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Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 3. Leipzig u. a., 1777.

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Allgemeine Betrachtungen.
Würkungskraft der Natur ist -- dennoch wollen wir's versuchen -- etwas über Dichter-
physiognomien hinzuwerfen.

Elastizität -- ist wohl das Wesentlichste im Charakter und der Physiognomie des Dich-
ters. Leichte Rührbarkeit, Erschütterlichkeit, wiederhallende Schnellkraft -- Möglichkeit und
Disposition, alles leicht und rein und ganz zu empfangen, und leicht und rein und ganz zurückzuge-
ben; mit einem Zusatze zwar von seiner eigenen ächten Jndividualität -- welcher homogene
Zusatz aber das nur aufhellt und reinigt, nicht trübt und befleckt, was man empfängt und giebt --
und Medium wird allen Sinnen aller Menschen das wahrnehmlich und fühlbar zu machen, was
ihnen sonst unwahrnehmlich und unfühlbar wäre.

Der Dichter ist Prophet der Schöpfung und der Fürsehung Gottes. Mittler
zwischen der Natur und den Söhnen und Töchtern der Natur.
Bedarf's, gesagt zu wer-
den: Alle Propheten Gottes waren Poeten. Wer war's mehr, als David, Moses, Je-
saias
und Johannes? -- Die Sprache der Offenbarung ist Sprache der Dichtkunst -- was
Kunst? Sprache dichterischen, das ist -- vollempfangenden, vollgebenden Gefühls. Poesie
geht der Philosophie vor, wie der Herbst dem Winter
... Wie, wie also muß der Dich-
ter -- der Prophet Gottes, und Offenbarer der Natur, ohne den die Natur niemand kennt -- so
wie sie vom Anfange der Welt her nie ohne Poesie und Prophezie erkannt ward -- wie muß der
Mann Gottes und der Menschen gebildet seyn? -- wie nicht gebildet?

Von vornen her ließ es sich schon bestimmen --

Daß er die feinste, sensibelste Bildung haben muß;

Daß aber diese Bildung nicht nur markig, locker, rührbar zum Empfange;

Daß sie auch elastisch, wiedertönend, zurückschnellend seyn muß, zum Geben;

Daß sie also weder aus bloß geraden oder harteckigten Linien und Umrissen, noch aus bloß
weichen, abgerundeten, unwiderstehenden, leidsamen bestehen kann und soll.

Daß es schlechterdings keinen Dichter geben kann, der eine Stirne so [Abbildung] oder eine Stirne
so [Abbildung] hat.

Dichter,

Allgemeine Betrachtungen.
Wuͤrkungskraft der Natur iſt — dennoch wollen wir’s verſuchen — etwas uͤber Dichter-
phyſiognomien hinzuwerfen.

Elaſtizitaͤt — iſt wohl das Weſentlichſte im Charakter und der Phyſiognomie des Dich-
ters. Leichte Ruͤhrbarkeit, Erſchuͤtterlichkeit, wiederhallende Schnellkraft — Moͤglichkeit und
Diſpoſition, alles leicht und rein und ganz zu empfangen, und leicht und rein und ganz zuruͤckzuge-
ben; mit einem Zuſatze zwar von ſeiner eigenen aͤchten Jndividualitaͤt — welcher homogene
Zuſatz aber das nur aufhellt und reinigt, nicht truͤbt und befleckt, was man empfaͤngt und giebt —
und Medium wird allen Sinnen aller Menſchen das wahrnehmlich und fuͤhlbar zu machen, was
ihnen ſonſt unwahrnehmlich und unfuͤhlbar waͤre.

Der Dichter iſt Prophet der Schoͤpfung und der Fuͤrſehung Gottes. Mittler
zwiſchen der Natur und den Soͤhnen und Toͤchtern der Natur.
Bedarf’s, geſagt zu wer-
den: Alle Propheten Gottes waren Poeten. Wer war’s mehr, als David, Moſes, Je-
ſaias
und Johannes? — Die Sprache der Offenbarung iſt Sprache der Dichtkunſt — was
Kunſt? Sprache dichteriſchen, das iſt — vollempfangenden, vollgebenden Gefuͤhls. Poeſie
geht der Philoſophie vor, wie der Herbſt dem Winter
... Wie, wie alſo muß der Dich-
ter — der Prophet Gottes, und Offenbarer der Natur, ohne den die Natur niemand kennt — ſo
wie ſie vom Anfange der Welt her nie ohne Poeſie und Prophezie erkannt ward — wie muß der
Mann Gottes und der Menſchen gebildet ſeyn? — wie nicht gebildet?

