Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>
Von den Kennzeichen der Gesundheit und Krankheit.

Nicht eine bloße Semiothik gegenwärtiger, naher oder vergangener Krankheiten; nicht
bloß eine Prognostik des Ausganges vorhandener Krankheiten. Wir sehen unten das Beste und
Kernhafteste aus den semiothischen Schriften, sofern es zu unserm Zwecke dienen mag. Mehr wird
man von uns nicht erwarten. *) Genug, wenn ein weiser Arzt diesen einzigen Wink aufnimmt --
und darüber Versuche anstellet.

[Spaltenumbruch] "wegungen der Hand gegen die Stirne, ein vielfälti-
"ges Suchen in der Luft, und Rupfen an der Wand,
"an den Bettlachen und dem Bette sind von dieser Art.
"Die Lage im Bette ist sehr deutliches Merkmal der
"innwendigen Beschaffenheit der Kranken, und verdient
"darum als ein Zeichen alle Aufmerksamkeit. Wie mehr
"in Entzündungskrankheiten die Lage unordentlich ist,
"desto gewisser schließt man auf die innwendige Angst,
"und endlich auf die Gefahr. Hippokrates hat uns
"die Stellungen der Kranken in diesen Fällen mit einer
"Wahrheit abgemahlt, die nichts zu wünschen übrig
"läßt. -- Die beste Lage in Krankheiten ist die ge-
"wohnte Lage in gesunden Tagen." -- Und nun noch
einige andere Bemerkungen dieses über allen Neid uri-
noser Jgnoranz erhabenen Arztes und Menschenkenners.
S. 452. "Swift war mager, so lange ihn die Ehr-
"sucht und allerley Gram plagte, nachdem er aber den
"Verstand gänzlich verloren hatte, wurde er auch wie-
"der fett."
Unübertrefflich ist seine Schilderung des Neides, und
seiner Wirkungen auf den Körper im XI. Capitel des
II. Theils. "Der Neid äußert seine Wirkungen schon
"bey Kindern. Sie werden dadurch ganz elend und ma-
"ger, und verfallen leicht in eine Dörrsucht. Der Neid
"nimmt überhaupt die Eßlust, macht schlaflos, und zu
"fiebrischen Bewegungen geneigt. Er giebt ein schwer-
"müthiges, schnaubendes, ungeduldiges, banges und
"engbrüstiges Wesen -- Der gute Namen anderer, an
"denen er sich mit verstellter und in seinem Herzen
"nicht liegender Verachtung und Verkleinerung zu rä-
"chen sucht, hängt wie ein Schwert an einem Härchen
"über seinem Haupte. Er möchte andere jede Stunde
"martern, und er selbst ist jede Stunde gemartert. --
"Auch der Lachnarr wird trübe, sobald der Neid, dieser
"wahre und eigentliche Teufel, in ihm zu wirken an-
"fängt, und er sieht, daß er vergeblich sich ereifert,
"die Verdienste zu erniedrigen, die er nicht erreichen
[Spaltenumbruch] "kann. Seine Augen rollen herum; er nickt mit der
"Stirne; er wird sauer, mürrisch, und hängt das Maul.
"Zwar giebt es auch Neider, die zu einem hohen Alter
"gelangen. Sie haben in ihrem Gift duftenden Win-
"kel, durch zahnlose Furien begeistert, sich aller Gele-
"genheiten Böses zu thun bedient; sie haben nach ihrer
"besten Möglichkeit auf jede gute That, auf jeden ehr-
"lichen Namen ihren höllischen Geifer gespritzt; sie
"haben die Sache aller Bösewichter verfochten; sie ha-
"ben alle Begriffe des Rechts und Unrechts ihr langes
"Leben hindurch verdreht; sie haben die reinste Unschuld
"und die bewährteste Tugend in ihren Eingeweiden blu-
"ten gemacht -- darum befinden sie sich wohl, wenn
"auch ihre Gesichter dem Abgrunde, und ihre Köpfe
"umgekehrten Besen gleichen." --
*) Die bekannten und oft von den Aerzten angeführ-
ten semiothischen Schriftsteller sind Aretäus, Lomnius,
Aemilius Campolongus, Wolf, Hoffmann, Wedel,
Schrader, Vater. Baco in seiner Historia vitae et
mortis in oper. p. m. 518. und Boerhave in seinen
institutionibus medicis § 885. n. 5. haben auch etwas
weniges. Die Zeichen, so sich bey den alten griechischen
Schriftstellern, dem Hippokrates, Galenus u. s. f. be-
finden, hat, wie mir Herr Canonikus Geßner sagt,
Ludov. Duretus in Coacis Hippocratis. Lutet. Paris.
