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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891.

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Der atlantische Ocean.

Im XVII. Jahrhundert aber galt Bristol als erste Seestadt Englands, welche
Stellung die Stadt namentlich dem Handel nach dem Westen, mit den neuen
amerikanischen Colonien verdankt. Die Leute von Bristol haben noch früher als
jene von Liverpool herausgefunden, dass der Handel mit der schwarzen Waare
von Afrika sich sehr passend in den Verkehr mit Amerika einschiebe, und haben
dabei recht viel Geld ins Verdienen gebracht. So stieg das Ansehen der Stadt
durch das ganze XVIII. Jahrhunderte hindurch aufwärts, bis sich seither neben
Bristol so manche Concurrenten jüngeren Alters unter zum Theil günstigeren
Umständen emporarbeiteten, so dass unsere Stadt, wenn auch nicht zurückgedrängt,
doch nicht dasselbe Tempo der Weiterentwicklung einhalten konnte wie früher.

Das alte Bristol schildert man uns als eine fest ummauerte,
mit 23 Thürmen bewehrte Stadt, reich an Kirchen innerhalb des
Weichbildes, während auch ausserhalb geistliche Herren ihre Sitze
hatten; kurz, das alte katholische Bristol war so die richtige Kirchen-
und Klosterstadt. Seither ist Bristol weit über die alten Grenzen
hinausgewachsen und hat sich gegen die Höhen zu ausgedehnt, welche
es umrahmen, so dass die ganze Stadt ein sehr freundliches Bild
darbietet. Die Stadtmauern sind längst gefallen und haben modernen
Anlagen Platz gemacht, aber die Spuren, dass man sich hier auf
historischem Boden bewegt, werden allenthalben sichtbar. Bristol
zählt gegenwärtig 230.000 Einwohner und ist durch die glückliche
Mischung von Historischem und Modernem eine der interessantesten
Städte Grossbritanniens, ja in gewissem Sinne ein Abbild des englischen
Nationalcharakters, in dem sich Ueberliefertes und Neues so vielfach
harmonisch ausgeglichen finden.

Die eigentliche Stadt liegt am rechten Ufer des Avon unter
51° 27' nördl. Br. und 2° 36' östl. L. v. Gr. In seinem alten
Laufe machte der Avon ein starkes Knie, welches man mittelst eines
Durchstiches regulirt hat; dadurch wurde dem Flusse nun ein mehr
gerader Lauf gegeben (Newcut Avon); sein altes Bett wurde aber für
Zwecke der Schifffahrt verwendet, so dass daselbst eine Art innerer
Flusshafen (Floating Harbour) entstanden ist. Dieser ist abwärts durch
das mit Schleussen versehene Cumberland-Bassin geschlossen, während
an seinem oberen Theile das Bathurst-Bassin liegt, und hat eine
Reihe von guten Anlagestellen für die Schiffe, sowie auch einige
kleine Docks von minderer Bedeutung.

Der Umstand, dass die Gezeiten im Canal von Bristol riesige
Nievauunterschiede hervorbringen, ist die Ursache, dass der kleine
Avonfluss bei Hochwasser selbst für die grössten Oceanschiffe ge-
nügendes Wasser führt und auch das Hafenbecken von Bristol tiefes
Wasser besitzt. An der Mündung des Avonflusses bei King Road

Der atlantische Ocean.

Im XVII. Jahrhundert aber galt Bristol als erste Seestadt Englands, welche
Stellung die Stadt namentlich dem Handel nach dem Westen, mit den neuen
amerikanischen Colonien verdankt. Die Leute von Bristol haben noch früher als
jene von Liverpool herausgefunden, dass der Handel mit der schwarzen Waare
von Afrika sich sehr passend in den Verkehr mit Amerika einschiebe, und haben
dabei recht viel Geld ins Verdienen gebracht. So stieg das Ansehen der Stadt
durch das ganze XVIII. Jahrhunderte hindurch aufwärts, bis sich seither neben
Bristol so manche Concurrenten jüngeren Alters unter zum Theil günstigeren
Umständen emporarbeiteten, so dass unsere Stadt, wenn auch nicht zurückgedrängt,
doch nicht dasselbe Tempo der Weiterentwicklung einhalten konnte wie früher.

Das alte Bristol schildert man uns als eine fest ummauerte,
mit 23 Thürmen bewehrte Stadt, reich an Kirchen innerhalb des
Weichbildes, während auch ausserhalb geistliche Herren ihre Sitze
hatten; kurz, das alte katholische Bristol war so die richtige Kirchen-
und Klosterstadt. Seither ist Bristol weit über die alten Grenzen
hinausgewachsen und hat sich gegen die Höhen zu ausgedehnt, welche
es umrahmen, so dass die ganze Stadt ein sehr freundliches Bild
darbietet. Die Stadtmauern sind längst gefallen und haben modernen
Anlagen Platz gemacht, aber die Spuren, dass man sich hier auf
historischem Boden bewegt, werden allenthalben sichtbar. Bristol
zählt gegenwärtig 230.000 Einwohner und ist durch die glückliche
Mischung von Historischem und Modernem eine der interessantesten
Städte Grossbritanniens, ja in gewissem Sinne ein Abbild des englischen
Nationalcharakters, in dem sich Ueberliefertes und Neues so vielfach
harmonisch ausgeglichen finden.