Von vornen her ließ es ſich ſchon beſtimmen —

Daß er die feinſte, ſenſibelſte Bildung haben muß;

Daß aber dieſe Bildung nicht nur markig, locker, ruͤhrbar zum Empfange;

Daß ſie auch elaſtiſch, wiedertoͤnend, zuruͤckſchnellend ſeyn muß, zum Geben;

Daß ſie alſo weder aus bloß geraden oder harteckigten Linien und Umriſſen, noch aus bloß
weichen, abgerundeten, unwiderſtehenden, leidſamen beſtehen kann und ſoll.

Daß es ſchlechterdings keinen Dichter geben kann, der eine Stirne ſo [Abbildung] oder eine Stirne
ſo [Abbildung] hat.

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[207/0343] Allgemeine Betrachtungen. Wuͤrkungskraft der Natur iſt — dennoch wollen wir’s verſuchen — etwas uͤber Dichter- phyſiognomien hinzuwerfen. Elaſtizitaͤt — iſt wohl das Weſentlichſte im Charakter und der Phyſiognomie des Dich- ters. Leichte Ruͤhrbarkeit, Erſchuͤtterlichkeit, wiederhallende Schnellkraft — Moͤglichkeit und Diſpoſition, alles leicht und rein und ganz zu empfangen, und leicht und rein und ganz zuruͤckzuge- ben; mit einem Zuſatze zwar von ſeiner eigenen aͤchten Jndividualitaͤt — welcher homogene Zuſatz aber das nur aufhellt und reinigt, nicht truͤbt und befleckt, was man empfaͤngt und giebt — und Medium wird allen Sinnen aller Menſchen das wahrnehmlich und fuͤhlbar zu machen, was ihnen ſonſt unwahrnehmlich und unfuͤhlbar waͤre. Der Dichter iſt Prophet der Schoͤpfung und der Fuͤrſehung Gottes. Mittler zwiſchen der Natur und den Soͤhnen und Toͤchtern der Natur. Bedarf’s, geſagt zu wer- den: Alle Propheten Gottes waren Poeten. Wer war’s mehr, als David, Moſes, Je- ſaias und Johannes? — Die Sprache der Offenbarung iſt Sprache der Dichtkunſt — was Kunſt? Sprache dichteriſchen, das iſt — vollempfangenden, vollgebenden Gefuͤhls. Poeſie geht der Philoſophie vor, wie der Herbſt dem Winter ... Wie, wie alſo muß der Dich- ter — der Prophet Gottes, und Offenbarer der Natur, ohne den die Natur niemand kennt — ſo wie ſie vom Anfange der Welt her nie ohne Poeſie und Prophezie erkannt ward — wie muß der Mann Gottes und der Menſchen gebildet ſeyn? — wie nicht gebildet? Von vornen her ließ es ſich ſchon beſtimmen — Daß er die feinſte, ſenſibelſte Bildung haben muß; Daß aber dieſe Bildung nicht nur markig, locker, ruͤhrbar zum Empfange; Daß ſie auch elaſtiſch, wiedertoͤnend, zuruͤckſchnellend ſeyn muß, zum Geben; Daß ſie alſo weder aus bloß geraden oder harteckigten Linien und Umriſſen, noch aus bloß weichen, abgerundeten, unwiderſtehenden, leidſamen beſtehen kann und ſoll. Daß es ſchlechterdings keinen Dichter geben kann, der eine Stirne ſo [Abbildung] oder eine Stirne ſo [Abbildung] hat. Dichter,

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 3. Leipzig u. a., 1777, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente03_1777/343>, abgerufen am 22.11.2024.