Lehmann, Rudolf: Deutsche Poetik. München, 1908.ple_096.001 ple_096.006 ple_096.017 ple_096.033 1) ple_096.041 a. a. O. S. 346, 348. 2) ple_096.042
Vgl. Heinzel, Über den Stil der altgermanischen Poesie (Quellen und Forschungen, ple_096.043 Heft 10). Straßburg 1895. ple_096.001 ple_096.006 ple_096.017 ple_096.033 1) ple_096.041 a. a. O. S. 346, 348. 2) ple_096.042
Vgl. Heinzel, Über den Stil der altgermanischen Poesie (Quellen und Forschungen, ple_096.043 Heft 10). Straßburg 1895. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0110" n="96"/><lb n="ple_096.001"/> zurückführen will,<note xml:id="ple_096_1" place="foot" n="1)"><lb n="ple_096.041"/> a. a. O. S. 346, 348.</note> aber daß die Akkomodation an das Metrum die Sprache <lb n="ple_096.002"/> nach den bestimmten Richtungen hin beeinflußt, zur Erhaltung alter Sprachformen <lb n="ple_096.003"/> oder zur Aufnahme mundartlicher Bildungen führt, können wir bei <lb n="ple_096.004"/> Homer noch deutlich verfolgen. Und die vielen formelhaften Wendungen, <lb n="ple_096.005"/> die alle älteren Epen enthalten, erklären sich auf diese Weise.</p> <p><lb n="ple_096.006"/> Schon der oben veranschaulichte Parallelismus läßt den gleichen Vorgang <lb n="ple_096.007"/> erkennen. Er nötigt den Dichter sehr oft, seine Gedanken zweifach auszudrücken, <lb n="ple_096.008"/> einem Bilde ein anderes gegenüber zu stellen, eine Vorstellung <lb n="ple_096.009"/> durch eine andere zu ergänzen. Wie schon die vorhin angeführte Psalmenstelle, <lb n="ple_096.010"/> so zeigen das viele andere; besonders deutlich der Anfang des 21. Psalms: <lb n="ple_096.011"/> <hi rendition="#aq"><lg><l>Herr, der König freuet sich in deiner Kraft,</l><lb n="ple_096.012"/><l>Und wie sehr fröhlich ist er über deine Hilfe! </l></lg><lg><lb n="ple_096.013"/><l>Du gibst ihm seines Herzens Wunsch,</l><lb n="ple_096.014"/><l>Und weigerst nicht, was sein Mund bittet. </l></lg><lg><lb n="ple_096.015"/><l>Denn du überschüttest ihn mit gutem Segen,</l><lb n="ple_096.016"/><l>Du setzest eine goldene Krone auf sein Haupt.</l></lg></hi></p> <p><lb n="ple_096.017"/> Ähnlichen Charakter tragen die Satzvariationen der altgermanischen <lb n="ple_096.018"/> Epen. Weit stärker aber ist hier die Wirkung, die Stabreim und Reim auf die <lb n="ple_096.019"/> Sprache ausgeübt haben; zahllose Formeln, Wendungen, die noch heute im <lb n="ple_096.020"/> Volksmunde lebendig sind, zeugen davon (Stock und Stein, Stein und Bein <lb n="ple_096.021"/> u. s. w.), und es ist daher kein Wunder, wenn die Dichtungen, in denen <lb n="ple_096.022"/> diese Bindemittel erscheinen, über einzelne Worte und Wendungen hinaus in <lb n="ple_096.023"/> ihrem Gesamtcharakter durch sie beeinflußt werden. Der knappe und markige <lb n="ple_096.024"/> Stil des altgermanischen Epos ist durch den Stabreim, der die Stammsilben <lb n="ple_096.025"/> stark betonter Worte auch metrisch zum Mittelpunkt der Verse machte, <lb n="ple_096.026"/> zweifellos noch wuchtiger geworden.<note xml:id="ple_096_2" place="foot" n="2)"><lb n="ple_096.042"/> Vgl. <hi rendition="#k">Heinzel,</hi> Über den Stil der altgermanischen Poesie (Quellen und Forschungen, <lb n="ple_096.043"/> Heft 10). Straßburg 1895.</note> Der Reim der späteren Dichtungen <lb n="ple_096.027"/> hingegen hat eher zu einer breiteren Darstellung geführt, bisweilen auch <lb n="ple_096.028"/> wohl <hi rendition="#g">ver</hi>führt: er veranlaßt nicht nur eintönig formelhafte Umschreibungen, <lb n="ple_096.029"/> wie sie z. B. das mittelhochdeutsche Volksepos und Hans Sachs' primitive <lb n="ple_096.030"/> Verskunst so oft aufweist, sondern auch steigernde Wiederholungen und <lb n="ple_096.031"/> nähere Ausmalung begleitender Umstände, wie das in der lockeren und <lb n="ple_096.032"/> wortreichen Erzählungsweise des höfischen Epos besonders hervortritt.</p> <p><lb n="ple_096.033"/> Wo nun verwickelte Strophen erscheinen oder gar ein zusammenhängendes <lb n="ple_096.034"/> geregeltes Schema ein ganzes Gedicht umfaßt, da wird es <lb n="ple_096.035"/> deutlich, wie die innere Form der Dichtung von der äußeren beherrscht <lb n="ple_096.036"/> oder doch geregelt wird. Wo eine solche Steigerung der Form stattfindet, <lb n="ple_096.037"/> ohne daß sie von einem starken Gefühl für Sprache und Rhythmus getragen <lb n="ple_096.038"/> wird, da entstehen freilich üble Entartungserscheinungen, wie etwa <lb n="ple_096.039"/> die Bare der Meistersinger, die zugleich verkünstelt und roh waren, „stolze <lb n="ple_096.040"/> Strophengebäude aus Knittelversen“, wie man sie mit Recht genannt hat. </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [96/0110]
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zurückführen will, 1) aber daß die Akkomodation an das Metrum die Sprache ple_096.002
nach den bestimmten Richtungen hin beeinflußt, zur Erhaltung alter Sprachformen ple_096.003
oder zur Aufnahme mundartlicher Bildungen führt, können wir bei ple_096.004
Homer noch deutlich verfolgen. Und die vielen formelhaften Wendungen, ple_096.005
die alle älteren Epen enthalten, erklären sich auf diese Weise.
