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Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778.

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Mund, Lippen.


Von der uneigentlichen Lippe, oder der fleischigen Bedeckung der obern Zähne, die zur
eigentlichen Lippe führt, der, so viel ich weiß, die Anatomisten noch keinen besondern Namen gege-
ben -- die man etwa Vorhang oder Pallium nennen könnte, von dem Zwischenraum von der Nase
zur eigentlichen röthlichten Oberlippe -- wäre auch besonders viel zu sagen, so wenig, meines
Wissens, die Physiognomisten davon gesagt haben. Es ist kaum ein Kopf in diesem Werke kom-
mentirt, daß nicht mit darauf Acht genommen worden sey.

Jst die uneigentliche Oberlippe lang, so ist die eigentliche immer kurz. Jst sie kurz und hohl,
so ist die eigentliche groß und bogigt. Ein neuer sicherer Beweis von der Conformität des menschli-
chen Angesichtes. -- Hohle Oberlippen sind viel seltener, als flache, perpendikuläre, und die Cha-
rakter, an denen man sie findet, sind eben so selten. Das mehrere in den physiognomischen Linien.

Beylage. Vier Mäuler.
[Abbildung]

Der erste Mund ist mittlerer Festigkeit, vielen Fleißes.

Der zweyte voll Sanftmuth, Güte, Beredsamkeit, Ruhe -- ohne Gewaltsamkeit und
Kraft, aber launigt und frohscherzend.

Der dritte von einem sehr brauchbaren, geschäfftigen, wohlanstelligen, verständigen Cha-
rakter, ohne Tiefsinn, Genie, Verliebtheit.

Der vierte eines verachtenden, rohen, unleidlichen Schalksnarren. Man sieht nichts von
der Unterlippe; wenig von der Oberlippe; keine sanfte Einbiegung nirgends -- ein einfacher Bo-
gen, als gespannt einen Pfeil der Bosheit abzudrücken, und nicht zu achten der blutenden und wim-

mernden
K k 3
Mund, Lippen.


Von der uneigentlichen Lippe, oder der fleiſchigen Bedeckung der obern Zaͤhne, die zur
eigentlichen Lippe fuͤhrt, der, ſo viel ich weiß, die Anatomiſten noch keinen beſondern Namen gege-
ben — die man etwa Vorhang oder Pallium nennen koͤnnte, von dem Zwiſchenraum von der Naſe
zur eigentlichen roͤthlichten Oberlippe — waͤre auch beſonders viel zu ſagen, ſo wenig, meines
Wiſſens, die Phyſiognomiſten davon geſagt haben. Es iſt kaum ein Kopf in dieſem Werke kom-
mentirt, daß nicht mit darauf Acht genommen worden ſey.

Jſt die uneigentliche Oberlippe lang, ſo iſt die eigentliche immer kurz. Jſt ſie kurz und hohl,
ſo iſt die eigentliche groß und bogigt. Ein neuer ſicherer Beweis von der Conformitaͤt des menſchli-
chen Angeſichtes. — Hohle Oberlippen ſind viel ſeltener, als flache, perpendikulaͤre, und die Cha-
rakter, an denen man ſie findet, ſind eben ſo ſelten. Das mehrere in den phyſiognomiſchen Linien.

Beylage. Vier Maͤuler.
[Abbildung]

Der erſte Mund iſt mittlerer Feſtigkeit, vielen Fleißes.

Der zweyte voll Sanftmuth, Guͤte, Beredſamkeit, Ruhe — ohne Gewaltſamkeit und
Kraft, aber launigt und frohſcherzend.

Der dritte von einem ſehr brauchbaren, geſchaͤfftigen, wohlanſtelligen, verſtaͤndigen Cha-
rakter, ohne Tiefſinn, Genie, Verliebtheit.

Der vierte eines verachtenden, rohen, unleidlichen Schalksnarren. Man ſieht nichts von
der Unterlippe; wenig von der Oberlippe; keine ſanfte Einbiegung nirgends — ein einfacher Bo-
gen, als geſpannt einen Pfeil der Bosheit abzudruͤcken, und nicht zu achten der blutenden und wim-

mernden
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[261/0301] Mund, Lippen. Von der uneigentlichen Lippe, oder der fleiſchigen Bedeckung der obern Zaͤhne, die zur eigentlichen Lippe fuͤhrt, der, ſo viel ich weiß, die Anatomiſten noch keinen beſondern Namen gege- ben — die man etwa Vorhang oder Pallium nennen koͤnnte, von dem Zwiſchenraum von der Naſe zur eigentlichen roͤthlichten Oberlippe — waͤre auch beſonders viel zu ſagen, ſo wenig, meines Wiſſens, die Phyſiognomiſten davon geſagt haben. Es iſt kaum ein Kopf in dieſem Werke kom- mentirt, daß nicht mit darauf Acht genommen worden ſey. Jſt die uneigentliche Oberlippe lang, ſo iſt die eigentliche immer kurz. Jſt ſie kurz und hohl, ſo iſt die eigentliche groß und bogigt. Ein neuer ſicherer Beweis von der Conformitaͤt des menſchli- chen Angeſichtes. — Hohle Oberlippen ſind viel ſeltener, als flache, perpendikulaͤre, und die Cha- rakter, an denen man ſie findet, ſind eben ſo ſelten. Das mehrere in den phyſiognomiſchen Linien. Beylage. Vier Maͤuler. [Abbildung] Der erſte Mund iſt mittlerer Feſtigkeit, vielen Fleißes. Der zweyte voll Sanftmuth, Guͤte, Beredſamkeit, Ruhe — ohne Gewaltſamkeit und Kraft, aber launigt und frohſcherzend. Der dritte von einem ſehr brauchbaren, geſchaͤfftigen, wohlanſtelligen, verſtaͤndigen Cha- rakter, ohne Tiefſinn, Genie, Verliebtheit. Der vierte eines verachtenden, rohen, unleidlichen Schalksnarren. Man ſieht nichts von der Unterlippe; wenig von der Oberlippe; keine ſanfte Einbiegung nirgends — ein einfacher Bo- gen, als geſpannt einen Pfeil der Bosheit abzudruͤcken, und nicht zu achten der blutenden und wim- mernden K k 3

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778, S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente04_1778/301>, abgerufen am 23.11.2024.