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Ledebur, Adolf: Handbuch der Eisenhüttenkunde. Leipzig, 1884.

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Die Herstellung der Eisenbahnschienen.
als Beispiel für die Verarbeitung des Flusseisens überhaupt möge des-
halb eine kurze Beschreibung des Verfahrens bei diesem Betriebszweige
der Eisenhütten dienen.

Bis gegen die Mitte der sechziger Jahre dieses Jahrhunderts be-
nutzte man allgemein Schweisseisen zur Herstellung der Eisenbahn-
schienen. Ziemlich regelmässig bestand der Kopf der Schiene aus Puddel-
stahl oder Feinkorneisen, der Fuss aus Sehneeisen. Durch geeignetes
Packetiren, Schweissen und Auswalzen wurden die verschiedenen Eisen-
sorten bei der Herstellung der Schienen mit einander verbunden. Später
vertauschte man den Puddelstahl vielfach mit Bessemerstahl und solche
Schienen mit sehnigem Fusse und Stahlkopf wurden noch in der Mitte
der siebenziger Jahre ziemlich häufig gefertigt.

Eine derartige aus Schweisseisen gefertigte Schiene besteht dem-
nach, wie jeder aus einem Packete hervorgehende Eisenstab, aus zahl-
reichen, neben und auf einander liegenden, durch Schweissung ver-
bundenen Streifen. Unter der Einwirkung der darüber hinrollenden
Räder lösen sich allmählich die Schweissstellen, die Schiene fängt an
aufzusplittern und wird unbrauchbar, ehe noch die eigentliche Abnutzung
des Kopfes ein Auswechseln derselben erforderlich gemacht haben
würde.

Es ist klar, dass dieser Uebelstand vermieden, die Schiene halt-
barer werden muss, wenn sie aus ungeschweisstem Materiale, aus Fluss-
eisen, gefertigt wird.

Die ersten Versuche, ungeschweisste Schienen aus Flusseisen anzu-
wenden, wurden sehr bald nach Einführung des Bessemerprocesses, im
Anfange der sechziger Jahre, angestellt. Man beschränkte ihre An-
wendung anfänglich auf die vielbenutzten Gleise der Bahnhöfe und auf
starke Steigungen. Zwei Umstände waren es vornehmlich, die sich
einer raschen Ausbreitung der Anwendung entgegensetzten. Der eine
war die grössere Kostspieligkeit des Bessemereisens in damaliger Zeit;
der andere der Mangel an Erfahrungen über die zweckmässigste chemi-
sche Zusammensetzung. Um die Schienen möglichst widerstandsfähig
zu machen, glaubte man ein zugleich sehr festes und hartes Material,
wirklichen Stahl, verwenden zu müssen, dessen vorschriftsmässige Zer-
reissungsfestigkeit mitunter 75 kg per qmm oder noch mehr betragen
sollte. Bei einer so bedeutenden Festigkeit kann die Zähigkeit nur
eine geringe sein; die Schienen waren zu spröde, um lange haltbar
zu sein.

Erst nachdem im Laufe der siebenziger Jahre durch die Vervoll-
kommnungen in den Bessemer- und Walzwerken die Möglichkeit ge-
schaffen war, Bessemereisenschienen ebenso billig als früher geschweisste
Schienen zu liefern, und als dann die Erfahrungen über die zweck-
mässigste Wahl und Behandlung des Materiales immer reicher wurden,
verdrängte die Flusseisenschiene ziemlich rasch die geschweisste, und
seit Beginn der achtziger Jahre hat die Anfertigung der letzteren fast
ganz aufgehört.

Gross ist in der That der Unterschied in der Dauer der beiden
Schienengattungen. Wenn zwar ein vollständig zuverlässiger Vergleich
insofern schwierig ist, als hierbei die Anzahl und Grösse der einzelnen

Ledebur, Handbuch. 63

Die Herstellung der Eisenbahnschienen.
als Beispiel für die Verarbeitung des Flusseisens überhaupt möge des-
halb eine kurze Beschreibung des Verfahrens bei diesem Betriebszweige
der Eisenhütten dienen.

Bis gegen die Mitte der sechziger Jahre dieses Jahrhunderts be-
nutzte man allgemein Schweisseisen zur Herstellung der Eisenbahn-
schienen. Ziemlich regelmässig bestand der Kopf der Schiene aus Puddel-
stahl oder Feinkorneisen, der Fuss aus Sehneeisen. Durch geeignetes
Packetiren, Schweissen und Auswalzen wurden die verschiedenen Eisen-
sorten bei der Herstellung der Schienen mit einander verbunden. Später
vertauschte man den Puddelstahl vielfach mit Bessemerstahl und solche
Schienen mit sehnigem Fusse und Stahlkopf wurden noch in der Mitte
der siebenziger Jahre ziemlich häufig gefertigt.

Eine derartige aus Schweisseisen gefertigte Schiene besteht dem-
nach, wie jeder aus einem Packete hervorgehende Eisenstab, aus zahl-
reichen, neben und auf einander liegenden, durch Schweissung ver-
bundenen Streifen. Unter der Einwirkung der darüber hinrollenden
Räder lösen sich allmählich die Schweissstellen, die Schiene fängt an
aufzusplittern und wird unbrauchbar, ehe noch die eigentliche Abnutzung
des Kopfes ein Auswechseln derselben erforderlich gemacht haben
würde.

Es ist klar, dass dieser Uebelstand vermieden, die Schiene halt-
barer werden muss, wenn sie aus ungeschweisstem Materiale, aus Fluss-
eisen, gefertigt wird.

