Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778.

Bild:
<< vorherige Seite
V. Abschnitt. VII. Fragment.
[Abbildung]

Hier einige Gesichter von Terra del Fuego, die aus dem deutschen Musäum genom-
men sind.

"Man wird hoffentlich, sagt der Verfasser des kurzen Aufsatzes, zumal in dem größern Ko-
"pfe ausgedruckt finden, was uns alle Reisende als den Charakter und das Loos dieser Menschen
"einstimmig angeben: Gleichgültigkeit, Dummheit und äußerstes Elend." Jch thue hinzu,
Unfähigkeit der Kultur.

"Diese Menschen stehen eine ganze Stafel von Kultur tiefer, als die meisten Wilden der
"Südsee jenseit des südlichen Wendezirkels, und gleich sehr tief unter ihren nächsten Nachbarn, den
"Patagonen. Hawkesworth nennt sie die armseligsten, hülflosesten und dümmsten aller mensch-
"lichen Wesen, und fast zu hart, das Auskehricht der Natur. Sie bewohnen einen öden, felsigen,
"und allen Europäern, die ihn zum erstenmal erblicken, fast fürchterlichen Winkel der Erde, unter
"einem Himmelsstriche, in welchem Herr Solander mitten im Sommer fast zu Tode fror, und
"zween von seinen Begleitern wirklich erfroren, und das in einer geographischen Breite, in welcher
"auf unserer Halbkugel die glücklichen Gegenden von Schleswig liegen. Jhre ganze Kleidung ist
"ein steifes Seekalbfell, das sie, so wie es vom Thiere kommt, unbereitet um die Schultern schlagen;
"bey einigen ein Paar elende Schuhe von eben dem Felle, und dann eine Kopfdecke von den Flü-
"geln, oder dem Balg eines Vogels; nicht zur Zierde, sondern ihre Augen gegen das Blenden des
"Schnees zu schützen. Was diese Menschen hauptsächlich unglücklich macht, ist, daß Natur und
"Gewohnheit sie doch nicht so abgehärtet haben, daß sie nicht in ihrem höchsten Sommer vor Kälte
"zittern sollten, so daß es kaum begreiflich ist, wie sie ihre Winter ausdauren können. Jhr weniges

Geräthe,
V. Abſchnitt. VII. Fragment.
[Abbildung]

Hier einige Geſichter von Terra del Fuego, die aus dem deutſchen Muſaͤum genom-
men ſind.

„Man wird hoffentlich, ſagt der Verfaſſer des kurzen Aufſatzes, zumal in dem groͤßern Ko-
„pfe ausgedruckt finden, was uns alle Reiſende als den Charakter und das Loos dieſer Menſchen
„einſtimmig angeben: Gleichguͤltigkeit, Dummheit und aͤußerſtes Elend.“ Jch thue hinzu,
Unfaͤhigkeit der Kultur.

„Dieſe Menſchen ſtehen eine ganze Stafel von Kultur tiefer, als die meiſten Wilden der
„Suͤdſee jenſeit des ſuͤdlichen Wendezirkels, und gleich ſehr tief unter ihren naͤchſten Nachbarn, den
Patagonen. Hawkesworth nennt ſie die armſeligſten, huͤlfloſeſten und duͤmmſten aller menſch-
„lichen Weſen, und faſt zu hart, das Auskehricht der Natur. Sie bewohnen einen oͤden, felſigen,
„und allen Europaͤern, die ihn zum erſtenmal erblicken, faſt fuͤrchterlichen Winkel der Erde, unter
„einem Himmelsſtriche, in welchem Herr Solander mitten im Sommer faſt zu Tode fror, und
„zween von ſeinen Begleitern wirklich erfroren, und das in einer geographiſchen Breite, in welcher
„auf unſerer Halbkugel die gluͤcklichen Gegenden von Schleswig liegen. Jhre ganze Kleidung iſt
„ein ſteifes Seekalbfell, das ſie, ſo wie es vom Thiere kommt, unbereitet um die Schultern ſchlagen;
„bey einigen ein Paar elende Schuhe von eben dem Felle, und dann eine Kopfdecke von den Fluͤ-
„geln, oder dem Balg eines Vogels; nicht zur Zierde, ſondern ihre Augen gegen das Blenden des
„Schnees zu ſchuͤtzen. Was dieſe Menſchen hauptſaͤchlich ungluͤcklich macht, iſt, daß Natur und
„Gewohnheit ſie doch nicht ſo abgehaͤrtet haben, daß ſie nicht in ihrem hoͤchſten Sommer vor Kaͤlte
„zittern ſollten, ſo daß es kaum begreiflich iſt, wie ſie ihre Winter ausdauren koͤnnen. Jhr weniges

