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Lehmann, Rudolf: Deutsche Poetik. München, 1908.

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der Ziele. Die Geschichte der dichterischen Formen und ihrer Entwicklung ple_022.002
hat mit der Psychologie nicht mehr und nicht unmittelbarer zu ple_022.003
tun wie die Geschichtswissenschaft überhaupt. Die Feststellung einer inneren ple_022.004
Gesetzmäßigkeit psychologischer Natur mag ihr als letztes und höchstes ple_022.005
Ziel vorschweben, aber sie wird ihre Kausalerklärungen, wie ja auch Dilthey ple_022.006
zugibt, unmittelbar wenigstens nur zum Teil auf eine solche zu gründen ple_022.007
vermögen. Der Psychologie des Dichters tritt hier nicht nur die Psychologie ple_022.008
des Publikums zur Seite, sondern vielfach auch die Einwirkung äußerer ple_022.009
Ursachen, z. B. die technische Eigenart der Bühne oder des rhapsodischen ple_022.010
Vortrags, wie sie sich bei den verschiedenen Völkern traditionell ple_022.011
entwickelt hat, oder das Verhältnis zur Musik, das für die Ausbildung der ple_022.012
metrischen Eigentümlichkeiten entscheidend ist. Daher wird man sich auch ple_022.013
hier wohl oder übel auf die bescheidene Aufgabe beschränken müssen, ple_022.014
die dem Historiker heute noch auf allen Gebieten vorgezeichnet ist: den ple_022.015
tatsächlichen Zusammenhang der Erscheinungen festzustellen, ohne auf ple_022.016
seine letzten Gesetze einzugehen, und man wird nicht glauben dürfen, daß ple_022.017
man mit der psychologischen Erklärung das ästhetisch technische Gebiet ple_022.018
bewältigen könne.

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Es wäre daher ratsam -- weil unzweideutiger -- beide Untersuchungsarten ple_022.020
auch äußerlich zu scheiden und der neueren Wissenschaft einen selbständigen ple_022.021
Namen beizulegen, der zugleich das gesamte Gebiet kenntlich ple_022.022
macht, dem sie angehört, etwa Psychologie (oder auch Ästhetik) der ple_022.023
Dichtkunst.
Will man sie aber gleichwohl unter die Gesamtbezeichnung ple_022.024
Poetik mit einbegreifen, so würde sie als subjektiver oder psychologischer ple_022.025
Teil von der objektiven Kunstlehre zu scheiden sein.

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Werden wir uns nun das Ziel stecken dürfen, mit den folgenden ple_022.027
Untersuchungen beide Seiten der Gesamtwissenschaft zu umspannen, ungefähr ple_022.028
in Diltheys Sinne die Poetik als Kunstlehre, wenigstens in einer ple_022.029
teilweisen Abhängigkeit von der Ergebnissen einer Psychologie der Dichtkunst ple_022.030
zu behandeln? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir zuvörderst ple_022.031
noch etwas näher auf das Wesen einer psychologischen Poetik ple_022.032
eingehen und die Vorfrage erledigen, wie weit es bei dem gegenwärtigen ple_022.033
Stande der Wissenschaft möglich ist, ihr eine selbständige Ausgestaltung ple_022.034
zu geben.

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4. Poetik als Psychologie der Dichtkunst.

Fassen wir die Ergebnisse ple_022.036
unserer letzten Betrachtung noch einmal zusammen. Wie die Ästhetik der ple_022.037
Romantiker und der Hegelschen Schule Metaphysik des Schönen sein ple_022.038
wollte, so will die heutige Ästhetik Psychologie des Schönen sein. Ihr ple_022.039
letztes Ziel ist, die psychologischen Gesetze festzustellen, auf denen unsere ple_022.040
ästhetischen Empfindungen und Urteile beruhen. Denn ihre Grundlage ple_022.041
bleibt die Erkenntnis, daß diese Urteile und Empfindungen durch die subjektive ple_022.042
Veranlagung des Menschen bestimmt werden und nicht durch irgend ple_022.043
ein objektives oder absolutes Prinzip der Schönheit; mit anderen Worten:

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der Ziele. Die Geschichte der dichterischen Formen und ihrer Entwicklung ple_022.002
hat mit der Psychologie nicht mehr und nicht unmittelbarer zu ple_022.003
tun wie die Geschichtswissenschaft überhaupt. Die Feststellung einer inneren ple_022.004
Gesetzmäßigkeit psychologischer Natur mag ihr als letztes und höchstes ple_022.005
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metrischen Eigentümlichkeiten entscheidend ist. Daher wird man sich auch ple_022.013
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die dem Historiker heute noch auf allen Gebieten vorgezeichnet ist: den ple_022.015
tatsächlichen Zusammenhang der Erscheinungen festzustellen, ohne auf ple_022.016
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man mit der psychologischen Erklärung das ästhetisch technische Gebiet ple_022.018
bewältigen könne.

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Es wäre daher ratsam — weil unzweideutiger — beide Untersuchungsarten ple_022.020
auch äußerlich zu scheiden und der neueren Wissenschaft einen selbständigen ple_022.021
Namen beizulegen, der zugleich das gesamte Gebiet kenntlich ple_022.022
macht, dem sie angehört, etwa Psychologie (oder auch Ästhetik) der ple_022.023
Dichtkunst.
Will man sie aber gleichwohl unter die Gesamtbezeichnung ple_022.024
Poetik mit einbegreifen, so würde sie als subjektiver oder psychologischer ple_022.025
Teil von der objektiven Kunstlehre zu scheiden sein.

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Werden wir uns nun das Ziel stecken dürfen, mit den folgenden ple_022.027
Untersuchungen beide Seiten der Gesamtwissenschaft zu umspannen, ungefähr ple_022.028
in Diltheys Sinne die Poetik als Kunstlehre, wenigstens in einer ple_022.029
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noch etwas näher auf das Wesen einer psychologischen Poetik ple_022.032
eingehen und die Vorfrage erledigen, wie weit es bei dem gegenwärtigen ple_022.033
Stande der Wissenschaft möglich ist, ihr eine selbständige Ausgestaltung ple_022.034
zu geben.

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4. Poetik als Psychologie der Dichtkunst.

Fassen wir die Ergebnisse ple_022.036
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Romantiker und der Hegelschen Schule Metaphysik des Schönen sein ple_022.038
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Zitationshilfe: Lehmann, Rudolf: Deutsche Poetik. München, 1908, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehmann_poetik_1908/36>, abgerufen am 22.11.2024.