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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891.

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Das Mittelmeerbecken.
Dyrrhachium, begann, bei Salonich das ägäische Meer erreichte und
längs der Küste bis Byzanz führte, wird kaum je wieder belebt werden,
denn Rom und Italien haben heute für die Balkanhalbinsel nicht mehr
die Bedeutung wie in den Tagen des römischen Imperiums, und
der Handel folgt der Richtung Nord-Süd und nicht West-Ost. Aber
auf einer Karte der telegraphischen Verbindungen Constantinopels
tritt sie nicht minder scharf hervor wie die beiden anderen Ver-
kehrswege.

Bei Beschreibung der zahlreichen Seeverbindungen Constanti-
nopels können wir uns viel kürzer fassen. Zunächst müssen wir her-
vorheben, dass Constantinopel für alle minder werthvollen Güter in
der Donaustrasse über Sulina eine billige Verbindung mit dem Herzen
Europas besitzt.

Die Getreidemengen Südrusslands, die dort in zahlreichen
Häfen, vorab in Odessa, gesammelt werden, haben keinen billigeren
Weg nach Westeuropa, als den durch die Strasse von Constantinopel.
Derselben Richtung folgt der Petroleumexport aus dem Kaukasus.

Die fruchtbaren Landschaften an der Nordküste Kleinasiens er-
warten nur gute Verbindungen mit ihrem Hinterlande, und sie werden
dem Handel Constantinopels reichliche Beschäftigung geben.

Ja Trapezunt, das am Schwarzen Meere so günstig für den Verkehr
mit Persien gelegen ist, braucht sogar dringend eine Verbesserung des
alten Karawanenweges nach Täbris, sonst geht sein Handel mit Persien
und dadurch auch der Constantinopels an Bushir am persischen Meer-
busen verloren. Auf die Seeverbindung Constantinopels mit dem
Westen und Süden des Näheren einzugehen, ist wohl nicht noth-
wendig, um zu verstehen, woher "der strahlende Kranz" stammt, der
Constantinopel durch Jahrhunderte und unter so verschiedenen Ge-
bietern als einen Mittelpunkt des Handels erscheinen lässt.

In unseren Tagen ist viel von diesem Glanze geschwunden;
vieles durch die Schuld der indolenten Türken, das meiste aber durch
politische Umwälzungen und die geänderten Verkehrsverhältnisse. Wohl
liegt die Stadt noch immer an einer der wichtigsten Handelsstrassen;
gegen 20.000 Schiffe mit fast 11 Millionen Tons belebten 1888 seinen
Hafen, aber nur ein kleiner Theil derselben diente seinem Handel. Constan-
tinopel ist nicht mehr der Angelpunkt für den Verkekr zweier Welt-
theile; es hat keine nennenswerthe Industrie; es ist nicht mehr der
Stapelplatz für die ganze Balkanhalbinsel und die gesammte ausser-
europäische Türkei, es beherrscht nicht mehr ausschliesslich den Ver-
kehr nach dem wichtigsten Theile Persiens. Neben Bushir, über

Das Mittelmeerbecken.
Dyrrhachium, begann, bei Salonich das ägäische Meer erreichte und
längs der Küste bis Byzanz führte, wird kaum je wieder belebt werden,
denn Rom und Italien haben heute für die Balkanhalbinsel nicht mehr
die Bedeutung wie in den Tagen des römischen Imperiums, und
der Handel folgt der Richtung Nord-Süd und nicht West-Ost. Aber
auf einer Karte der telegraphischen Verbindungen Constantinopels
tritt sie nicht minder scharf hervor wie die beiden anderen Ver-
kehrswege.

Bei Beschreibung der zahlreichen Seeverbindungen Constanti-
nopels können wir uns viel kürzer fassen. Zunächst müssen wir her-
vorheben, dass Constantinopel für alle minder werthvollen Güter in
der Donaustrasse über Sulina eine billige Verbindung mit dem Herzen
Europas besitzt.

Die Getreidemengen Südrusslands, die dort in zahlreichen
Häfen, vorab in Odessa, gesammelt werden, haben keinen billigeren
Weg nach Westeuropa, als den durch die Strasse von Constantinopel.
Derselben Richtung folgt der Petroleumexport aus dem Kaukasus.

Die fruchtbaren Landschaften an der Nordküste Kleinasiens er-
warten nur gute Verbindungen mit ihrem Hinterlande, und sie werden
dem Handel Constantinopels reichliche Beschäftigung geben.

