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Ledebur, Adolf: Handbuch der Eisenhüttenkunde. Leipzig, 1884.

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Die Härte und Härtbarkeit.

Das Verfahren, dem gehärteten Stahl durch Erwärmung einen Theil
seiner Härte zu nehmen, nennt man das Anlassen desselben. Man
erhält hierdurch ein vortreffliches Mittel, Gegenständen aus einem und
demselben Stahle sehr verschiedene Härtegrade zu ertheilen, je nach-
dem er für diesen oder jenen Zweck bestimmt ist; und es ist diese
Regelung des Härtegrades durch das Anlassen um so wichtiger, da
der härtere (weniger stark angelassene) Stahl auch der sprödere ist,
d. h. leichter unter dem Einflusse von Erschütterungen zerspringt, es
also in Rücksicht auf die grössere Haltbarkeit wünschenswerth ist,
dem Stahle keine grössere Härte zu verleihen, als die Verwendung
des Stahlgegenstandes es erfordert.

Gehärteten und nicht angelassenen Stahl nennt man glashart.
Gegenstände aus solchem glasharten Stahle finden wegen der soeben
besprochenen Beziehungen zwischen Sprödigkeit und Härte nur da
Verwendung, wo eben der höchste Härtegrad Erforderniss ist (z. B.
für Feilen). Der durch Anlassen erzeugte Härtegrad, welcher zwischen
Glashärte und Naturhärte liegt, heisst die Anlasshärte.

Beim Anlassen, welches gewöhnlich durch Erhitzen des gehärteten
Stahlgegenstandes in einem Holzkohlenfeuer bewirkt wird, erkennt man
den gewünschten Härtegrad an den sogenannten Anlauffarben,
welche an einer blank geschabten Stelle des Stahlstückes infolge der
Erwärmung erscheinen. Sie werden durch die Entstehung eines Oxyd-
häutchens hervorgerufen, welches immer stärker und daher anders-
farbiger wird, je stärker die Erhitzung fortschreitet. Obgleich die ein-
zelnen Farbentöne dieser Anlauffarben bei verschiedenen Stahlsorten
nicht immer ganz genau übereinstimmen, so zeigt sich doch hinsicht-
lich des Erscheinens und Verschwindens der Farben im Grossen und
Ganzen stets die nämliche Reihenfolge. Zuerst, bei einer Temperatur
von etwas über 200°C., erscheint hellgelbe Farbe; bei 240°C. wird
dieselbe dunkler, um bei etwa 250°C. einen bräunlichen Ton anzu-
nehmen und bei 265°C. in Braunroth überzugehen. Bei 275°C.
erscheint purpurrothe Farbe; bei 285°C. bekommt sie einen Stich ins
Blaue (violet), bei 295°C. ist sie kornblumenblau, wird bei 315°C.
hellblau oder graublau und bei 330°C. grau.

Wie sich aus dem oben Gesagten ergiebt, ist es zur Erreichung
des einer bestimmten Anlauffarbe entsprechenden Härtegrades erforder-
lich, dass der betreffende Gegenstand, sobald die betreffende Anlauf-
farbe erscheint, durch Eintauchen in Wasser abgekühlt werde. Im
anderen Falle würde durch das längere Warmbleiben der Härtegrad
stärker abgemindert werden als beabsichtigt war.

Es verdient ausserdem hervorgehoben zu werden, dass gleiche
Anlauffarben auch nur dann gleichen Härtegraden entsprechen können,
wenn die Naturhärte der betreffenden Stahlgegenstände dieselbe ist.
Wie ein Stahl mit 1.2 Proc. Kohlenstoff sowohl vor als nach dem
Härten einen bedeutend grösseren Härtegrad zeigt als ein solcher mit
0.6 oder 0.7 Proc. Kohlenstoff, so wird auch beim Anlassen auf eine
bestimmte Anlauffarbe der kohlenstoffreichere Stahl naturgemäss immer-
hin der härtere bleiben. Von der Verwendung des Stahles muss daher
zunächst die Wahl der Stahlsorte -- ob härter oder weicher -- ab-
hängig sein, und in zweiter Reihe erst wird sich entscheiden lassen,

Die Härte und Härtbarkeit.

