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Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778.

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I. Abschnitt. IV. Fragment.

6) Löwenmuth mag dieß Gesicht wohl haben; aber der Löwe hat nicht die aufrechtstehen-
de Stirne des Mannes. Die gevierte Stirne ist sicherer Wohnplatz fester Stärke -- aber unser Lö-
we ist nach dem Manne, nicht der Mann nach dem Löwen geformt! Jn beyden ist der untere Theil
der Nase unnatürlich; das ist, heterogen mit der breiten gevierten Gesichtsform. Jn beyden sind die
Augen unwahr. Jm Mannsgesichte offenbar zu weit von einander entfernt; und so fehlt auch dem
Munde sein Charakteristisches gänzlich.

Eben so unrichtig und unzureichend zu gegründeten Schlüssen scheinen mir auch die unmit-
telbar folgenden Gesichtspaare.

[Abbildung]

Denn wenn man auch etwa eine Aehnlichkeit zwischen den Nasen dieser beyden Mannsköpfe mit den
Schnäbeln beyder Vögelköpfe zugäbe; so würden die Augen, auf deren Aehnlichkeit mit den Thieren
Porta, ich will's zugeben, mit Grunde so viel rechnet, von den Augen der beygesetzten Vögel, so viel
ich einsehe, beynahe wesentlich verschieden seyn. Und wie vieles wäre noch anzumerken, wodurch diese
Vorzeichnung wenigstens beynahe unbeweisend wird -- Wie in den vorigen Zeichnungen das Auge
der Menschenköpfe thierisch weit vom Munde und der Nase abstand -- so ist hier in 1. die Nase hin-
ten zu weit von dem Munde und zu nahe am Auge -- und selbst nach der Aehnlichkeit mit dem Hahn
hätte der obere Theil des Gesichtes mehr zurück, der untere mehr vorstehen sollen. Das will ich gerne
glauben, daß ein Mann mit dieser Nase im Punkte einer gewissen Leidenschaft mit dem Hahn eine

merkliche
I. Abſchnitt. IV. Fragment.

6) Loͤwenmuth mag dieß Geſicht wohl haben; aber der Loͤwe hat nicht die aufrechtſtehen-
de Stirne des Mannes. Die gevierte Stirne iſt ſicherer Wohnplatz feſter Staͤrke — aber unſer Loͤ-
we iſt nach dem Manne, nicht der Mann nach dem Loͤwen geformt! Jn beyden iſt der untere Theil
der Naſe unnatuͤrlich; das iſt, heterogen mit der breiten gevierten Geſichtsform. Jn beyden ſind die
Augen unwahr. Jm Mannsgeſichte offenbar zu weit von einander entfernt; und ſo fehlt auch dem
Munde ſein Charakteriſtiſches gaͤnzlich.

Eben ſo unrichtig und unzureichend zu gegruͤndeten Schluͤſſen ſcheinen mir auch die unmit-
telbar folgenden Geſichtspaare.

[Abbildung]

Denn wenn man auch etwa eine Aehnlichkeit zwiſchen den Naſen dieſer beyden Mannskoͤpfe mit den
Schnaͤbeln beyder Voͤgelkoͤpfe zugaͤbe; ſo wuͤrden die Augen, auf deren Aehnlichkeit mit den Thieren
Porta, ich will’s zugeben, mit Grunde ſo viel rechnet, von den Augen der beygeſetzten Voͤgel, ſo viel
ich einſehe, beynahe weſentlich verſchieden ſeyn. Und wie vieles waͤre noch anzumerken, wodurch dieſe
Vorzeichnung wenigſtens beynahe unbeweiſend wird — Wie in den vorigen Zeichnungen das Auge
der Menſchenkoͤpfe thieriſch weit vom Munde und der Naſe abſtand — ſo iſt hier in 1. die Naſe hin-
ten zu weit von dem Munde und zu nahe am Auge — und ſelbſt nach der Aehnlichkeit mit dem Hahn
haͤtte der obere Theil des Geſichtes mehr zuruͤck, der untere mehr vorſtehen ſollen. Das will ich gerne
glauben, daß ein Mann mit dieſer Naſe im Punkte einer gewiſſen Leidenſchaft mit dem Hahn eine

merkliche
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[58/0084] I. Abſchnitt. IV. Fragment. 6) Loͤwenmuth mag dieß Geſicht wohl haben; aber der Loͤwe hat nicht die aufrechtſtehen- de Stirne des Mannes. Die gevierte Stirne iſt ſicherer Wohnplatz feſter Staͤrke — aber unſer Loͤ- we iſt nach dem Manne, nicht der Mann nach dem Loͤwen geformt! Jn beyden iſt der untere Theil der Naſe unnatuͤrlich; das iſt, heterogen mit der breiten gevierten Geſichtsform. Jn beyden ſind die Augen unwahr. Jm Mannsgeſichte offenbar zu weit von einander entfernt; und ſo fehlt auch dem Munde ſein Charakteriſtiſches gaͤnzlich. Eben ſo unrichtig und unzureichend zu gegruͤndeten Schluͤſſen ſcheinen mir auch die unmit- telbar folgenden Geſichtspaare. [Abbildung] Denn wenn man auch etwa eine Aehnlichkeit zwiſchen den Naſen dieſer beyden Mannskoͤpfe mit den Schnaͤbeln beyder Voͤgelkoͤpfe zugaͤbe; ſo wuͤrden die Augen, auf deren Aehnlichkeit mit den Thieren Porta, ich will’s zugeben, mit Grunde ſo viel rechnet, von den Augen der beygeſetzten Voͤgel, ſo viel ich einſehe, beynahe weſentlich verſchieden ſeyn. Und wie vieles waͤre noch anzumerken, wodurch dieſe Vorzeichnung wenigſtens beynahe unbeweiſend wird — Wie in den vorigen Zeichnungen das Auge der Menſchenkoͤpfe thieriſch weit vom Munde und der Naſe abſtand — ſo iſt hier in 1. die Naſe hin- ten zu weit von dem Munde und zu nahe am Auge — und ſelbſt nach der Aehnlichkeit mit dem Hahn haͤtte der obere Theil des Geſichtes mehr zuruͤck, der untere mehr vorſtehen ſollen. Das will ich gerne glauben, daß ein Mann mit dieſer Naſe im Punkte einer gewiſſen Leidenſchaft mit dem Hahn eine merkliche

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente04_1778/84>, abgerufen am 03.05.2024.