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Schon der oben veranschaulichte Parallelismus läßt den gleichen Vorgang ple_096.007
erkennen. Er nötigt den Dichter sehr oft, seine Gedanken zweifach auszudrücken, ple_096.008
einem Bilde ein anderes gegenüber zu stellen, eine Vorstellung ple_096.009
durch eine andere zu ergänzen. Wie schon die vorhin angeführte Psalmenstelle, ple_096.010
so zeigen das viele andere; besonders deutlich der Anfang des 21. Psalms: ple_096.011
Herr, der König freuet sich in deiner Kraft, ple_096.012
Und wie sehr fröhlich ist er über deine Hilfe!
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Du gibst ihm seines Herzens Wunsch, ple_096.014
Und weigerst nicht, was sein Mund bittet.
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Denn du überschüttest ihn mit gutem Segen, ple_096.016
Du setzest eine goldene Krone auf sein Haupt.
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Ähnlichen Charakter tragen die Satzvariationen der altgermanischen ple_096.018
Epen. Weit stärker aber ist hier die Wirkung, die Stabreim und Reim auf die ple_096.019
Sprache ausgeübt haben; zahllose Formeln, Wendungen, die noch heute im ple_096.020
Volksmunde lebendig sind, zeugen davon (Stock und Stein, Stein und Bein ple_096.021
u. s. w.), und es ist daher kein Wunder, wenn die Dichtungen, in denen ple_096.022
diese Bindemittel erscheinen, über einzelne Worte und Wendungen hinaus in ple_096.023
ihrem Gesamtcharakter durch sie beeinflußt werden. Der knappe und markige ple_096.024
Stil des altgermanischen Epos ist durch den Stabreim, der die Stammsilben ple_096.025
stark betonter Worte auch metrisch zum Mittelpunkt der Verse machte, ple_096.026
zweifellos noch wuchtiger geworden. 2) Der Reim der späteren Dichtungen ple_096.027
hingegen hat eher zu einer breiteren Darstellung geführt, bisweilen auch ple_096.028
wohl verführt: er veranlaßt nicht nur eintönig formelhafte Umschreibungen, ple_096.029
wie sie z. B. das mittelhochdeutsche Volksepos und Hans Sachs' primitive ple_096.030
Verskunst so oft aufweist, sondern auch steigernde Wiederholungen und ple_096.031
nähere Ausmalung begleitender Umstände, wie das in der lockeren und ple_096.032
wortreichen Erzählungsweise des höfischen Epos besonders hervortritt.
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Wo nun verwickelte Strophen erscheinen oder gar ein zusammenhängendes ple_096.034
geregeltes Schema ein ganzes Gedicht umfaßt, da wird es ple_096.035
deutlich, wie die innere Form der Dichtung von der äußeren beherrscht ple_096.036
oder doch geregelt wird. Wo eine solche Steigerung der Form stattfindet, ple_096.037
ohne daß sie von einem starken Gefühl für Sprache und Rhythmus getragen ple_096.038
wird, da entstehen freilich üble Entartungserscheinungen, wie etwa ple_096.039
die Bare der Meistersinger, die zugleich verkünstelt und roh waren, „stolze ple_096.040
Strophengebäude aus Knittelversen“, wie man sie mit Recht genannt hat.
1) ple_096.041
a. a. O. S. 346, 348.
2) ple_096.042
Vgl. Heinzel, Über den Stil der altgermanischen Poesie (Quellen und Forschungen, ple_096.043
Heft 10). Straßburg 1895.
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