Geraͤthe,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0374" n="318"/>
            <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">V.</hi> Ab&#x017F;chnitt. <hi rendition="#aq">VII.</hi> Fragment.</hi> </fw><lb/>
            <figure/>
            <p>Hier einige Ge&#x017F;ichter von <hi rendition="#fr">Terra del Fuego,</hi> die aus dem <hi rendition="#fr">deut&#x017F;chen Mu&#x017F;a&#x0364;um</hi> genom-<lb/>
men &#x017F;ind.</p><lb/>
            <p>&#x201E;Man wird hoffentlich, &#x017F;agt der Verfa&#x017F;&#x017F;er des kurzen Auf&#x017F;atzes, zumal in dem gro&#x0364;ßern Ko-<lb/>
&#x201E;pfe ausgedruckt finden, was uns alle Rei&#x017F;ende als den Charakter und das Loos die&#x017F;er Men&#x017F;chen<lb/>
&#x201E;ein&#x017F;timmig angeben: <hi rendition="#fr">Gleichgu&#x0364;ltigkeit, Dummheit</hi> und <hi rendition="#fr">a&#x0364;ußer&#x017F;tes Elend.</hi>&#x201C; Jch thue hinzu,<lb/><hi rendition="#fr">Unfa&#x0364;higkeit</hi> der Kultur.</p><lb/>
            <p>&#x201E;Die&#x017F;e Men&#x017F;chen &#x017F;tehen eine ganze Stafel von Kultur tiefer, als die mei&#x017F;ten Wilden der<lb/>
&#x201E;Su&#x0364;d&#x017F;ee jen&#x017F;eit des &#x017F;u&#x0364;dlichen Wendezirkels, und gleich &#x017F;ehr tief unter ihren na&#x0364;ch&#x017F;ten Nachbarn, den<lb/>
&#x201E;<hi rendition="#fr">Patagonen. Hawkesworth</hi> nennt &#x017F;ie die arm&#x017F;elig&#x017F;ten, hu&#x0364;lflo&#x017F;e&#x017F;ten und du&#x0364;mm&#x017F;ten aller men&#x017F;ch-<lb/>
&#x201E;lichen We&#x017F;en, und fa&#x017F;t zu hart, das <hi rendition="#fr">Auskehricht der Natur.</hi> Sie bewohnen einen o&#x0364;den, fel&#x017F;igen,<lb/>
&#x201E;und allen Europa&#x0364;ern, die ihn zum er&#x017F;tenmal erblicken, fa&#x017F;t fu&#x0364;rchterlichen Winkel der Erde, unter<lb/>
&#x201E;einem Himmels&#x017F;triche, in welchem Herr <hi rendition="#fr">Solander</hi> mitten im Sommer fa&#x017F;t zu Tode fror, und<lb/>
&#x201E;zween von &#x017F;einen Begleitern wirklich erfroren, und das in einer geographi&#x017F;chen Breite, in welcher<lb/>
&#x201E;auf un&#x017F;erer Halbkugel die glu&#x0364;cklichen Gegenden von Schleswig liegen. Jhre ganze Kleidung i&#x017F;t<lb/>
&#x201E;ein &#x017F;teifes Seekalbfell, das &#x017F;ie, &#x017F;o wie es vom Thiere kommt, unbereitet um die Schultern &#x017F;chlagen;<lb/>
&#x201E;bey einigen ein Paar elende Schuhe von eben dem Felle, und dann eine Kopfdecke von den Flu&#x0364;-<lb/>
&#x201E;geln, oder dem Balg eines Vogels; nicht zur Zierde, &#x017F;ondern ihre Augen gegen das Blenden des<lb/>
