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Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778.

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V. Abschnitt. VII. Fragment. Vermischte Nationalgesichter.
[Abbildung]

Hier stehen links die europäischen Nationen, und rechts die Völker der andern Welttheile.
Wie mich dünkt, sind diese Abstrakta Meisterstücke des Künstlers. Der auf einer Spitze des Fußes
stehende Franzose (20) erklärt in seiner höchst deutlichen Sprache Dinge, die der Engländer (18)
Gott weiß, nicht begreifen kann. Der Jtaliäner (22) mit seinem von Empfindung ausgearbei-
teten Gesichte will doch sehen, wo das hinaus will. Der kalte, bedächtige, bescheidene, nicht ur-
theilende, große, gesunde Mann ist niemand anders, als der Deutsche, (25) und neben ihm der
beynahe kugelrunde, (24) der Holländer. Schwede und Däne mögen die andern Figuren
dieser Gruppe vorstellen. Der ungarische Bauer und der siebenbürgische Priester (28) in
seiner treuen und frommen Einfalt machen den Beschluß. Der Sinese (4) sieht auf den Boden,
ob er mit Feinheit oder Betrug nicht ein Sandkorn in Gold verwandeln könne?

Der Türke (14) hat ein Gesicht offen und weit, wie seine Kleidung. Jhm möchte der
russische Kaufmann (17) gern was abgewinnen. Der Armenier (12) hat in seiner sorgsamen
Miene das eigne Handlungsgesicht. Der fleischigte Polake (10) horcht's und staunt's an. Der
Ungar (9) lauret gutherzig drein. Die stumpfe Nase und die aufgeworfene Lippe des Mohren
(6) zeugen bey dem Feuer seiner Augen von einem sonderbaren Gemische stumpfer Thierheit im in-
tellektuellen, und Stärke der Leidenschaften im physischen Sinn.

Achtes
V. Abſchnitt. VII. Fragment. Vermiſchte Nationalgeſichter.
[Abbildung]

Hier ſtehen links die europaͤiſchen Nationen, und rechts die Voͤlker der andern Welttheile.
Wie mich duͤnkt, ſind dieſe Abſtrakta Meiſterſtuͤcke des Kuͤnſtlers. Der auf einer Spitze des Fußes
ſtehende Franzoſe (20) erklaͤrt in ſeiner hoͤchſt deutlichen Sprache Dinge, die der Englaͤnder (18)
Gott weiß, nicht begreifen kann. Der Jtaliaͤner (22) mit ſeinem von Empfindung ausgearbei-
teten Geſichte will doch ſehen, wo das hinaus will. Der kalte, bedaͤchtige, beſcheidene, nicht ur-
theilende, große, geſunde Mann iſt niemand anders, als der Deutſche, (25) und neben ihm der
beynahe kugelrunde, (24) der Hollaͤnder. Schwede und Daͤne moͤgen die andern Figuren
dieſer Gruppe vorſtellen. Der ungariſche Bauer und der ſiebenbuͤrgiſche Prieſter (28) in
ſeiner treuen und frommen Einfalt machen den Beſchluß. Der Sineſe (4) ſieht auf den Boden,
ob er mit Feinheit oder Betrug nicht ein Sandkorn in Gold verwandeln koͤnne?

Der Tuͤrke (14) hat ein Geſicht offen und weit, wie ſeine Kleidung. Jhm moͤchte der
ruſſiſche Kaufmann (17) gern was abgewinnen. Der Armenier (12) hat in ſeiner ſorgſamen
Miene das eigne Handlungsgeſicht. Der fleiſchigte Polake (10) horcht’s und ſtaunt’s an. Der
Ungar (9) lauret gutherzig drein. Die ſtumpfe Naſe und die aufgeworfene Lippe des Mohren
(6) zeugen bey dem Feuer ſeiner Augen von einem ſonderbaren Gemiſche ſtumpfer Thierheit im in-
tellektuellen, und Staͤrke der Leidenſchaften im phyſiſchen Sinn.

Achtes
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[320/0376] V. Abſchnitt. VII. Fragment. Vermiſchte Nationalgeſichter. [Abbildung] Hier ſtehen links die europaͤiſchen Nationen, und rechts die Voͤlker der andern Welttheile. Wie mich duͤnkt, ſind dieſe Abſtrakta Meiſterſtuͤcke des Kuͤnſtlers. Der auf einer Spitze des Fußes ſtehende Franzoſe (20) erklaͤrt in ſeiner hoͤchſt deutlichen Sprache Dinge, die der Englaͤnder (18) Gott weiß, nicht begreifen kann. Der Jtaliaͤner (22) mit ſeinem von Empfindung ausgearbei- teten Geſichte will doch ſehen, wo das hinaus will. Der kalte, bedaͤchtige, beſcheidene, nicht ur- theilende, große, geſunde Mann iſt niemand anders, als der Deutſche, (25) und neben ihm der beynahe kugelrunde, (24) der Hollaͤnder. Schwede und Daͤne moͤgen die andern Figuren dieſer Gruppe vorſtellen. Der ungariſche Bauer und der ſiebenbuͤrgiſche Prieſter (28) in ſeiner treuen und frommen Einfalt machen den Beſchluß. Der Sineſe (4) ſieht auf den Boden, ob er mit Feinheit oder Betrug nicht ein Sandkorn in Gold verwandeln koͤnne? Der Tuͤrke (14) hat ein Geſicht offen und weit, wie ſeine Kleidung. Jhm moͤchte der ruſſiſche Kaufmann (17) gern was abgewinnen. Der Armenier (12) hat in ſeiner ſorgſamen Miene das eigne Handlungsgeſicht. Der fleiſchigte Polake (10) horcht’s und ſtaunt’s an. Der Ungar (9) lauret gutherzig drein. Die ſtumpfe Naſe und die aufgeworfene Lippe des Mohren (6) zeugen bey dem Feuer ſeiner Augen von einem ſonderbaren Gemiſche ſtumpfer Thierheit im in- tellektuellen, und Staͤrke der Leidenſchaften im phyſiſchen Sinn. Achtes

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778, S. 320. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente04_1778/376>, abgerufen am 22.11.2024.