1621. Prosper Alpinus in libro de praesagienda vita
et morte aegrotantium in Edit. Lugd. Bat. 1710. p.
293. gesammelt. Zwo Dissertationen hierüber sind mir
auch durch eben diesen Gönner bekannt worden --
De prosoposcopia medica von Samuel Quelmalz,
Leipzig, 1748. und de facie morborum indice, seu mor-
borum aestimatione ex facie, von dem berühmten
Stahl, Halle, 1700.
Aber Thomae Fieni philosophi ac medici praestan-
tissimi Semiotice sive de signis medicis. Lugduni 1664.
ist wohl das vollständigste, ausführlichste, lesenswür-
digste;
Von den Kennzeichen der Geſundheit und Krankheit.

Nicht eine bloße Semiothik gegenwaͤrtiger, naher oder vergangener Krankheiten; nicht
bloß eine Prognoſtik des Ausganges vorhandener Krankheiten. Wir ſehen unten das Beſte und
Kernhafteſte aus den ſemiothiſchen Schriften, ſofern es zu unſerm Zwecke dienen mag. Mehr wird
man von uns nicht erwarten. *) Genug, wenn ein weiſer Arzt dieſen einzigen Wink aufnimmt —
und daruͤber Verſuche anſtellet.

[Spaltenumbruch] „wegungen der Hand gegen die Stirne, ein vielfaͤlti-
„ges Suchen in der Luft, und Rupfen an der Wand,
„an den Bettlachen und dem Bette ſind von dieſer Art.
„Die Lage im Bette iſt ſehr deutliches Merkmal der
„innwendigen Beſchaffenheit der Kranken, und verdient
„darum als ein Zeichen alle Aufmerkſamkeit. Wie mehr
„in Entzuͤndungskrankheiten die Lage unordentlich iſt,
„deſto gewiſſer ſchließt man auf die innwendige Angſt,
„und endlich auf die Gefahr. Hippokrates hat uns
„die Stellungen der Kranken in dieſen Faͤllen mit einer
„Wahrheit abgemahlt, die nichts zu wuͤnſchen uͤbrig
„laͤßt. — Die beſte Lage in Krankheiten iſt die ge-
„wohnte Lage in geſunden Tagen.“ — Und nun noch
einige andere Bemerkungen dieſes uͤber allen Neid uri-
noſer Jgnoranz erhabenen Arztes und Menſchenkenners.