Die ersten Versuche, ungeschweisste Schienen aus Flusseisen anzu-
wenden, wurden sehr bald nach Einführung des Bessemerprocesses, im
Anfange der sechziger Jahre, angestellt. Man beschränkte ihre An-
wendung anfänglich auf die vielbenutzten Gleise der Bahnhöfe und auf
starke Steigungen. Zwei Umstände waren es vornehmlich, die sich
einer raschen Ausbreitung der Anwendung entgegensetzten. Der eine
war die grössere Kostspieligkeit des Bessemereisens in damaliger Zeit;
der andere der Mangel an Erfahrungen über die zweckmässigste chemi-
sche Zusammensetzung. Um die Schienen möglichst widerstandsfähig
zu machen, glaubte man ein zugleich sehr festes und hartes Material,
wirklichen Stahl, verwenden zu müssen, dessen vorschriftsmässige Zer-
reissungsfestigkeit mitunter 75 kg per qmm oder noch mehr betragen
sollte. Bei einer so bedeutenden Festigkeit kann die Zähigkeit nur
eine geringe sein; die Schienen waren zu spröde, um lange haltbar
zu sein.

Erst nachdem im Laufe der siebenziger Jahre durch die Vervoll-
kommnungen in den Bessemer- und Walzwerken die Möglichkeit ge-
schaffen war, Bessemereisenschienen ebenso billig als früher geschweisste
Schienen zu liefern, und als dann die Erfahrungen über die zweck-
mässigste Wahl und Behandlung des Materiales immer reicher wurden,
verdrängte die Flusseisenschiene ziemlich rasch die geschweisste, und
seit Beginn der achtziger Jahre hat die Anfertigung der letzteren fast
ganz aufgehört.

Gross ist in der That der Unterschied in der Dauer der beiden
Schienengattungen. Wenn zwar ein vollständig zuverlässiger Vergleich
insofern schwierig ist, als hierbei die Anzahl und Grösse der einzelnen

Ledebur, Handbuch. 63
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[985/1073] Die Herstellung der Eisenbahnschienen. als Beispiel für die Verarbeitung des Flusseisens überhaupt möge des- halb eine kurze Beschreibung des Verfahrens bei diesem Betriebszweige der Eisenhütten dienen. Bis gegen die Mitte der sechziger Jahre dieses Jahrhunderts be- nutzte man allgemein Schweisseisen zur Herstellung der Eisenbahn- schienen. Ziemlich regelmässig bestand der Kopf der Schiene aus Puddel- stahl oder Feinkorneisen, der Fuss aus Sehneeisen. Durch geeignetes Packetiren, Schweissen und Auswalzen wurden die verschiedenen Eisen- sorten bei der Herstellung der Schienen mit einander verbunden. Später vertauschte man den Puddelstahl vielfach mit Bessemerstahl und solche Schienen mit sehnigem Fusse und Stahlkopf wurden noch in der Mitte der siebenziger Jahre ziemlich häufig gefertigt. Eine derartige aus Schweisseisen gefertigte Schiene besteht dem- nach, wie jeder aus einem Packete hervorgehende Eisenstab, aus zahl- reichen, neben und auf einander liegenden, durch Schweissung ver- bundenen Streifen. Unter der Einwirkung der darüber hinrollenden Räder lösen sich allmählich die Schweissstellen, die Schiene fängt an aufzusplittern und wird unbrauchbar, ehe noch die eigentliche Abnutzung des Kopfes ein Auswechseln derselben erforderlich gemacht haben würde. Es ist klar, dass dieser Uebelstand vermieden, die Schiene halt- barer werden muss, wenn sie aus ungeschweisstem Materiale, aus Fluss- eisen, gefertigt wird. Die ersten Versuche, ungeschweisste Schienen aus Flusseisen anzu- wenden, wurden sehr bald nach Einführung des Bessemerprocesses, im Anfange der sechziger Jahre, angestellt. Man beschränkte ihre An- wendung anfänglich auf die vielbenutzten Gleise der Bahnhöfe und auf starke Steigungen. Zwei Umstände waren es vornehmlich, die sich einer raschen Ausbreitung der Anwendung entgegensetzten. Der eine war die grössere Kostspieligkeit des Bessemereisens in damaliger Zeit; der andere der Mangel an Erfahrungen über die zweckmässigste chemi- sche Zusammensetzung. Um die Schienen möglichst widerstandsfähig zu machen, glaubte man ein zugleich sehr festes und hartes Material, wirklichen Stahl, verwenden zu müssen, dessen vorschriftsmässige Zer- reissungsfestigkeit mitunter 75 kg per qmm oder noch mehr betragen sollte. Bei einer so bedeutenden Festigkeit kann die Zähigkeit nur eine geringe sein; die Schienen waren zu spröde, um lange haltbar zu sein. Erst nachdem im Laufe der siebenziger Jahre durch die Vervoll- kommnungen in den Bessemer- und Walzwerken die Möglichkeit ge- schaffen war, Bessemereisenschienen ebenso billig als früher geschweisste Schienen zu liefern, und als dann die Erfahrungen über die zweck- mässigste Wahl und Behandlung des Materiales immer reicher wurden, verdrängte die Flusseisenschiene ziemlich rasch die geschweisste, und seit Beginn der achtziger Jahre hat die Anfertigung der letzteren fast ganz aufgehört. Gross ist in der That der Unterschied in der Dauer der beiden Schienengattungen. Wenn zwar ein vollständig zuverlässiger Vergleich insofern schwierig ist, als hierbei die Anzahl und Grösse der einzelnen Ledebur, Handbuch. 63

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Zitationshilfe: Ledebur, Adolf: Handbuch der Eisenhüttenkunde. Leipzig, 1884, S. 985. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ledebur_eisenhuettenkunde_1884/1073>, abgerufen am 22.12.2024.