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Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778.

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II. Abschnitt. V. Fragment.
sichtes von vorne, ist sie rund? oval? geviert? dreyeckigt? unter welcher bestimmten Hauptfigur
läßt sie sich am füglichsten denken?

[Abbildung]

Es werden wenige Gesichter seyn, die nicht mit einer dieser acht Hauptformen Aehnlichkeit
haben, sich nicht in eine solche Figur bequem hinein denken lassen. -- Nach der Form des Gesichtes
suche ich die Hauptform des Profils, und denke sie mir in irgend eine Hälfte von diesen bestimmten
Figuren hinein. Hernach bestimme ich mir die Perpendikularlänge der drey gewöhnlichen Abthei-
lungen, und bemerke mir ihre perpendikuläre Verschiedenheit. Sodann das Verhältniß der Lage
dieser drey Gesichtstheile -- der Stirne, der Nase, des Kinnes -- welches mir dadurch am leich-
testen wird, wenn ich mir den äußersten Punkt der Oberlippe unmittelbar unter der Nase -- und
den tiefsten Punkt bey der Nasenwurzel zusammen, nach einer Bleyschnur gemessen, denke, wodurch
sich dann bey allen Gesichtern diese Verhältnisse natürlicher Weise nur in drey Hauptklassen bringen
lassen: Die perpendikulären -- die oben vorstehenden -- oder oben zurückstehenden. Ohne
so fixe und so schnelle und leicht bestimmbare Punkte, als eine Art von Achse anzunehmen, um die
sich die ganze Gesichtsform gleichsam drehet, ist es niemals möglich, sich aus der Jmagination die
wahre Form des Kopfs physiognomisch genau zu vergegenwärtigen. Jch muß auch im Vorbey-
gange für junge Mahler anmerken, daß sie, ohne diese zween fixe Punkte allervörderst und genau zu
beobachten, schwerlich jemals eine Gesichtsform physiognomisch richtig zeichnen werden -- Wenn
ich diese zween Punkte mir eingeprägt habe -- so imaginire ich mir sodann die Stirn besonders; dann
die Augenbraunen besonders; den Zwischenraum zwischen den Augen; dann den Uebergang zur Na-
se; dann die Nase besonders; dann besonders den unbeschreiblich charakteristischen Winkel von der
Nasenspitze bis zur eigentlichen Oberlippe, der wieder nur von dreyerley Art seyn kann, rechtwin-

kelicht

II. Abſchnitt. V. Fragment.
ſichtes von vorne, iſt ſie rund? oval? geviert? dreyeckigt? unter welcher beſtimmten Hauptfigur
laͤßt ſie ſich am fuͤglichſten denken?

[Abbildung]

Es werden wenige Geſichter ſeyn, die nicht mit einer dieſer acht Hauptformen Aehnlichkeit
haben, ſich nicht in eine ſolche Figur bequem hinein denken laſſen. — Nach der Form des Geſichtes
ſuche ich die Hauptform des Profils, und denke ſie mir in irgend eine Haͤlfte von dieſen beſtimmten
Figuren hinein. Hernach beſtimme ich mir die Perpendikularlaͤnge der drey gewoͤhnlichen Abthei-
lungen, und bemerke mir ihre perpendikulaͤre Verſchiedenheit. Sodann das Verhaͤltniß der Lage
dieſer drey Geſichtstheile — der Stirne, der Naſe, des Kinnes — welches mir dadurch am leich-
teſten wird, wenn ich mir den aͤußerſten Punkt der Oberlippe unmittelbar unter der Naſe — und
den tiefſten Punkt bey der Naſenwurzel zuſammen, nach einer Bleyſchnur gemeſſen, denke, wodurch
ſich dann bey allen Geſichtern dieſe Verhaͤltniſſe natuͤrlicher Weiſe nur in drey Hauptklaſſen bringen
laſſen: Die perpendikulaͤren — die oben vorſtehenden — oder oben zuruͤckſtehenden. Ohne
ſo fixe und ſo ſchnelle und leicht beſtimmbare Punkte, als eine Art von Achſe anzunehmen, um die
ſich die ganze Geſichtsform gleichſam drehet, iſt es niemals moͤglich, ſich aus der Jmagination die
wahre Form des Kopfs phyſiognomiſch genau zu vergegenwaͤrtigen. Jch muß auch im Vorbey-
gange fuͤr junge Mahler anmerken, daß ſie, ohne dieſe zween fixe Punkte allervoͤrderſt und genau zu
beobachten, ſchwerlich jemals eine Geſichtsform phyſiognomiſch richtig zeichnen werden — Wenn
ich dieſe zween Punkte mir eingepraͤgt habe — ſo imaginire ich mir ſodann die Stirn beſonders; dann
die Augenbraunen beſonders; den Zwiſchenraum zwiſchen den Augen; dann den Uebergang zur Na-
ſe; dann die Naſe beſonders; dann beſonders den unbeſchreiblich charakteriſtiſchen Winkel von der
Naſenſpitze bis zur eigentlichen Oberlippe, der wieder nur von dreyerley Art ſeyn kann, rechtwin-