S. 452. „Swift war mager, ſo lange ihn die Ehr-
„ſucht und allerley Gram plagte, nachdem er aber den
„Verſtand gaͤnzlich verloren hatte, wurde er auch wie-
„der fett.“
Unuͤbertrefflich iſt ſeine Schilderung des Neides, und
ſeiner Wirkungen auf den Koͤrper im XI. Capitel des
II. Theils. „Der Neid aͤußert ſeine Wirkungen ſchon
„bey Kindern. Sie werden dadurch ganz elend und ma-
„ger, und verfallen leicht in eine Doͤrrſucht. Der Neid
„nimmt uͤberhaupt die Eßluſt, macht ſchlaflos, und zu
„fiebriſchen Bewegungen geneigt. Er giebt ein ſchwer-
„muͤthiges, ſchnaubendes, ungeduldiges, banges und
„engbruͤſtiges Weſen — Der gute Namen anderer, an
„denen er ſich mit verſtellter und in ſeinem Herzen
„nicht liegender Verachtung und Verkleinerung zu raͤ-
„chen ſucht, haͤngt wie ein Schwert an einem Haͤrchen
„uͤber ſeinem Haupte. Er moͤchte andere jede Stunde
„martern, und er ſelbſt iſt jede Stunde gemartert. —
„Auch der Lachnarr wird truͤbe, ſobald der Neid, dieſer
„wahre und eigentliche Teufel, in ihm zu wirken an-
„faͤngt, und er ſieht, daß er vergeblich ſich ereifert,
„die Verdienſte zu erniedrigen, die er nicht erreichen
[Spaltenumbruch] „kann. Seine Augen rollen herum; er nickt mit der
„Stirne; er wird ſauer, muͤrriſch, und haͤngt das Maul.
„Zwar giebt es auch Neider, die zu einem hohen Alter
„gelangen. Sie haben in ihrem Gift duftenden Win-
„kel, durch zahnloſe Furien begeiſtert, ſich aller Gele-
„genheiten Boͤſes zu thun bedient; ſie haben nach ihrer
„beſten Moͤglichkeit auf jede gute That, auf jeden ehr-
„lichen Namen ihren hoͤlliſchen Geifer geſpritzt; ſie
„haben die Sache aller Boͤſewichter verfochten; ſie ha-
„ben alle Begriffe des Rechts und Unrechts ihr langes
„Leben hindurch verdreht; ſie haben die reinſte Unſchuld
„und die bewaͤhrteſte Tugend in ihren Eingeweiden blu-
„ten gemacht — darum befinden ſie ſich wohl, wenn
„auch ihre Geſichter dem Abgrunde, und ihre Koͤpfe
„umgekehrten Beſen gleichen.“ —
*) Die bekannten und oft von den Aerzten angefuͤhr-
ten ſemiothiſchen Schriftſteller ſind Aretaͤus, Lomnius,
Aemilius Campolongus, Wolf, Hoffmann, Wedel,
Schrader, Vater. Baco in ſeiner Hiſtoria vitae et
mortis in oper. p. m. 518. und Boerhave in ſeinen
inſtitutionibus medicis § 885. n. 5. haben auch etwas
weniges. Die Zeichen, ſo ſich bey den alten griechiſchen
Schriftſtellern, dem Hippokrates, Galenus u. ſ. f. be-
finden, hat, wie mir Herr Canonikus Geßner ſagt,
Ludov. Duretus in Coacis Hippocratis. Lutet. Paris.
1621. Proſper Alpinus in libro de praeſagienda vita
et morte aegrotantium in Edit. Lugd. Bat. 1710. p.
293. geſammelt. Zwo Diſſertationen hieruͤber ſind mir
auch durch eben dieſen Goͤnner bekannt worden —
De proſopoſcopia medica von Samuel Quelmalz,
Leipzig, 1748. und de facie morborum indice, ſeu mor-
borum aeſtimatione ex facie, von dem beruͤhmten
Stahl, Halle, 1700.
Aber Thomae Fieni philoſophi ac medici praeſtan-
tiſſimi Semiotice ſive de ſignis medicis. Lugduni 1664.
