mie schließen, als das moralisch Böse." -- Sehr wahr -- ausgenommen in dem Momente, wo das moralisch Böse in Bewegung ist!
2.
Nicht die Errathung einzelner Charakter, vielmehr die Kenntniß menschlicher Charakter überhaupt -- ist der Zweck der Physiognomik. -- Das heißt -- allgemeine Zeichen von Kräften und Empfindungen zu finden -- die freylich nichts nützen, wenn sie sich nicht wieder auf jedes einzelne Jndividuum an- wenden lassen -- zumal da wir immer nur mit Jndividuen zu thun haben.
3.
Wenn man viele Bildnisse desselben Menschen von Jahr zu Jahr richtig zeichnete, und dabey das Original genau kennte -- das wäre großer Nutzen für die Physiognomik. -- Was leicht möglich, vielleicht allein möglich ist -- sind genaue Silhouetten -- oder Abgüsse. Denn das wenige der Verände- rung wird selten ein Zeichner scharf und physiognomisch genug bemerken.
4.
Die Hauptfrage des Physiognomisten bey seinen Untersuchungen des Menschen wird immer die seyn: Auf welche Art er sinnlicher Eindrücke fähig sey? Durch welches Perspektiv er die Welt ansehe? -- Was er überhaupt -- empfangen und geben könne!
5.
Eben die lebhafte Einbildungskraft, die schnelle Perzeptibilität, ohne die sich kein Physiognomist den- ken läßt, ist vielleicht beynahe unzertrennlich mit andern Eigenschaften des Geistes verbunden, welche die höch- ste Behutsamkeit nöthig machen, wenn er das Resultat seiner Beobachtungen auf wirkliche Geschäffte anwenden will. -- Wahr; -- aber wenn er seine schnellen Gefühle in bestimmte Zeichen aufzulösen sucht; wenn er die allgemeinen Zeichen gewisser Kräfte, Empfindungen, Leidenschaften -- vorzulegen im Stan- de ist -- und seine schnelle Einbildungskraft ihm nur dazu dienet, die Aehnlichkeiten leichter zu fin- den und zu bezeichnen -- so hätte es doch so viele Gefahr auch nicht.
Sechstes
III. Abſchnitt. V. Fragment. Stellen aus Nikolai.
mie ſchließen, als das moraliſch Boͤſe.“ — Sehr wahr — ausgenommen in dem Momente, wo das moraliſch Boͤſe in Bewegung iſt!
2.
Nicht die Errathung einzelner Charakter, vielmehr die Kenntniß menſchlicher Charakter uͤberhaupt — iſt der Zweck der Phyſiognomik. — Das heißt — allgemeine Zeichen von Kraͤften und Empfindungen zu finden — die freylich nichts nuͤtzen, wenn ſie ſich nicht wieder auf jedes einzelne Jndividuum an- wenden laſſen — zumal da wir immer nur mit Jndividuen zu thun haben.
3.
Wenn man viele Bildniſſe deſſelben Menſchen von Jahr zu Jahr richtig zeichnete, und dabey das Original genau kennte — das waͤre großer Nutzen fuͤr die Phyſiognomik. — Was leicht moͤglich, vielleicht allein moͤglich iſt — ſind genaue Silhouetten — oder Abguͤſſe. Denn das wenige der Veraͤnde- rung wird ſelten ein Zeichner ſcharf und phyſiognomiſch genug bemerken.
4.
Die Hauptfrage des Phyſiognomiſten bey ſeinen Unterſuchungen des Menſchen wird immer die ſeyn: Auf welche Art er ſinnlicher Eindruͤcke faͤhig ſey? Durch welches Perſpektiv er die Welt anſehe? — Was er uͤberhaupt — empfangen und geben koͤnne!
5.
Eben die lebhafte Einbildungskraft, die ſchnelle Perzeptibilitaͤt, ohne die ſich kein Phyſiognomiſt den- ken laͤßt, iſt vielleicht beynahe unzertrennlich mit andern Eigenſchaften des Geiſtes verbunden, welche die hoͤch- ſte Behutſamkeit noͤthig machen, wenn er das Reſultat ſeiner Beobachtungen auf wirkliche Geſchaͤffte anwenden will. — Wahr; — aber wenn er ſeine ſchnellen Gefuͤhle in beſtimmte Zeichen aufzuloͤſen ſucht; wenn er die allgemeinen Zeichen gewiſſer Kraͤfte, Empfindungen, Leidenſchaften — vorzulegen im Stan- de iſt — und ſeine ſchnelle Einbildungskraft ihm nur dazu dienet, die Aehnlichkeiten leichter zu fin- den und zu bezeichnen — ſo haͤtte es doch ſo viele Gefahr auch nicht.
Sechstes
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III. Abſchnitt. V. Fragment. Stellen aus Nikolai.
mie ſchließen, als das moraliſch Boͤſe.“ — Sehr wahr — ausgenommen in dem Momente, wo das
moraliſch Boͤſe in Bewegung iſt!
2.
Nicht die Errathung einzelner Charakter, vielmehr die Kenntniß menſchlicher Charakter uͤberhaupt —
iſt der Zweck der Phyſiognomik. — Das heißt — allgemeine Zeichen von Kraͤften und Empfindungen
zu finden — die freylich nichts nuͤtzen, wenn ſie ſich nicht wieder auf jedes einzelne Jndividuum an-
wenden laſſen — zumal da wir immer nur mit Jndividuen zu thun haben.
3.
Wenn man viele Bildniſſe deſſelben Menſchen von Jahr zu Jahr richtig zeichnete, und dabey das
Original genau kennte — das waͤre großer Nutzen fuͤr die Phyſiognomik. — Was leicht moͤglich, vielleicht
allein moͤglich iſt — ſind genaue Silhouetten — oder Abguͤſſe. Denn das wenige der Veraͤnde-
rung wird ſelten ein Zeichner ſcharf und phyſiognomiſch genug bemerken.
4.
Die Hauptfrage des Phyſiognomiſten bey ſeinen Unterſuchungen des Menſchen wird immer die ſeyn:
Auf welche Art er ſinnlicher Eindruͤcke faͤhig ſey? Durch welches Perſpektiv er die Welt anſehe? —
Was er uͤberhaupt — empfangen und geben koͤnne!
5.
Eben die lebhafte Einbildungskraft, die ſchnelle Perzeptibilitaͤt, ohne die ſich kein Phyſiognomiſt den-
ken laͤßt, iſt vielleicht beynahe unzertrennlich mit andern Eigenſchaften des Geiſtes verbunden, welche die hoͤch-
ſte Behutſamkeit noͤthig machen, wenn er das Reſultat ſeiner Beobachtungen auf wirkliche Geſchaͤffte anwenden
will. — Wahr; — aber wenn er ſeine ſchnellen Gefuͤhle in beſtimmte Zeichen aufzuloͤſen ſucht; wenn
er die allgemeinen Zeichen gewiſſer Kraͤfte, Empfindungen, Leidenſchaften — vorzulegen im Stan-
de iſt — und ſeine ſchnelle Einbildungskraft ihm nur dazu dienet, die Aehnlichkeiten leichter zu fin-
den und zu bezeichnen — ſo haͤtte es doch ſo viele Gefahr auch nicht.
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Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente04_1778/216>, abgerufen am 09.10.2024.
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