kelicht
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[144/0174] II. Abſchnitt. V. Fragment. ſichtes von vorne, iſt ſie rund? oval? geviert? dreyeckigt? unter welcher beſtimmten Hauptfigur laͤßt ſie ſich am fuͤglichſten denken? [Abbildung] Es werden wenige Geſichter ſeyn, die nicht mit einer dieſer acht Hauptformen Aehnlichkeit haben, ſich nicht in eine ſolche Figur bequem hinein denken laſſen. — Nach der Form des Geſichtes ſuche ich die Hauptform des Profils, und denke ſie mir in irgend eine Haͤlfte von dieſen beſtimmten Figuren hinein. Hernach beſtimme ich mir die Perpendikularlaͤnge der drey gewoͤhnlichen Abthei- lungen, und bemerke mir ihre perpendikulaͤre Verſchiedenheit. Sodann das Verhaͤltniß der Lage dieſer drey Geſichtstheile — der Stirne, der Naſe, des Kinnes — welches mir dadurch am leich- teſten wird, wenn ich mir den aͤußerſten Punkt der Oberlippe unmittelbar unter der Naſe — und den tiefſten Punkt bey der Naſenwurzel zuſammen, nach einer Bleyſchnur gemeſſen, denke, wodurch ſich dann bey allen Geſichtern dieſe Verhaͤltniſſe natuͤrlicher Weiſe nur in drey Hauptklaſſen bringen laſſen: Die perpendikulaͤren — die oben vorſtehenden — oder oben zuruͤckſtehenden. Ohne ſo fixe und ſo ſchnelle und leicht beſtimmbare Punkte, als eine Art von Achſe anzunehmen, um die ſich die ganze Geſichtsform gleichſam drehet, iſt es niemals moͤglich, ſich aus der Jmagination die wahre Form des Kopfs phyſiognomiſch genau zu vergegenwaͤrtigen. Jch muß auch im Vorbey- gange fuͤr junge Mahler anmerken, daß ſie, ohne dieſe zween fixe Punkte allervoͤrderſt und genau zu beobachten, ſchwerlich jemals eine Geſichtsform phyſiognomiſch richtig zeichnen werden — Wenn ich dieſe zween Punkte mir eingepraͤgt habe — ſo imaginire ich mir ſodann die Stirn beſonders; dann die Augenbraunen beſonders; den Zwiſchenraum zwiſchen den Augen; dann den Uebergang zur Na- ſe; dann die Naſe beſonders; dann beſonders den unbeſchreiblich charakteriſtiſchen Winkel von der Naſenſpitze bis zur eigentlichen Oberlippe, der wieder nur von dreyerley Art ſeyn kann, rechtwin- kelicht

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente04_1778/174>, abgerufen am 22.11.2024.