iſt wohl das vollſtaͤndigſte, ausfuͤhrlichſte, leſenswuͤr-
digſte;
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0443" n="367"/>
            <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Von den Kennzeichen der Ge&#x017F;undheit und Krankheit.</hi> </fw><lb/>
            <p>Nicht eine bloße Semiothik gegenwa&#x0364;rtiger, naher oder vergangener Krankheiten; nicht<lb/>
bloß eine Progno&#x017F;tik des Ausganges vorhandener Krankheiten. Wir &#x017F;ehen unten das Be&#x017F;te und<lb/>
Kernhafte&#x017F;te aus den &#x017F;emiothi&#x017F;chen Schriften, &#x017F;ofern es zu un&#x017F;erm Zwecke dienen mag. Mehr wird<lb/>
man von uns nicht erwarten. <note xml:id="a53" next="#a54" place="foot" n="*)">Die bekannten und oft von den Aerzten angefu&#x0364;hr-<lb/>
ten &#x017F;emiothi&#x017F;chen Schrift&#x017F;teller &#x017F;ind <hi rendition="#fr">Areta&#x0364;us, Lomnius,<lb/>
Aemilius Campolongus, Wolf, Hoffmann, Wedel,<lb/>
Schrader, Vater. Baco</hi> in &#x017F;einer <hi rendition="#aq">Hi&#x017F;toria vitae et<lb/>
mortis in oper. p. m.</hi> 518. und <hi rendition="#fr">Boerhave</hi> in &#x017F;einen<lb/><hi rendition="#aq">in&#x017F;titutionibus medicis § 885. n.</hi> 5. haben auch etwas<lb/>
weniges. Die Zeichen, &#x017F;o &#x017F;ich bey den alten griechi&#x017F;chen<lb/>
Schrift&#x017F;tellern, dem <hi rendition="#fr">Hippokrates, Galenus</hi> u. &#x017F;. f. be-<lb/>
finden, hat, wie mir Herr Canonikus <hi rendition="#fr">Geßner</hi> &#x017F;agt,<lb/><hi rendition="#aq">Ludov. <hi rendition="#i">Duretus</hi> in Coacis Hippocratis. Lutet. Paris.<lb/>
1621. Pro&#x017F;per <hi rendition="#i">Alpinus</hi> in libro de prae&#x017F;agienda vita<lb/>
et morte aegrotantium in Edit. Lugd. Bat. 1710. p.</hi><lb/>
293. ge&#x017F;ammelt. Zwo Di&#x017F;&#x017F;ertationen hieru&#x0364;ber &#x017F;ind mir<lb/>
auch durch eben die&#x017F;en Go&#x0364;nner bekannt worden &#x2014;<lb/><hi rendition="#aq">De pro&#x017F;opo&#x017F;copia medica</hi> von <hi rendition="#fr">Samuel Quelmalz,</hi><lb/>
Leipzig, 1748. und <hi rendition="#aq">de facie morborum indice, &#x017F;eu mor-<lb/>
borum ae&#x017F;timatione ex facie,</hi> von dem beru&#x0364;hmten<lb/><hi rendition="#fr">Stahl,</hi> Halle, 1700.<lb/>
Aber <hi rendition="#aq">Thomae Fieni philo&#x017F;ophi ac medici prae&#x017F;tan-<lb/>
ti&#x017F;&#x017F;imi <hi rendition="#i">Semiotice</hi> &#x017F;ive de &#x017F;ignis medicis. Lugduni</hi> 1664.<lb/>
i&#x017F;t wohl das voll&#x017F;ta&#x0364;ndig&#x017F;te, ausfu&#x0364;hrlich&#x017F;te, le&#x017F;enswu&#x0364;r-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">dig&#x017F;te;</fw></note> Genug, wenn ein wei&#x017F;er Arzt die&#x017F;en einzigen Wink aufnimmt &#x2014;<lb/>
und daru&#x0364;ber Ver&#x017F;uche an&#x017F;tellet.</p><lb/>
            <note xml:id="a52" prev="#a51" place="foot" n="*)"><cb/>
&#x201E;wegungen der Hand gegen die Stirne, ein vielfa&#x0364;lti-<lb/>
