem Reis 1888
96.000, 1887 88.800 Säcke.

Von Zucker wurden 1888 139.000 q eingeführt, das sind um 40.000 q
weniger als die mittlere Einfuhr der Vorjahre, weil die Kaufkraft der Bezirke
Kleinasiens, welche sich über Constantinopel versorgen, durch Missernten gesunken
ist. Auch die Hauptstadt consumirt jetzt weniger. Von der obigen Einfuhrziffer
des Jahres 1888 entfallen auf Oesterreich (Pilé) 80.626 q, auf Russland (Sand-
zucker) 30.343 q, auf Frankreich (Pilé) 21.054 q, auf Aegypten (Rohrzucker) 5585 q.
Seit dem Anfange der Siebzigerjahre beherrschte Oesterreich über Triest den
Zuckerhandel Constantinopels. Jetzt muss es das vermehrte Angebot von vier Con-
currenten durch eine ausgiebige Herabsetzung des Preises abwehren. Eine neue
Concurrenz droht Triest und Constantinopel von Ungarn, das seinen Zucker mit
der Bahn über Belgrad nach Rumelien zu schicken versucht.

Kaffee kommt seit zwei Jahren direct aus Rio Janeiro, die Ankünfte aus
Triest und Marseille sind daher kleiner als früher.

Neben den Colonialwaaren bilden die Gegenstände der Textilindustrie
den wichtigsten Theil des Importes. In Baumwollgarnen, in rohen, gebleichten
und bedruckten Kattunen beherrscht England den Markt, neben ihm in feinster
bedruckter Waare der Elsass und Frankreich, Frankreich auch in buntgewebten
Baumwollstoffen (Toile de Vichy), welche zur Anfertigung von Feredsches (Frauen-
mäntel) für die ärmere Bevölkerung dienen. In Flanellen, Strumpf- und Wirkwaaren
dominirt Deutschland, Tücher kommen aus England, Deutschland und Oesterreich
(Bielitz), bedruckte Wollstoffe aus Oesterreich, Leinenwaaren und Jutestoffe über-
wiegend aus England, Seidenwaaren aus Deutschland und Frankreich und Italien.
Von einzelnen Artikeln verdienen hervorgehoben zu werden Shawls für den Hals
und lange Shawls als Leibbinden (Kuschak), welche meist aus Oesterreich und
Deutschland bezogen werden, und Fez und fertige Kleider aus Oesterreich.

An der Einfuhr des Eisens sind England, Belgien und Schweden betheiligt.
In diesem Artikel hat Constantinopel durch die Zollgrenze gegen Ostrumelien einen
grossen Theil seiner dortigen Clientel verloren. Stahl kommt nur aus Oesterreich und
Deutschland (1888 4600 Kisten), Zinn und Schwarzblech fast ausschliesslich
aus England. In die Einfuhr von Werkzeugen, Schlosserwaaren, Haus- und
Küchengeräthen theilen sich Deutschland, Belgien, Frankreich, England und
Oesterreich.


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[127/0147] Constantinopel. aufkommen, wenn man auch zugeben muss, dass die Gesellschaft der Orientbahnen Constantinopel gegenüber Salonich begünstigt. Auch müsste Constantinopel als Hafen billiger werden; die Schiffahrtsabgaben sind zu hoch, die Schiffe können nicht am Ufer anlegen, und müssen sich der Lichterboote bedienen. Die Hamals (Lastträger) gestatten nicht, dass man den Dampfkrahn der Eisenbahn- station an der Serailspitze benütze. In der Einfuhr Constantinopels spielen Getreide und Mehl eine grosse Rolle. Weizen wird ihm von allen Seiten zugeführt, hauptsächlich aber aus Russ- land und Ostrumelien. In den letzten Jahren dominirte Russland; das Bild ändert sich aber sofort, wenn Eis die Schiffahrt in den russischen Häfen schliesst. Reis bringt seit zwei Jahren eine arabische Firma direct aus Bombay und Saïgon und hat darin ein Monopol erreicht. Zufuhren von indischem Reis 1888 96.000, 1887 88.800 Säcke. Von Zucker wurden 1888 139.000 q eingeführt, das sind um 40.000 q weniger als die mittlere Einfuhr der Vorjahre, weil die Kaufkraft der Bezirke Kleinasiens, welche sich über Constantinopel versorgen, durch Missernten gesunken ist. Auch die Hauptstadt consumirt jetzt weniger. Von der obigen Einfuhrziffer des Jahres 1888 entfallen auf Oesterreich (Pilé) 80.626 q, auf Russland (Sand- zucker) 30.343 q, auf Frankreich (Pilé) 21.054 q, auf Aegypten (Rohrzucker) 5585 q. Seit dem Anfange der Siebzigerjahre beherrschte Oesterreich über Triest den Zuckerhandel Constantinopels. Jetzt muss es das vermehrte Angebot von vier Con- currenten durch eine ausgiebige Herabsetzung des Preises abwehren. Eine neue Concurrenz droht Triest und Constantinopel von Ungarn, das seinen Zucker mit der Bahn über Belgrad nach Rumelien zu schicken versucht. Kaffee kommt seit zwei Jahren direct aus Rio Janeiro, die Ankünfte aus Triest und Marseille sind daher kleiner als früher. Neben den Colonialwaaren bilden die Gegenstände der Textilindustrie den wichtigsten Theil des Importes. In Baumwollgarnen, in rohen, gebleichten und bedruckten Kattunen beherrscht England den Markt, neben ihm in feinster bedruckter Waare der Elsass und Frankreich, Frankreich auch in buntgewebten Baumwollstoffen (Toile de Vichy), welche zur Anfertigung von Feredsches (Frauen- mäntel) für die ärmere Bevölkerung dienen. In Flanellen, Strumpf- und Wirkwaaren dominirt Deutschland, Tücher kommen aus England, Deutschland und Oesterreich (Bielitz), bedruckte Wollstoffe aus Oesterreich, Leinenwaaren und Jutestoffe über- wiegend aus England, Seidenwaaren aus Deutschland und Frankreich und Italien. Von einzelnen Artikeln verdienen hervorgehoben zu werden Shawls für den Hals und lange Shawls als Leibbinden (Kuschak), welche meist aus Oesterreich und Deutschland bezogen werden, und Fez und fertige Kleider aus Oesterreich. An der Einfuhr des Eisens sind England, Belgien und Schweden betheiligt. In diesem Artikel hat Constantinopel durch die Zollgrenze gegen Ostrumelien einen grossen Theil seiner dortigen Clientel verloren. Stahl kommt nur aus Oesterreich und Deutschland (1888 4600 Kisten), Zinn und Schwarzblech fast ausschliesslich aus England. In die Einfuhr von Werkzeugen, Schlosserwaaren, Haus- und Küchengeräthen theilen sich Deutschland, Belgien, Frankreich, England und Oesterreich.

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Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen01_1891/147>, abgerufen am 05.05.2024.