Lehmann, Rudolf: Deutsche Poetik. München, 1908.ple_044.001 ple_044.016 ple_044.023 ple_044.001 ple_044.016 ple_044.023 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0058" n="44"/><lb n="ple_044.001"/> Ausgestaltung ermöglichen. Daher sind sie denn auch schon seit dem Altertum <lb n="ple_044.002"/> als Stilistik der Dichtersprache und Metrik zu eigenen Disziplinen ausgestaltet, <lb n="ple_044.003"/> und als solche teils für sich, teils als Unterabteilungen der Poetik <lb n="ple_044.004"/> behandelt worden. Daß sie theoretisch genommen das letztere sind, daß <lb n="ple_044.005"/> sie in die Lehre von der Dichtkunst gehören, daran kann füglich kein <lb n="ple_044.006"/> Zweifel sein. Aber immerhin ist es praktisch und vorteilhaft, sie, wie es <lb n="ple_044.007"/> im wesentlichen auch in diesem Handbuch geschieht, für sich zu behandeln. <lb n="ple_044.008"/> Denn beide Disziplinen erscheinen zunächst für sich abgeschlossen, <lb n="ple_044.009"/> und auf beide wirkt die Verwandtschaft mit anderen Gebieten stark, ja <lb n="ple_044.010"/> entscheidend ein: auf die Stilistik die Beziehung zu der allgemeinen Sprachwissenschaft, <lb n="ple_044.011"/> besonders der Bedeutungslehre, auf die Metrik der Zusammenhang <lb n="ple_044.012"/> mit der Musik. So kommt es denn, daß die Poetik zwar beide <lb n="ple_044.013"/> nicht aus dem Auge verlieren, sie aber doch mehr als Hilfswissenschaft <lb n="ple_044.014"/> behandeln, d. h. ihre Ergebnisse voraussetzen und ihre allgemeinen Gesetze <lb n="ple_044.015"/> übernehmen darf, ohne sie im einzelnen zu begründen.</p> <p><lb n="ple_044.016"/> Über diese Voraussetzungen und Gesetze freilich muß Klarheit herrschen, <lb n="ple_044.017"/> bevor die Poetik ihr eigentliches Werk auch nur beginnen kann. Eine <lb n="ple_044.018"/> prinzipielle Erörterung dessen, was <hi rendition="#g">Worte, Klang und Rhythmus</hi> für <lb n="ple_044.019"/> die Poesie bedeuten, und auf welchen ihrer Eigenschaften diese Bedeutung <lb n="ple_044.020"/> beruht, können wir nicht entbehren, ja wir werden unsere Betrachtungen <lb n="ple_044.021"/> damit beginnen müssen; denn nur hieraus wird die innere Struktur der Dichtungen, <lb n="ple_044.022"/> werden die Gesetze der künstlerischen Formengebung verständlich.</p> <p><lb n="ple_044.023"/> Fassen wir sodann die Gebilde ins Auge, zu denen jene Elemente <lb n="ple_044.024"/> sich verbinden, so treten uns zunächst gewisse allgemeine Prinzipien, Gesetze <lb n="ple_044.025"/> des dichterischen Baus entgegen. Diese <hi rendition="#g">allgemeinsten Kompositionsgesetze</hi> <lb n="ple_044.026"/> gelten für Gedichte der verschiedensten Gattungen, für alle dichterischen <lb n="ple_044.027"/> Gebilde ohne wesentlichen Unterschied, und man wird sie daher <lb n="ple_044.028"/> am besten in einer einheitlichen und allgemeinen Betrachtung zusammenfassen, <lb n="ple_044.029"/> die sich der Behandlung der <hi rendition="#g">Formenelemente der Poesie</hi> anschließt. <lb n="ple_044.030"/> Sie nehmen aber auch besondere Gestaltung an und tragen dann <lb n="ple_044.031"/> wesentlich dazu bei, den Unterschied der überlieferten <hi rendition="#g">drei Gattungen <lb n="ple_044.032"/> der Poesie</hi> zu begründen. Man kann diesen Unterschied zunächst ganz <lb n="ple_044.033"/> äußerlich als den der monologischen, erzählenden und dialogischen Form <lb n="ple_044.034"/> auffassen, aber jeder fühlt, daß das Wesen der Gattungen damit noch nicht <lb n="ple_044.035"/> getroffen, ja kaum berührt ist. Denn lyrische wie epische und dramatische <lb n="ple_044.036"/> Poesie, jede trägt ihre eigenen organischen Gesetze in sich. Und diese Gesetze <lb n="ple_044.037"/> sind keineswegs nur solche der sprachlichen Gestaltung, vielmehr entspringen <lb n="ple_044.038"/> sie bestimmten und verschiedenen Funktionen und Formen des <lb n="ple_044.039"/> Phantasielebens, wie ihnen denn auch ebenso spezifisch bestimmte Wirkungsweisen <lb n="ple_044.040"/> entsprechen. Daher ist die Wahl der Gattung viel weniger, als <lb n="ple_044.041"/> man gewöhnlich anzunehmen pflegt, von der Eigenart des Stoffes abhängig: <lb n="ple_044.042"/> sind doch die großen Stoffe der Literaturgeschichte von der Ilias <lb n="ple_044.043"/> bis zum Faust fast alle sowohl episch wie dramatisch behandelt worden. </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [44/0058]