Das Verfahren, dem gehärteten Stahl durch Erwärmung einen Theil
seiner Härte zu nehmen, nennt man das Anlassen desselben. Man
erhält hierdurch ein vortreffliches Mittel, Gegenständen aus einem und
demselben Stahle sehr verschiedene Härtegrade zu ertheilen, je nach-
dem er für diesen oder jenen Zweck bestimmt ist; und es ist diese
Regelung des Härtegrades durch das Anlassen um so wichtiger, da
der härtere (weniger stark angelassene) Stahl auch der sprödere ist,
d. h. leichter unter dem Einflusse von Erschütterungen zerspringt, es
also in Rücksicht auf die grössere Haltbarkeit wünschenswerth ist,
dem Stahle keine grössere Härte zu verleihen, als die Verwendung
des Stahlgegenstandes es erfordert.

Gehärteten und nicht angelassenen Stahl nennt man glashart.
Gegenstände aus solchem glasharten Stahle finden wegen der soeben
besprochenen Beziehungen zwischen Sprödigkeit und Härte nur da
Verwendung, wo eben der höchste Härtegrad Erforderniss ist (z. B.
für Feilen). Der durch Anlassen erzeugte Härtegrad, welcher zwischen
Glashärte und Naturhärte liegt, heisst die Anlasshärte.

Beim Anlassen, welches gewöhnlich durch Erhitzen des gehärteten
Stahlgegenstandes in einem Holzkohlenfeuer bewirkt wird, erkennt man
den gewünschten Härtegrad an den sogenannten Anlauffarben,
welche an einer blank geschabten Stelle des Stahlstückes infolge der
Erwärmung erscheinen. Sie werden durch die Entstehung eines Oxyd-
häutchens hervorgerufen, welches immer stärker und daher anders-
farbiger wird, je stärker die Erhitzung fortschreitet. Obgleich die ein-
zelnen Farbentöne dieser Anlauffarben bei verschiedenen Stahlsorten
nicht immer ganz genau übereinstimmen, so zeigt sich doch hinsicht-
lich des Erscheinens und Verschwindens der Farben im Grossen und
Ganzen stets die nämliche Reihenfolge. Zuerst, bei einer Temperatur
von etwas über 200°C., erscheint hellgelbe Farbe; bei 240°C. wird
dieselbe dunkler, um bei etwa 250°C. einen bräunlichen Ton anzu-
nehmen und bei 265°C. in Braunroth überzugehen. Bei 275°C.
erscheint purpurrothe Farbe; bei 285°C. bekommt sie einen Stich ins
Blaue (violet), bei 295°C. ist sie kornblumenblau, wird bei 315°C.
hellblau oder graublau und bei 330°C. grau.

Wie sich aus dem oben Gesagten ergiebt, ist es zur Erreichung
des einer bestimmten Anlauffarbe entsprechenden Härtegrades erforder-
lich, dass der betreffende Gegenstand, sobald die betreffende Anlauf-
farbe erscheint, durch Eintauchen in Wasser abgekühlt werde. Im
anderen Falle würde durch das längere Warmbleiben der Härtegrad
stärker abgemindert werden als beabsichtigt war.

Es verdient ausserdem hervorgehoben zu werden, dass gleiche
Anlauffarben auch nur dann gleichen Härtegraden entsprechen können,
wenn die Naturhärte der betreffenden Stahlgegenstände dieselbe ist.
Wie ein Stahl mit 1.2 Proc. Kohlenstoff sowohl vor als nach dem
Härten einen bedeutend grösseren Härtegrad zeigt als ein solcher mit
0.6 oder 0.7 Proc. Kohlenstoff, so wird auch beim Anlassen auf eine
bestimmte Anlauffarbe der kohlenstoffreichere Stahl naturgemäss immer-
hin der härtere bleiben. Von der Verwendung des Stahles muss daher
zunächst die Wahl der Stahlsorte — ob härter oder weicher — ab-
hängig sein, und in zweiter Reihe erst wird sich entscheiden lassen,