Die eigentliche Stadt liegt am rechten Ufer des Avon unter
51° 27′ nördl. Br. und 2° 36′ östl. L. v. Gr. In seinem alten
Laufe machte der Avon ein starkes Knie, welches man mittelst eines
Durchstiches regulirt hat; dadurch wurde dem Flusse nun ein mehr
gerader Lauf gegeben (Newcut Avon); sein altes Bett wurde aber für
Zwecke der Schifffahrt verwendet, so dass daselbst eine Art innerer
Flusshafen (Floating Harbour) entstanden ist. Dieser ist abwärts durch
das mit Schleussen versehene Cumberland-Bassin geschlossen, während
an seinem oberen Theile das Bathurst-Bassin liegt, und hat eine
Reihe von guten Anlagestellen für die Schiffe, sowie auch einige
kleine Docks von minderer Bedeutung.

Der Umstand, dass die Gezeiten im Canal von Bristol riesige
Nievauunterschiede hervorbringen, ist die Ursache, dass der kleine
Avonfluss bei Hochwasser selbst für die grössten Oceanschiffe ge-
nügendes Wasser führt und auch das Hafenbecken von Bristol tiefes
Wasser besitzt. An der Mündung des Avonflusses bei King Road

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[1056/1076] Der atlantische Ocean. Im XVII. Jahrhundert aber galt Bristol als erste Seestadt Englands, welche Stellung die Stadt namentlich dem Handel nach dem Westen, mit den neuen amerikanischen Colonien verdankt. Die Leute von Bristol haben noch früher als jene von Liverpool herausgefunden, dass der Handel mit der schwarzen Waare von Afrika sich sehr passend in den Verkehr mit Amerika einschiebe, und haben dabei recht viel Geld ins Verdienen gebracht. So stieg das Ansehen der Stadt durch das ganze XVIII. Jahrhunderte hindurch aufwärts, bis sich seither neben Bristol so manche Concurrenten jüngeren Alters unter zum Theil günstigeren Umständen emporarbeiteten, so dass unsere Stadt, wenn auch nicht zurückgedrängt, doch nicht dasselbe Tempo der Weiterentwicklung einhalten konnte wie früher. Das alte Bristol schildert man uns als eine fest ummauerte, mit 23 Thürmen bewehrte Stadt, reich an Kirchen innerhalb des Weichbildes, während auch ausserhalb geistliche Herren ihre Sitze hatten; kurz, das alte katholische Bristol war so die richtige Kirchen- und Klosterstadt. Seither ist Bristol weit über die alten Grenzen hinausgewachsen und hat sich gegen die Höhen zu ausgedehnt, welche es umrahmen, so dass die ganze Stadt ein sehr freundliches Bild darbietet. Die Stadtmauern sind längst gefallen und haben modernen Anlagen Platz gemacht, aber die Spuren, dass man sich hier auf historischem Boden bewegt, werden allenthalben sichtbar. Bristol zählt gegenwärtig 230.000 Einwohner und ist durch die glückliche Mischung von Historischem und Modernem eine der interessantesten Städte Grossbritanniens, ja in gewissem Sinne ein Abbild des englischen Nationalcharakters, in dem sich Ueberliefertes und Neues so vielfach harmonisch ausgeglichen finden. Die eigentliche Stadt liegt am rechten Ufer des Avon unter 51° 27′ nördl. Br. und 2° 36′ östl. L. v. Gr. In seinem alten Laufe machte der Avon ein starkes Knie, welches man mittelst eines Durchstiches regulirt hat; dadurch wurde dem Flusse nun ein mehr gerader Lauf gegeben (Newcut Avon); sein altes Bett wurde aber für Zwecke der Schifffahrt verwendet, so dass daselbst eine Art innerer Flusshafen (Floating Harbour) entstanden ist. Dieser ist abwärts durch das mit Schleussen versehene Cumberland-Bassin geschlossen, während an seinem oberen Theile das Bathurst-Bassin liegt, und hat eine Reihe von guten Anlagestellen für die Schiffe, sowie auch einige kleine Docks von minderer Bedeutung. Der Umstand, dass die Gezeiten im Canal von Bristol riesige Nievauunterschiede hervorbringen, ist die Ursache, dass der kleine Avonfluss bei Hochwasser selbst für die grössten Oceanschiffe ge- nügendes Wasser führt und auch das Hafenbecken von Bristol tiefes Wasser besitzt. An der Mündung des Avonflusses bei King Road

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Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 1. Wien, 1891, S. 1056. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen01_1891/1076>, abgerufen am 16.07.2024.