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Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 3. Leipzig u. a., 1777.

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Dichter.
b. Carrikatur. G.
Des III. Ban-
des LXV.
Tafel.

Um sich von der Wahrheit und Bedeutsamkeit aller menschlichen Gesichtszüge demon-
strationsmäßig zu überzeugen, darf man nur ein und dasselbe Gesicht oft nach einander
Copie von Copie copieren -- alle Copien neben einander legen und mit dem Originale vergleichen.

Das Bild, das wir vor uns haben, ist die vierte Copie von Copien ... Beweis -- wie
Abweichung von Wahrheit und Schönheit -- einmal angefangen -- von Moment zu Moment
furchtbarer wird -- Beweis aber auch, daß gewisse Gesichter, auch in der erbärmlichsten Carri-
katur, beynah immer noch etwas behalten -- das sie von gemeinen Gesichtern unterscheidet ...
Warum hat dieß Gesicht so wenig von der Größe und Majestät des vorhergehenden? warum ist
verschwunden aller poetische Geist? -- Offenbar vornehmlich um zweener Gründe willen -- Das
Gesicht ist einerseits länglichter, gedehnter -- anderseits perpendikularer im Ganzen. Wir
reden itzt noch nicht von einzelnen Zügen. Wir reden von der ganzen Form überhaupt. Man
drücke in Gedanken dieß Gesicht zusammen -- man schiebe die Stirn oben und das Kinn unten
ein wenig zurück; man ziehe die Nase um etwas hervor -- hervor um etwas den Bogen vornen an
der Stirne -- und ihr werdet auf jeden Versuch sogleich entscheidenden Effekt, ihr werdet wieder
mehr Poesie in diesem Gesicht erblicken! Aber alle diese Versuche ... werden dem Gesichte die
Geistigkeit und Kraft des vorigen noch nicht geben. Denn der Mund vornehmlich -- ist völlig
Carrikatur -- besonders durch die crasse Unterlippe und die Höhlung drunter. Auch was vom
Ohre sichtbar ist, der Umriß von der Kinnlade und der craßrunde Hals -- hilft den Eindruck von
Fläche des Charakters und unpoetischem Sinne zu stärken.

Und dennoch .. in dieser entsetzlichen Carrikatur noch Spuren des großen Mannes -- im
Auge wenigstens und in der Oberlippe -- und in der Stellung des Kopfes.



c) Ein
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Dichter.
b. Carrikatur. G.
Des III. Ban-
des LXV.
Tafel.

Um ſich von der Wahrheit und Bedeutſamkeit aller menſchlichen Geſichtszuͤge demon-
ſtrationsmaͤßig zu uͤberzeugen, darf man nur ein und daſſelbe Geſicht oft nach einander
Copie von Copie copieren — alle Copien neben einander legen und mit dem Originale vergleichen.

Das Bild, das wir vor uns haben, iſt die vierte Copie von Copien ... Beweis — wie
Abweichung von Wahrheit und Schoͤnheit — einmal angefangen — von Moment zu Moment
furchtbarer wird — Beweis aber auch, daß gewiſſe Geſichter, auch in der erbaͤrmlichſten Carri-
katur, beynah immer noch etwas behalten — das ſie von gemeinen Geſichtern unterſcheidet ...
Warum hat dieß Geſicht ſo wenig von der Groͤße und Majeſtaͤt des vorhergehenden? warum iſt
verſchwunden aller poetiſche Geiſt? — Offenbar vornehmlich um zweener Gruͤnde willen — Das
Geſicht iſt einerſeits laͤnglichter, gedehnter — anderſeits perpendikularer im Ganzen. Wir
reden itzt noch nicht von einzelnen Zuͤgen. Wir reden von der ganzen Form uͤberhaupt. Man
druͤcke in Gedanken dieß Geſicht zuſammen — man ſchiebe die Stirn oben und das Kinn unten
ein wenig zuruͤck; man ziehe die Naſe um etwas hervor — hervor um etwas den Bogen vornen an
der Stirne — und ihr werdet auf jeden Verſuch ſogleich entſcheidenden Effekt, ihr werdet wieder
mehr Poeſie in dieſem Geſicht erblicken! Aber alle dieſe Verſuche ... werden dem Geſichte die
Geiſtigkeit und Kraft des vorigen noch nicht geben. Denn der Mund vornehmlich — iſt voͤllig
Carrikatur — beſonders durch die craſſe Unterlippe und die Hoͤhlung drunter. Auch was vom
Ohre ſichtbar iſt, der Umriß von der Kinnlade und der craßrunde Hals — hilft den Eindruck von
Flaͤche des Charakters und unpoetiſchem Sinne zu ſtaͤrken.

Und dennoch .. in dieſer entſetzlichen Carrikatur noch Spuren des großen Mannes — im
Auge wenigſtens und in der Oberlippe — und in der Stellung des Kopfes.



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[219/0365] Dichter. b. Carrikatur. G. Um ſich von der Wahrheit und Bedeutſamkeit aller menſchlichen Geſichtszuͤge demon- ſtrationsmaͤßig zu uͤberzeugen, darf man nur ein und daſſelbe Geſicht oft nach einander Copie von Copie copieren — alle Copien neben einander legen und mit dem Originale vergleichen. Das Bild, das wir vor uns haben, iſt die vierte Copie von Copien ... Beweis — wie Abweichung von Wahrheit und Schoͤnheit — einmal angefangen — von Moment zu Moment furchtbarer wird — Beweis aber auch, daß gewiſſe Geſichter, auch in der erbaͤrmlichſten Carri- katur, beynah immer noch etwas behalten — das ſie von gemeinen Geſichtern unterſcheidet ... Warum hat dieß Geſicht ſo wenig von der Groͤße und Majeſtaͤt des vorhergehenden? warum iſt verſchwunden aller poetiſche Geiſt? — Offenbar vornehmlich um zweener Gruͤnde willen — Das Geſicht iſt einerſeits laͤnglichter, gedehnter — anderſeits perpendikularer im Ganzen. Wir reden itzt noch nicht von einzelnen Zuͤgen. Wir reden von der ganzen Form uͤberhaupt. Man druͤcke in Gedanken dieß Geſicht zuſammen — man ſchiebe die Stirn oben und das Kinn unten ein wenig zuruͤck; man ziehe die Naſe um etwas hervor — hervor um etwas den Bogen vornen an der Stirne — und ihr werdet auf jeden Verſuch ſogleich entſcheidenden Effekt, ihr werdet wieder mehr Poeſie in dieſem Geſicht erblicken! Aber alle dieſe Verſuche ... werden dem Geſichte die Geiſtigkeit und Kraft des vorigen noch nicht geben. Denn der Mund vornehmlich — iſt voͤllig Carrikatur — beſonders durch die craſſe Unterlippe und die Hoͤhlung drunter. Auch was vom Ohre ſichtbar iſt, der Umriß von der Kinnlade und der craßrunde Hals — hilft den Eindruck von Flaͤche des Charakters und unpoetiſchem Sinne zu ſtaͤrken. Und dennoch .. in dieſer entſetzlichen Carrikatur noch Spuren des großen Mannes — im Auge wenigſtens und in der Oberlippe — und in der Stellung des Kopfes. c) Ein E e 2

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 3. Leipzig u. a., 1777, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente03_1777/365>, abgerufen am 23.11.2024.