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[647/0715] Die Härte und Härtbarkeit. Das Verfahren, dem gehärteten Stahl durch Erwärmung einen Theil seiner Härte zu nehmen, nennt man das Anlassen desselben. Man erhält hierdurch ein vortreffliches Mittel, Gegenständen aus einem und demselben Stahle sehr verschiedene Härtegrade zu ertheilen, je nach- dem er für diesen oder jenen Zweck bestimmt ist; und es ist diese Regelung des Härtegrades durch das Anlassen um so wichtiger, da der härtere (weniger stark angelassene) Stahl auch der sprödere ist, d. h. leichter unter dem Einflusse von Erschütterungen zerspringt, es also in Rücksicht auf die grössere Haltbarkeit wünschenswerth ist, dem Stahle keine grössere Härte zu verleihen, als die Verwendung des Stahlgegenstandes es erfordert. Gehärteten und nicht angelassenen Stahl nennt man glashart. Gegenstände aus solchem glasharten Stahle finden wegen der soeben besprochenen Beziehungen zwischen Sprödigkeit und Härte nur da Verwendung, wo eben der höchste Härtegrad Erforderniss ist (z. B. für Feilen). Der durch Anlassen erzeugte Härtegrad, welcher zwischen Glashärte und Naturhärte liegt, heisst die Anlasshärte. Beim Anlassen, welches gewöhnlich durch Erhitzen des gehärteten Stahlgegenstandes in einem Holzkohlenfeuer bewirkt wird, erkennt man den gewünschten Härtegrad an den sogenannten Anlauffarben, welche an einer blank geschabten Stelle des Stahlstückes infolge der Erwärmung erscheinen. Sie werden durch die Entstehung eines Oxyd- häutchens hervorgerufen, welches immer stärker und daher anders- farbiger wird, je stärker die Erhitzung fortschreitet. Obgleich die ein- zelnen Farbentöne dieser Anlauffarben bei verschiedenen Stahlsorten nicht immer ganz genau übereinstimmen, so zeigt sich doch hinsicht- lich des Erscheinens und Verschwindens der Farben im Grossen und Ganzen stets die nämliche Reihenfolge. Zuerst, bei einer Temperatur von etwas über 200°C., erscheint hellgelbe Farbe; bei 240°C. wird dieselbe dunkler, um bei etwa 250°C. einen bräunlichen Ton anzu- nehmen und bei 265°C. in Braunroth überzugehen. Bei 275°C. erscheint purpurrothe Farbe; bei 285°C. bekommt sie einen Stich ins Blaue (violet), bei 295°C. ist sie kornblumenblau, wird bei 315°C. hellblau oder graublau und bei 330°C. grau. Wie sich aus dem oben Gesagten ergiebt, ist es zur Erreichung des einer bestimmten Anlauffarbe entsprechenden Härtegrades erforder- lich, dass der betreffende Gegenstand, sobald die betreffende Anlauf- farbe erscheint, durch Eintauchen in Wasser abgekühlt werde. Im anderen Falle würde durch das längere Warmbleiben der Härtegrad stärker abgemindert werden als beabsichtigt war. Es verdient ausserdem hervorgehoben zu werden, dass gleiche Anlauffarben auch nur dann gleichen Härtegraden entsprechen können, wenn die Naturhärte der betreffenden Stahlgegenstände dieselbe ist. Wie ein Stahl mit 1.2 Proc. Kohlenstoff sowohl vor als nach dem Härten einen bedeutend grösseren Härtegrad zeigt als ein solcher mit 0.6 oder 0.7 Proc. Kohlenstoff, so wird auch beim Anlassen auf eine bestimmte Anlauffarbe der kohlenstoffreichere Stahl naturgemäss immer- hin der härtere bleiben. Von der Verwendung des Stahles muss daher zunächst die Wahl der Stahlsorte — ob härter oder weicher — ab- hängig sein, und in zweiter Reihe erst wird sich entscheiden lassen,

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Zitationshilfe: Ledebur, Adolf: Handbuch der Eisenhüttenkunde. Leipzig, 1884, S. 647. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ledebur_eisenhuettenkunde_1884/715>, abgerufen am 18.06.2024.