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Ledermann, Frieda: Zur Geschichte der Frauenstimmrechtsbewegung. Berlin, 1918.

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wir das Frauenstimmrecht haben?" vielmehr: "Wel-
ches ist der Weg zum Frauenstimmrecht?" Zum
Beschreiten dieses Weges ist die Kenntnis von der
Entwicklung der Bewegung und den praktischen Ar-
beitsgebieten ebenfalls unentbehrlich.

Die Agitation für politische Gleichberechtigung,
für das Stimmrecht auch auf allen in Betracht kom-
menden Gebieten hat in Deutschland spät einge-
setzt, lange nachdem die Frauenbewegung für er-
weiterte Bildungsmöglichkeiten, Berufstätigkeit, so-
ziale Mitarbeit eintrat. Die Reform des B. G. B. gab
der organisierten Frauenbewegung Gelegenheit, ihren
Wünschen durch Ueberreichung einer Petition Aus-
druck zu geben. Minna Cauer, Lilli Braun
und Anita Augspurg waren die ersten, die das Frauen-
stimmrecht in einer öffentlichen Volksversammlung
in Berlin 1894 erörterten. Dieses Unternehmen war
ein Wagnis und eine mutige Tat, und damit hat die
öffentliche Diskussion über das Frauenstimmrecht in
Deutschland eingesetzt. Der Erörterung in breitester
Oeffentlichkeit stand ein großes Bollwerk entgegen:
das alte Vereinsgesetz. Bis zum Jahre 1908 durften
die Frauen in den meisten Bundesstaaten weder poli-
tischen Parteien angehören, noch selbst politische
Vereine gründen, ebensowenig in politischen Ver-
sammlungen und derartigen Vereinen sprechen, oder
als Zuhörerinnen anwesend sein. Später wurde an-
läßlich einer Versammlung des Bundes der Land-
wirte die ministerielle Genehmigung erteilt, daß fort-
an Frauen als stumme Zuhörerinnen geduldet wur-
den, wenn eine sichtbare räumliche Scheidung, das
sog. Segment, im Versammlungslokal sie von der
politischen Männergemeinde absonderte. (Verfasserin
hat selbst noch einer Versammlung beigewohnt, in
der das Segment durch ein gespanntes Seil gekenn-
zeichnet wurde.) Wollten die Frauen damals poli-

wir das Frauenstimmrecht haben?‟ vielmehr: „Wel-
ches ist der Weg zum Frauenstimmrecht?‟ Zum
Beschreiten dieses Weges ist die Kenntnis von der
Entwicklung der Bewegung und den praktischen Ar-
beitsgebieten ebenfalls unentbehrlich.

Die Agitation für politische Gleichberechtigung,
für das Stimmrecht auch auf allen in Betracht kom-
menden Gebieten hat in Deutschland spät einge-
setzt, lange nachdem die Frauenbewegung für er-
weiterte Bildungsmöglichkeiten, Berufstätigkeit, so-
ziale Mitarbeit eintrat. Die Reform des B. G. B. gab
der organisierten Frauenbewegung Gelegenheit, ihren
Wünschen durch Ueberreichung einer Petition Aus-
druck zu geben. Minna Cauer, Lilli Braun
und Anita Augspurg waren die ersten, die das Frauen-
stimmrecht in einer öffentlichen Volksversammlung
in Berlin 1894 erörterten. Dieses Unternehmen war
ein Wagnis und eine mutige Tat, und damit hat die
öffentliche Diskussion über das Frauenstimmrecht in
Deutschland eingesetzt. Der Erörterung in breitester
Oeffentlichkeit stand ein großes Bollwerk entgegen:
das alte Vereinsgesetz. Bis zum Jahre 1908 durften
die Frauen in den meisten Bundesstaaten weder poli-
tischen Parteien angehören, noch selbst politische
Vereine gründen, ebensowenig in politischen Ver-
sammlungen und derartigen Vereinen sprechen, oder
als Zuhörerinnen anwesend sein. Später wurde an-
läßlich einer Versammlung des Bundes der Land-
wirte die ministerielle Genehmigung erteilt, daß fort-
an Frauen als stumme Zuhörerinnen geduldet wur-
den, wenn eine sichtbare räumliche Scheidung, das
sog. Segment, im Versammlungslokal sie von der
politischen Männergemeinde absonderte. (Verfasserin
hat selbst noch einer Versammlung beigewohnt, in
der das Segment durch ein gespanntes Seil gekenn-
zeichnet wurde.) Wollten die Frauen damals poli-

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[18/0018] wir das Frauenstimmrecht haben?‟ vielmehr: „Wel- ches ist der Weg zum Frauenstimmrecht?‟ Zum Beschreiten dieses Weges ist die Kenntnis von der Entwicklung der Bewegung und den praktischen Ar- beitsgebieten ebenfalls unentbehrlich. Die Agitation für politische Gleichberechtigung, für das Stimmrecht auch auf allen in Betracht kom- menden Gebieten hat in Deutschland spät einge- setzt, lange nachdem die Frauenbewegung für er- weiterte Bildungsmöglichkeiten, Berufstätigkeit, so- ziale Mitarbeit eintrat. Die Reform des B. G. B. gab der organisierten Frauenbewegung Gelegenheit, ihren Wünschen durch Ueberreichung einer Petition Aus- druck zu geben. Minna Cauer, Lilli Braun und Anita Augspurg waren die ersten, die das Frauen- stimmrecht in einer öffentlichen Volksversammlung in Berlin 1894 erörterten. Dieses Unternehmen war ein Wagnis und eine mutige Tat, und damit hat die öffentliche Diskussion über das Frauenstimmrecht in Deutschland eingesetzt. Der Erörterung in breitester Oeffentlichkeit stand ein großes Bollwerk entgegen: das alte Vereinsgesetz. Bis zum Jahre 1908 durften die Frauen in den meisten Bundesstaaten weder poli- tischen Parteien angehören, noch selbst politische Vereine gründen, ebensowenig in politischen Ver- sammlungen und derartigen Vereinen sprechen, oder als Zuhörerinnen anwesend sein. Später wurde an- läßlich einer Versammlung des Bundes der Land- wirte die ministerielle Genehmigung erteilt, daß fort- an Frauen als stumme Zuhörerinnen geduldet wur- den, wenn eine sichtbare räumliche Scheidung, das sog. Segment, im Versammlungslokal sie von der politischen Männergemeinde absonderte. (Verfasserin hat selbst noch einer Versammlung beigewohnt, in der das Segment durch ein gespanntes Seil gekenn- zeichnet wurde.) Wollten die Frauen damals poli-

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Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2015-06-26T14:08:50Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-06-26T14:08:50Z)

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Zitationshilfe: Ledermann, Frieda: Zur Geschichte der Frauenstimmrechtsbewegung. Berlin, 1918, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ledermann_frauenstimmrechtsbewegung_1918/18>, abgerufen am 25.04.2024.