&#x201E;ges Suchen in der Luft, und Rupfen an der Wand,<lb/>
&#x201E;an den Bettlachen und dem Bette &#x017F;ind von die&#x017F;er Art.<lb/>
&#x201E;Die Lage im Bette i&#x017F;t &#x017F;ehr deutliches Merkmal der<lb/>
&#x201E;innwendigen Be&#x017F;chaffenheit der Kranken, und verdient<lb/>
&#x201E;darum als ein Zeichen alle Aufmerk&#x017F;amkeit. Wie mehr<lb/>
&#x201E;in Entzu&#x0364;ndungskrankheiten die Lage unordentlich i&#x017F;t,<lb/>
&#x201E;de&#x017F;to gewi&#x017F;&#x017F;er &#x017F;chließt man auf die innwendige Ang&#x017F;t,<lb/>
&#x201E;und endlich auf die Gefahr. <hi rendition="#fr">Hippokrates</hi> hat uns<lb/>
&#x201E;die Stellungen der Kranken in die&#x017F;en Fa&#x0364;llen mit einer<lb/>
&#x201E;Wahrheit abgemahlt, die nichts zu wu&#x0364;n&#x017F;chen u&#x0364;brig<lb/>
&#x201E;la&#x0364;ßt. &#x2014; Die be&#x017F;te Lage in Krankheiten i&#x017F;t die ge-<lb/>
&#x201E;wohnte Lage in ge&#x017F;unden Tagen.&#x201C; &#x2014; Und nun noch<lb/>
einige andere Bemerkungen die&#x017F;es u&#x0364;ber allen Neid uri-<lb/>
no&#x017F;er Jgnoranz erhabenen Arztes und Men&#x017F;chenkenners.<lb/>
S. 452. &#x201E;<hi rendition="#fr">Swift</hi> war mager, &#x017F;o lange ihn die Ehr-<lb/>
&#x201E;&#x017F;ucht und allerley Gram plagte, nachdem er aber den<lb/>
&#x201E;Ver&#x017F;tand ga&#x0364;nzlich verloren hatte, wurde er auch wie-<lb/>
&#x201E;der fett.&#x201C;<lb/>
Unu&#x0364;bertrefflich i&#x017F;t &#x017F;eine Schilderung des Neides, und<lb/>
&#x017F;einer Wirkungen auf den Ko&#x0364;rper im <hi rendition="#aq">XI.</hi> Capitel des<lb/><hi rendition="#aq">II.</hi> Theils. &#x201E;Der Neid a&#x0364;ußert &#x017F;eine Wirkungen &#x017F;chon<lb/>
&#x201E;bey Kindern. Sie werden dadurch ganz elend und ma-<lb/>
&#x201E;ger, und verfallen leicht in eine Do&#x0364;rr&#x017F;ucht. Der Neid<lb/>
&#x201E;nimmt u&#x0364;berhaupt die Eßlu&#x017F;t, macht &#x017F;chlaflos, und zu<lb/>
&#x201E;fiebri&#x017F;chen Bewegungen geneigt. Er giebt ein &#x017F;chwer-<lb/>
&#x201E;mu&#x0364;thiges, &#x017F;chnaubendes, ungeduldiges, banges und<lb/>
&#x201E;engbru&#x0364;&#x017F;tiges We&#x017F;en &#x2014; Der gute Namen anderer, an<lb/>
&#x201E;denen er &#x017F;ich mit <hi rendition="#fr">ver&#x017F;tellter</hi> und in &#x017F;einem <hi rendition="#fr">Herzen<lb/>
&#x201E;nicht liegender</hi> Verachtung und Verkleinerung zu ra&#x0364;-<lb/>
&#x201E;chen &#x017F;ucht, ha&#x0364;ngt wie ein Schwert an einem Ha&#x0364;rchen<lb/>
&#x201E;u&#x0364;ber &#x017F;einem Haupte. Er mo&#x0364;chte andere jede Stunde<lb/>
&#x201E;martern, und er &#x017F;elb&#x017F;t i&#x017F;t jede Stunde gemartert. &#x2014;<lb/>
&#x201E;Auch der Lachnarr wird tru&#x0364;be, &#x017F;obald der Neid, die&#x017F;er<lb/>
&#x201E;wahre und eigentliche Teufel, in ihm zu wirken an-<lb/>
&#x201E;fa&#x0364;ngt, und er &#x017F;ieht, daß er vergeblich &#x017F;ich ereifert,<lb/>