Ja Trapezunt, das am Schwarzen Meere so günstig für den Verkehr
mit Persien gelegen ist, braucht sogar dringend eine Verbesserung des
alten Karawanenweges nach Täbris, sonst geht sein Handel mit Persien
und dadurch auch der Constantinopels an Bushir am persischen Meer-
busen verloren. Auf die Seeverbindung Constantinopels mit dem
Westen und Süden des Näheren einzugehen, ist wohl nicht noth-
wendig, um zu verstehen, woher „der strahlende Kranz“ stammt, der
Constantinopel durch Jahrhunderte und unter so verschiedenen Ge-
bietern als einen Mittelpunkt des Handels erscheinen lässt.

In unseren Tagen ist viel von diesem Glanze geschwunden;
vieles durch die Schuld der indolenten Türken, das meiste aber durch
politische Umwälzungen und die geänderten Verkehrsverhältnisse. Wohl
liegt die Stadt noch immer an einer der wichtigsten Handelsstrassen;
gegen 20.000 Schiffe mit fast 11 Millionen Tons belebten 1888 seinen
Hafen, aber nur ein kleiner Theil derselben diente seinem Handel. Constan-
tinopel ist nicht mehr der Angelpunkt für den Verkekr zweier Welt-
theile; es hat keine nennenswerthe Industrie; es ist nicht mehr der
Stapelplatz für die ganze Balkanhalbinsel und die gesammte ausser-
europäische Türkei, es beherrscht nicht mehr ausschliesslich den Ver-
kehr nach dem wichtigsten Theile Persiens. Neben Bushir, über

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[124/0144] Das Mittelmeerbecken. Dyrrhachium, begann, bei Salonich das ägäische Meer erreichte und längs der Küste bis Byzanz führte, wird kaum je wieder belebt werden, denn Rom und Italien haben heute für die Balkanhalbinsel nicht mehr die Bedeutung wie in den Tagen des römischen Imperiums, und der Handel folgt der Richtung Nord-Süd und nicht West-Ost. Aber auf einer Karte der telegraphischen Verbindungen Constantinopels tritt sie nicht minder scharf hervor wie die beiden anderen Ver- kehrswege. Bei Beschreibung der zahlreichen Seeverbindungen Constanti- nopels können wir uns viel kürzer fassen. Zunächst müssen wir her- vorheben, dass Constantinopel für alle minder werthvollen Güter in der Donaustrasse über Sulina eine billige Verbindung mit dem Herzen Europas besitzt. Die Getreidemengen Südrusslands, die dort in zahlreichen Häfen, vorab in Odessa, gesammelt werden, haben keinen billigeren Weg nach Westeuropa, als den durch die Strasse von Constantinopel. Derselben Richtung folgt der Petroleumexport aus dem Kaukasus. Die fruchtbaren Landschaften an der Nordküste Kleinasiens er- warten nur gute Verbindungen mit ihrem Hinterlande, und sie werden dem Handel Constantinopels reichliche Beschäftigung geben. Ja Trapezunt, das am Schwarzen Meere so günstig für den Verkehr mit Persien gelegen ist, braucht sogar dringend eine Verbesserung des alten Karawanenweges nach Täbris, sonst geht sein Handel mit Persien und dadurch auch der Constantinopels an Bushir am persischen Meer- busen verloren. Auf die Seeverbindung Constantinopels mit dem Westen und Süden des Näheren einzugehen, ist wohl nicht noth- wendig, um zu verstehen, woher „der strahlende Kranz“ stammt, der Constantinopel durch Jahrhunderte und unter so verschiedenen Ge- bietern als einen Mittelpunkt des Handels erscheinen lässt. In unseren Tagen ist viel von diesem Glanze geschwunden; vieles durch die Schuld der indolenten Türken, das meiste aber durch politische Umwälzungen und die geänderten Verkehrsverhältnisse. Wohl liegt die Stadt noch immer an einer der wichtigsten Handelsstrassen; gegen 20.000 Schiffe mit fast 11 Millionen Tons belebten 1888 seinen Hafen, aber nur ein kleiner Theil derselben diente seinem Handel. Constan- tinopel ist nicht mehr der Angelpunkt für den Verkekr zweier Welt- theile; es hat keine nennenswerthe Industrie; es ist nicht mehr der Stapelplatz für die ganze Balkanhalbinsel und die gesammte ausser- europäische Türkei, es beherrscht nicht mehr ausschliesslich den Ver- kehr nach dem wichtigsten Theile Persiens. Neben Bushir, über

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Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen01_1891/144>, abgerufen am 05.05.2024.