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Ausgestaltung ermöglichen. Daher sind sie denn auch schon seit dem Altertum ple_044.002
als Stilistik der Dichtersprache und Metrik zu eigenen Disziplinen ausgestaltet, ple_044.003
und als solche teils für sich, teils als Unterabteilungen der Poetik ple_044.004
behandelt worden. Daß sie theoretisch genommen das letztere sind, daß ple_044.005
sie in die Lehre von der Dichtkunst gehören, daran kann füglich kein ple_044.006
Zweifel sein. Aber immerhin ist es praktisch und vorteilhaft, sie, wie es ple_044.007
im wesentlichen auch in diesem Handbuch geschieht, für sich zu behandeln. ple_044.008
Denn beide Disziplinen erscheinen zunächst für sich abgeschlossen, ple_044.009
und auf beide wirkt die Verwandtschaft mit anderen Gebieten stark, ja ple_044.010
entscheidend ein: auf die Stilistik die Beziehung zu der allgemeinen Sprachwissenschaft, ple_044.011
besonders der Bedeutungslehre, auf die Metrik der Zusammenhang ple_044.012
mit der Musik. So kommt es denn, daß die Poetik zwar beide ple_044.013
nicht aus dem Auge verlieren, sie aber doch mehr als Hilfswissenschaft ple_044.014
behandeln, d. h. ihre Ergebnisse voraussetzen und ihre allgemeinen Gesetze ple_044.015
übernehmen darf, ohne sie im einzelnen zu begründen.
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Über diese Voraussetzungen und Gesetze freilich muß Klarheit herrschen, ple_044.017
bevor die Poetik ihr eigentliches Werk auch nur beginnen kann. Eine ple_044.018
prinzipielle Erörterung dessen, was Worte, Klang und Rhythmus für ple_044.019
die Poesie bedeuten, und auf welchen ihrer Eigenschaften diese Bedeutung ple_044.020
beruht, können wir nicht entbehren, ja wir werden unsere Betrachtungen ple_044.021
damit beginnen müssen; denn nur hieraus wird die innere Struktur der Dichtungen, ple_044.022
werden die Gesetze der künstlerischen Formengebung verständlich.
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Fassen wir sodann die Gebilde ins Auge, zu denen jene Elemente ple_044.024
sich verbinden, so treten uns zunächst gewisse allgemeine Prinzipien, Gesetze ple_044.025
des dichterischen Baus entgegen. Diese allgemeinsten Kompositionsgesetze ple_044.026
gelten für Gedichte der verschiedensten Gattungen, für alle dichterischen ple_044.027
Gebilde ohne wesentlichen Unterschied, und man wird sie daher ple_044.028
am besten in einer einheitlichen und allgemeinen Betrachtung zusammenfassen, ple_044.029
die sich der Behandlung der Formenelemente der Poesie anschließt. ple_044.030
Sie nehmen aber auch besondere Gestaltung an und tragen dann ple_044.031
wesentlich dazu bei, den Unterschied der überlieferten drei Gattungen ple_044.032
der Poesie zu begründen. Man kann diesen Unterschied zunächst ganz ple_044.033
äußerlich als den der monologischen, erzählenden und dialogischen Form ple_044.034
auffassen, aber jeder fühlt, daß das Wesen der Gattungen damit noch nicht ple_044.035
getroffen, ja kaum berührt ist. Denn lyrische wie epische und dramatische ple_044.036
Poesie, jede trägt ihre eigenen organischen Gesetze in sich. Und diese Gesetze ple_044.037
sind keineswegs nur solche der sprachlichen Gestaltung, vielmehr entspringen ple_044.038
sie bestimmten und verschiedenen Funktionen und Formen des ple_044.039
Phantasielebens, wie ihnen denn auch ebenso spezifisch bestimmte Wirkungsweisen ple_044.040
entsprechen. Daher ist die Wahl der Gattung viel weniger, als ple_044.041
man gewöhnlich anzunehmen pflegt, von der Eigenart des Stoffes abhängig: ple_044.042
sind doch die großen Stoffe der Literaturgeschichte von der Ilias ple_044.043
bis zum Faust fast alle sowohl episch wie dramatisch behandelt worden.
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