&#x201E;die Verdien&#x017F;te zu erniedrigen, die er nicht erreichen<lb/><cb/>
&#x201E;kann. Seine Augen rollen herum; er nickt mit der<lb/>
&#x201E;Stirne; er wird &#x017F;auer, mu&#x0364;rri&#x017F;ch, und ha&#x0364;ngt das Maul.<lb/>
&#x201E;Zwar giebt es auch Neider, die zu einem hohen Alter<lb/>
&#x201E;gelangen. Sie haben in ihrem Gift duftenden Win-<lb/>
&#x201E;kel, durch zahnlo&#x017F;e Furien begei&#x017F;tert, &#x017F;ich aller Gele-<lb/>
&#x201E;genheiten Bo&#x0364;&#x017F;es zu thun bedient; &#x017F;ie haben nach ihrer<lb/>
&#x201E;be&#x017F;ten Mo&#x0364;glichkeit auf jede gute That, auf jeden ehr-<lb/>
&#x201E;lichen Namen ihren ho&#x0364;lli&#x017F;chen Geifer ge&#x017F;pritzt; &#x017F;ie<lb/>
&#x201E;haben die Sache aller Bo&#x0364;&#x017F;ewichter verfochten; &#x017F;ie ha-<lb/>
&#x201E;ben alle Begriffe des Rechts und Unrechts ihr langes<lb/>
&#x201E;Leben hindurch verdreht; &#x017F;ie haben die rein&#x017F;te Un&#x017F;chuld<lb/>
&#x201E;und die bewa&#x0364;hrte&#x017F;te Tugend in ihren Eingeweiden blu-<lb/>
&#x201E;ten gemacht &#x2014; darum befinden &#x017F;ie &#x017F;ich wohl, wenn<lb/>
&#x201E;auch ihre Ge&#x017F;ichter dem Abgrunde, und ihre Ko&#x0364;pfe<lb/>
&#x201E;umgekehrten Be&#x017F;en gleichen.&#x201C; &#x2014;</note><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[367/0443] Von den Kennzeichen der Geſundheit und Krankheit. Nicht eine bloße Semiothik gegenwaͤrtiger, naher oder vergangener Krankheiten; nicht bloß eine Prognoſtik des Ausganges vorhandener Krankheiten. Wir ſehen unten das Beſte und Kernhafteſte aus den ſemiothiſchen Schriften, ſofern es zu unſerm Zwecke dienen mag. Mehr wird man von uns nicht erwarten. *) Genug, wenn ein weiſer Arzt dieſen einzigen Wink aufnimmt — und daruͤber Verſuche anſtellet. *) *) Die bekannten und oft von den Aerzten angefuͤhr- ten ſemiothiſchen Schriftſteller ſind Aretaͤus, Lomnius, Aemilius Campolongus, Wolf, Hoffmann, Wedel, Schrader, Vater. Baco in ſeiner Hiſtoria vitae et mortis in oper. p. m. 518. und Boerhave in ſeinen inſtitutionibus medicis § 885. n. 5. haben auch etwas weniges. Die Zeichen, ſo ſich bey den alten griechiſchen Schriftſtellern, dem Hippokrates, Galenus u. ſ. f. be- finden, hat, wie mir Herr Canonikus Geßner ſagt, Ludov. Duretus in Coacis Hippocratis. Lutet. Paris. 1621. Proſper Alpinus in libro de praeſagienda vita et morte aegrotantium in Edit. Lugd. Bat. 1710. p. 293. geſammelt. Zwo Diſſertationen hieruͤber ſind mir auch durch eben dieſen Goͤnner bekannt worden — De proſopoſcopia medica von Samuel Quelmalz, Leipzig, 1748. und de facie morborum indice, ſeu mor- borum aeſtimatione ex facie, von dem beruͤhmten Stahl, Halle, 1700. Aber Thomae Fieni philoſophi ac medici praeſtan- tiſſimi Semiotice ſive de ſignis medicis. Lugduni 1664. iſt wohl das vollſtaͤndigſte, ausfuͤhrlichſte, leſenswuͤr- digſte; *) „wegungen der Hand gegen die Stirne, ein vielfaͤlti- „ges Suchen in der Luft, und Rupfen