Gott! Richter, thue deine Hand von mir, daß ich nicht vergehe. Sey mir nicht länger schreck- lich du Zuversicht aller in der Noth. Mir ist angst; lindere mirs; siehe an meinen Jammer und Elend, und vergieb mir alle meine Sünden. Zwar leide ich nun billig, was meine Thaten werth sind. Denn ich wußte deine Gebote, und habe sie frech übertre- ten. Jch gelobte dir Gehorsam mit heuchlerischem Munde. Jch brach den so oft feyerlich wiederholten Eidschwur, mit dem ich dir Besserung zugesagt habe. Jch widerstrebte deinem Geiste, verachtete dein Wort, mißbrauchte meine Glieder und Kräfte, empfieng den Leib und das Blut deines Sohnes mit unheiligen Lippen, und machte mich also deiner fer- nern Erbarmung durchaus unwürdig. Dieß alles sehe und fühle ich jetzt, o gerechter Gott! meine Sunde scheint mir nun oft größer, als daß sie mir könnte vergeben werden; mein eigen Gewissen ver- dammet mich; mein Herz ist leer von Vertrauen und Liebe zu dir, suchet Ruhe, und findet sie nicht, wird von Schaam und Furcht und Reue zerrissen und gemartert: Ach Gott! die Angst meiner See- len ist groß; rette mich aus meinen Nöthen. Be- ruhige dieses ungestüme grausame Wüten meines aufgebrachten Gewissens, und bringe die Kräfte meines zerrütteten Geistes wieder in ihre natürliche Ordnung zurücke. Jch weiß es mein Gott! du bist kein Tyrann, der nach Blut dürstet: du bist gnä- dig, barmherzig und von großer Geduld. Nur scheine ich mir dieser deiner Gnade selbst unfähig gemacht, dünke mir zu viele, zu große Sünden be- gangen zu haben. Stille diese Zweifel meines ban-
gen
Bey großer fortdaurender Unruhe des Gewiſſens.
Gott! Richter, thue deine Hand von mir, daß ich nicht vergehe. Sey mir nicht länger ſchreck- lich du Zuverſicht aller in der Noth. Mir iſt angſt; lindere mirs; ſiehe an meinen Jammer und Elend, und vergieb mir alle meine Sünden. Zwar leide ich nun billig, was meine Thaten werth ſind. Denn ich wußte deine Gebote, und habe ſie frech übertre- ten. Jch gelobte dir Gehorſam mit heuchleriſchem Munde. Jch brach den ſo oft feyerlich wiederholten Eidſchwur, mit dem ich dir Beſſerung zugeſagt habe. Jch widerſtrebte deinem Geiſte, verachtete dein Wort, mißbrauchte meine Glieder und Kräfte, empfieng den Leib und das Blut deines Sohnes mit unheiligen Lippen, und machte mich alſo deiner fer- nern Erbarmung durchaus unwürdig. Dieß alles ſehe und fühle ich jetzt, o gerechter Gott! meine Sunde ſcheint mir nun oft größer, als daß ſie mir könnte vergeben werden; mein eigen Gewiſſen ver- dammet mich; mein Herz iſt leer von Vertrauen und Liebe zu dir, ſuchet Ruhe, und findet ſie nicht, wird von Schaam und Furcht und Reue zerriſſen und gemartert: Ach Gott! die Angſt meiner See- len iſt groß; rette mich aus meinen Nöthen. Be- ruhige dieſes ungeſtüme grauſame Wüten meines aufgebrachten Gewiſſens, und bringe die Kräfte meines zerrütteten Geiſtes wieder in ihre natürliche Ordnung zurücke. Jch weiß es mein Gott! du biſt kein Tyrann, der nach Blut dürſtet: du biſt gnä- dig, barmherzig und von großer Geduld. Nur ſcheine ich mir dieſer deiner Gnade ſelbſt unfähig gemacht, dünke mir zu viele, zu große Sünden be- gangen zu haben. Stille dieſe Zweifel meines ban-
gen
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Bey großer fortdaurender Unruhe
des Gewiſſens.
Gott! Richter, thue deine Hand von mir, daß ich
nicht vergehe. Sey mir nicht länger ſchreck-
lich du Zuverſicht aller in der Noth. Mir iſt angſt;
lindere mirs; ſiehe an meinen Jammer und Elend,
und vergieb mir alle meine Sünden. Zwar leide
ich nun billig, was meine Thaten werth ſind. Denn
ich wußte deine Gebote, und habe ſie frech übertre-
ten. Jch gelobte dir Gehorſam mit heuchleriſchem
Munde. Jch brach den ſo oft feyerlich wiederholten
Eidſchwur, mit dem ich dir Beſſerung zugeſagt
habe. Jch widerſtrebte deinem Geiſte, verachtete
dein Wort, mißbrauchte meine Glieder und Kräfte,
empfieng den Leib und das Blut deines Sohnes mit
unheiligen Lippen, und machte mich alſo deiner fer-
nern Erbarmung durchaus unwürdig. Dieß alles
ſehe und fühle ich jetzt, o gerechter Gott! meine
Sunde ſcheint mir nun oft größer, als daß ſie mir
könnte vergeben werden; mein eigen Gewiſſen ver-
dammet mich; mein Herz iſt leer von Vertrauen
und Liebe zu dir, ſuchet Ruhe, und findet ſie nicht,
wird von Schaam und Furcht und Reue zerriſſen
und gemartert: Ach Gott! die Angſt meiner See-
len iſt groß; rette mich aus meinen Nöthen. Be-
ruhige dieſes ungeſtüme grauſame Wüten meines
aufgebrachten Gewiſſens, und bringe die Kräfte
meines zerrütteten Geiſtes wieder in ihre natürliche
Ordnung zurücke. Jch weiß es mein Gott! du biſt
kein Tyrann, der nach Blut dürſtet: du biſt gnä-
dig, barmherzig und von großer Geduld. Nur
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gemacht, dünke mir zu viele, zu große Sünden be-
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Lavater, Johann Caspar: Sammlung einiger Gebete auf die wichtigsten Angelegenheiten des menschlichen Lebens. Leipzig, 1778, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_sammlung_1778/74>, abgerufen am 13.06.2024.
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