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Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 2. Leipzig u. a., 1776.

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Sanfte, treue, edle, zärtliche Charakter.
versteinern mußte. Daher hat unser Bild, wie sich jemand vortrefflich ausdrückte, "eine zu ruhige,
"zu harte Aussenseite. Das Leben, das aus dem tiefen Quelle zwar nicht sprudelt, aber doch leben-
"dig aufquillt, ist nicht ausgedrückt; wohl etwas von der eisernen Macht, die die Lebendigkeit der
"Empfindung zurückhält, damit der Ausdruck davon nicht bey jedem Anlasse sich losreisse. Er sieht
"wohl starr zuweilen; aber selten so stillbetrachtend, sondern theilnehmend. Er sieht mit offenem
"Auge gerade; aber dann ist das Gefühl von dem, was er sieht, höret, und denkt, gedrungener in
"ihm, und seine Seele arbeitet leise -- indeß daß alle seine Züge sprechen. Auch fehlt hier ganz die
"heitere, frohe, jedem mit guter Laune begegnende Freundlichkeit, die beym ersten Anblicke jeder-
"mann gewinnt, jeden im Erfolge festhält."

Ja ein Gesicht -- ohn' alle Schärfe in den Umrissen, aber innwendig voll eiserner Knochen
und Muskeln. So hab' ich noch nie die tiefste, reinste, edelste Zärtlichkeit mit der höchsten Manns-
kraft, Geistesstärke, Heldenmuth zusammengeschmolzen gesehen.

Dieselbe Composition des Charakters, nur mit einem Zusatze von Leichtigkeit, Verstand, stil-
lem Stolz und Eigensinne -- vermuth' ich in nachstehender Silhouette, die freylich, besonders um
den Mund, nicht genau ist.

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Achte
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Sanfte, treue, edle, zaͤrtliche Charakter.
verſteinern mußte. Daher hat unſer Bild, wie ſich jemand vortrefflich ausdruͤckte, „eine zu ruhige,
„zu harte Auſſenſeite. Das Leben, das aus dem tiefen Quelle zwar nicht ſprudelt, aber doch leben-
„dig aufquillt, iſt nicht ausgedruͤckt; wohl etwas von der eiſernen Macht, die die Lebendigkeit der
„Empfindung zuruͤckhaͤlt, damit der Ausdruck davon nicht bey jedem Anlaſſe ſich losreiſſe. Er ſieht
„wohl ſtarr zuweilen; aber ſelten ſo ſtillbetrachtend, ſondern theilnehmend. Er ſieht mit offenem
„Auge gerade; aber dann iſt das Gefuͤhl von dem, was er ſieht, hoͤret, und denkt, gedrungener in
„ihm, und ſeine Seele arbeitet leiſe — indeß daß alle ſeine Zuͤge ſprechen. Auch fehlt hier ganz die
„heitere, frohe, jedem mit guter Laune begegnende Freundlichkeit, die beym erſten Anblicke jeder-
„mann gewinnt, jeden im Erfolge feſthaͤlt.“

Ja ein Geſicht — ohn’ alle Schaͤrfe in den Umriſſen, aber innwendig voll eiſerner Knochen
und Muskeln. So hab’ ich noch nie die tiefſte, reinſte, edelſte Zaͤrtlichkeit mit der hoͤchſten Manns-
kraft, Geiſtesſtaͤrke, Heldenmuth zuſammengeſchmolzen geſehen.

Dieſelbe Compoſition des Charakters, nur mit einem Zuſatze von Leichtigkeit, Verſtand, ſtil-
lem Stolz und Eigenſinne — vermuth’ ich in nachſtehender Silhouette, die freylich, beſonders um
den Mund, nicht genau iſt.

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[243/0413] Sanfte, treue, edle, zaͤrtliche Charakter. verſteinern mußte. Daher hat unſer Bild, wie ſich jemand vortrefflich ausdruͤckte, „eine zu ruhige, „zu harte Auſſenſeite. Das Leben, das aus dem tiefen Quelle zwar nicht ſprudelt, aber doch leben- „dig aufquillt, iſt nicht ausgedruͤckt; wohl etwas von der eiſernen Macht, die die Lebendigkeit der „Empfindung zuruͤckhaͤlt, damit der Ausdruck davon nicht bey jedem Anlaſſe ſich losreiſſe. Er ſieht „wohl ſtarr zuweilen; aber ſelten ſo ſtillbetrachtend, ſondern theilnehmend. Er ſieht mit offenem „Auge gerade; aber dann iſt das Gefuͤhl von dem, was er ſieht, hoͤret, und denkt, gedrungener in „ihm, und ſeine Seele arbeitet leiſe — indeß daß alle ſeine Zuͤge ſprechen. Auch fehlt hier ganz die „heitere, frohe, jedem mit guter Laune begegnende Freundlichkeit, die beym erſten Anblicke jeder- „mann gewinnt, jeden im Erfolge feſthaͤlt.“ Ja ein Geſicht — ohn’ alle Schaͤrfe in den Umriſſen, aber innwendig voll eiſerner Knochen und Muskeln. So hab’ ich noch nie die tiefſte, reinſte, edelſte Zaͤrtlichkeit mit der hoͤchſten Manns- kraft, Geiſtesſtaͤrke, Heldenmuth zuſammengeſchmolzen geſehen. Dieſelbe Compoſition des Charakters, nur mit einem Zuſatze von Leichtigkeit, Verſtand, ſtil- lem Stolz und Eigenſinne — vermuth’ ich in nachſtehender Silhouette, die freylich, beſonders um den Mund, nicht genau iſt. [Abbildung] Achte H h 2

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 2. Leipzig u. a., 1776, S. 243. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente02_1776/413>, abgerufen am 25.11.2024.