an der Wand, „an den Bettlachen und dem Bette ſind von dieſer Art. „Die Lage im Bette iſt ſehr deutliches Merkmal der „innwendigen Beſchaffenheit der Kranken, und verdient „darum als ein Zeichen alle Aufmerkſamkeit. Wie mehr „in Entzuͤndungskrankheiten die Lage unordentlich iſt, „deſto gewiſſer ſchließt man auf die innwendige Angſt, „und endlich auf die Gefahr. Hippokrates hat uns „die Stellungen der Kranken in dieſen Faͤllen mit einer „Wahrheit abgemahlt, die nichts zu wuͤnſchen uͤbrig „laͤßt. — Die beſte Lage in Krankheiten iſt die ge- „wohnte Lage in geſunden Tagen.“ — Und nun noch einige andere Bemerkungen dieſes uͤber allen Neid uri- noſer Jgnoranz erhabenen Arztes und Menſchenkenners. S. 452. „Swift war mager, ſo lange ihn die Ehr- „ſucht und allerley Gram plagte, nachdem er aber den „Verſtand gaͤnzlich verloren hatte, wurde er auch wie- „der fett.“ Unuͤbertrefflich iſt ſeine Schilderung des Neides, und ſeiner Wirkungen auf den Koͤrper im XI. Capitel des II. Theils. „Der Neid aͤußert ſeine Wirkungen ſchon „bey Kindern. Sie werden dadurch ganz elend und ma- „ger, und verfallen leicht in eine Doͤrrſucht. Der Neid „nimmt uͤberhaupt die Eßluſt, macht ſchlaflos, und zu „fiebriſchen Bewegungen geneigt. Er giebt ein ſchwer- „muͤthiges, ſchnaubendes, ungeduldiges, banges und „engbruͤſtiges Weſen — Der gute Namen anderer, an „denen er ſich mit verſtellter und in ſeinem Herzen „nicht liegender Verachtung und Verkleinerung zu raͤ- „chen ſucht, haͤngt wie ein Schwert an einem Haͤrchen „uͤber ſeinem Haupte. Er moͤchte andere jede Stunde „martern, und er ſelbſt iſt jede Stunde gemartert. — „Auch der Lachnarr wird truͤbe, ſobald der Neid, dieſer „wahre und eigentliche Teufel, in ihm zu wirken an- „faͤngt, und er ſieht, daß er vergeblich ſich ereifert, „die Verdienſte zu erniedrigen, die er nicht erreichen „kann. Seine Augen rollen herum; er nickt mit der „Stirne; er wird ſauer, muͤrriſch, und haͤngt das Maul. „Zwar giebt es auch Neider, die zu einem hohen Alter „gelangen. Sie haben in ihrem Gift duftenden Win- „kel, durch zahnloſe Furien begeiſtert, ſich aller Gele- „genheiten Boͤſes zu thun bedient; ſie haben nach ihrer „beſten Moͤglichkeit auf jede gute That, auf jeden ehr- „lichen Namen ihren hoͤlliſchen Geifer geſpritzt; ſie „haben die Sache aller Boͤſewichter verfochten; ſie ha- „ben alle Begriffe des Rechts und Unrechts ihr langes „Leben hindurch verdreht; ſie haben die reinſte Unſchuld „und die bewaͤhrteſte Tugend in ihren Eingeweiden blu- „ten gemacht — darum befinden ſie ſich wohl, wenn „auch ihre Geſichter dem Abgrunde, und ihre Koͤpfe „umgekehrten Beſen gleichen.“ —

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente04_1778
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente04_1778/443
Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778, S. 367. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente04_1778/443>, abgerufen am 23.11.2024.