&#x201E;Schnees zu &#x017F;chu&#x0364;tzen. Was die&#x017F;e Men&#x017F;chen haupt&#x017F;a&#x0364;chlich unglu&#x0364;cklich macht, i&#x017F;t, daß Natur und<lb/>
&#x201E;Gewohnheit &#x017F;ie doch nicht &#x017F;o abgeha&#x0364;rtet haben, daß &#x017F;ie nicht in ihrem ho&#x0364;ch&#x017F;ten Sommer vor Ka&#x0364;lte<lb/>
&#x201E;zittern &#x017F;ollten, &#x017F;o daß es kaum begreiflich i&#x017F;t, wie &#x017F;ie ihre Winter ausdauren ko&#x0364;nnen. Jhr weniges<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Gera&#x0364;the,</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[318/0374] V. Abſchnitt. VII. Fragment. [Abbildung] Hier einige Geſichter von Terra del Fuego, die aus dem deutſchen Muſaͤum genom- men ſind. „Man wird hoffentlich, ſagt der Verfaſſer des kurzen Aufſatzes, zumal in dem groͤßern Ko- „pfe ausgedruckt finden, was uns alle Reiſende als den Charakter und das Loos dieſer Menſchen „einſtimmig angeben: Gleichguͤltigkeit, Dummheit und aͤußerſtes Elend.“ Jch thue hinzu, Unfaͤhigkeit der Kultur. „Dieſe Menſchen ſtehen eine ganze Stafel von Kultur tiefer, als die meiſten Wilden der „Suͤdſee jenſeit des ſuͤdlichen Wendezirkels, und gleich ſehr tief unter ihren naͤchſten Nachbarn, den „Patagonen. Hawkesworth nennt ſie die armſeligſten, huͤlfloſeſten und duͤmmſten aller menſch- „lichen Weſen, und faſt zu hart, das Auskehricht der Natur. Sie bewohnen einen oͤden, felſigen, „und allen Europaͤern, die ihn zum erſtenmal erblicken, faſt fuͤrchterlichen Winkel der Erde, unter „einem Himmelsſtriche, in welchem Herr Solander mitten im Sommer faſt zu Tode fror, und „zween von ſeinen Begleitern wirklich erfroren, und das in einer geographiſchen Breite, in welcher „auf unſerer Halbkugel die gluͤcklichen Gegenden von Schleswig liegen. Jhre ganze Kleidung iſt „ein ſteifes Seekalbfell, das ſie, ſo wie es vom Thiere kommt, unbereitet um die Schultern ſchlagen; „bey einigen ein Paar elende Schuhe von eben dem Felle, und dann eine Kopfdecke von den Fluͤ- „geln, oder dem Balg eines Vogels; nicht zur Zierde, ſondern ihre Augen gegen das Blenden des „Schnees zu ſchuͤtzen. Was dieſe Menſchen hauptſaͤchlich ungluͤcklich macht, iſt, daß Natur und „Gewohnheit ſie doch nicht ſo abgehaͤrtet haben, daß ſie nicht in ihrem hoͤchſten Sommer vor Kaͤlte „zittern ſollten, ſo daß es kaum begreiflich iſt, wie ſie ihre Winter ausdauren koͤnnen. Jhr weniges Geraͤthe,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente04_1778
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente04_1778/374
Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778, S. 318. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente04_1778/374>, abgerufen am 11.05.2024.