Neben ihm, in der flachen Mütze, mit erhobner Seelenloser Hand, ein Kerl voll grau- samer zäher, lederner Dummheit! Dummheit in den Falten seiner Stirn! Falschheit und Wol- lust im Blick seiner Augen, Bosheit in seinem Munde, besonders in seinen Zähnen!
Ob das äußerste Gesicht neben ihm, mit der hohen Mütze und dem wilden Bart, noch verruchter sey, -- wer will's bestimmen? Fester gewiß! Mächtiger -- heulender vielleicht! Vermischung von Grimm und Furcht! Unfestigkeit, böses Gewissen, in der Haltung der Hand! übrigens ohne Gewissen! voll Teufeley -- zwar nicht Mit vernichtendem Stolz im hohen Auge gerüstet, aber Jn Meere verruchter Gedanken, in sich verloren, Derer sich, wär er ein Mensch, selbst Adramelech nicht schämte.
Aber der untere noch mit der Stange! Wer will da Worte finden, den Gräuel der Niederträchtigkeit zu zeichnen! wie fehlt da aller Stolz! aller Schatten von Würde des Cha- racters oder Amtes! Wie scheint da alle Menschlichkeit ein Ende zu haben! wie ist da unerbitt- liche Schmerzensfreude, über das breite gevierte Gesicht, entsetzliche Gefühllosigkeit, beson- ders über Mund und Backen, und Kinn und Nase verbreitet! -- und auch diese Hand! -- wie verschieden von einer wohlthätigen Hand, die arbeitet, um einen Armen zu nähren, und die vom errungenen Brodte, der vergeßnen Dürftigkeit den halben Bissen, von Gott nur ge- sehen, darreicht!
Kann man sich wahrere Bildnisse von menschlicher Schlangen-Brut gedenken, als wir vor uns haben? Wer kann's ausstehen, die Unschuld in den Händen solcher Verruchten zu sehen? wer fühlt die Größe des göttlichen Schweigens nicht? "die das verbirgt, was Welten "erschuf." Ein Wort, und als Todtengerippe wären sie dagelegen! Ein Blick -- und zu Asche zerblitzt stäubt' er sie in die Luft -- aber -- Sie überläßt sich dem, der da recht richtet -- die himmlische Unschuld! Sie ist nicht gekommen, die Seelen der Menschen zu verder- ben, sondern selig zu machen! -- die ewige Erbarmung! Bring ihr eine Thräne danken- der Anbethung dar, kannst du die gewisseste aller Geschichte glauben -- Jesus auf Gabba-
tha!
Phys. Fragm.I.Versuch. N
der moraliſchen und koͤrperlichen Schoͤnheit.
Neben ihm, in der flachen Muͤtze, mit erhobner Seelenloſer Hand, ein Kerl voll grau- ſamer zaͤher, lederner Dummheit! Dummheit in den Falten ſeiner Stirn! Falſchheit und Wol- luſt im Blick ſeiner Augen, Bosheit in ſeinem Munde, beſonders in ſeinen Zaͤhnen!
Ob das aͤußerſte Geſicht neben ihm, mit der hohen Muͤtze und dem wilden Bart, noch verruchter ſey, — wer will's beſtimmen? Feſter gewiß! Maͤchtiger — heulender vielleicht! Vermiſchung von Grimm und Furcht! Unfeſtigkeit, boͤſes Gewiſſen, in der Haltung der Hand! uͤbrigens ohne Gewiſſen! voll Teufeley — zwar nicht Mit vernichtendem Stolz im hohen Auge geruͤſtet, aber Jn Meere verruchter Gedanken, in ſich verloren, Derer ſich, waͤr er ein Menſch, ſelbſt Adramelech nicht ſchaͤmte.
Aber der untere noch mit der Stange! Wer will da Worte finden, den Graͤuel der Niedertraͤchtigkeit zu zeichnen! wie fehlt da aller Stolz! aller Schatten von Wuͤrde des Cha- racters oder Amtes! Wie ſcheint da alle Menſchlichkeit ein Ende zu haben! wie iſt da unerbitt- liche Schmerzensfreude, uͤber das breite gevierte Geſicht, entſetzliche Gefuͤhlloſigkeit, beſon- ders uͤber Mund und Backen, und Kinn und Naſe verbreitet! — und auch dieſe Hand! — wie verſchieden von einer wohlthaͤtigen Hand, die arbeitet, um einen Armen zu naͤhren, und die vom errungenen Brodte, der vergeßnen Duͤrftigkeit den halben Biſſen, von Gott nur ge- ſehen, darreicht!
Kann man ſich wahrere Bildniſſe von menſchlicher Schlangen-Brut gedenken, als wir vor uns haben? Wer kann's ausſtehen, die Unſchuld in den Haͤnden ſolcher Verruchten zu ſehen? wer fuͤhlt die Groͤße des goͤttlichen Schweigens nicht? „die das verbirgt, was Welten „erſchuf.“ Ein Wort, und als Todtengerippe waͤren ſie dagelegen! Ein Blick — und zu Aſche zerblitzt ſtaͤubt' er ſie in die Luft — aber — Sie uͤberlaͤßt ſich dem, der da recht richtet — die himmliſche Unſchuld! Sie iſt nicht gekommen, die Seelen der Menſchen zu verder- ben, ſondern ſelig zu machen! — die ewige Erbarmung! Bring ihr eine Thraͤne danken- der Anbethung dar, kannſt du die gewiſſeſte aller Geſchichte glauben — Jeſus auf Gabba-
tha!
Phyſ. Fragm.I.Verſuch. N
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0123"n="89"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b"><hirendition="#g">der moraliſchen und koͤrperlichen Schoͤnheit.</hi></hi></fw><lb/><p>Neben ihm, in der flachen Muͤtze, mit erhobner Seelenloſer Hand, ein Kerl voll grau-<lb/>ſamer zaͤher, lederner Dummheit! Dummheit in den Falten ſeiner Stirn! Falſchheit und Wol-<lb/>
luſt im Blick ſeiner Augen, Bosheit in ſeinem Munde, beſonders in ſeinen Zaͤhnen!</p><lb/><p>Ob das aͤußerſte Geſicht neben ihm, mit der hohen Muͤtze und dem wilden Bart, noch<lb/>
verruchter ſey, — wer will's beſtimmen? Feſter gewiß! Maͤchtiger — heulender vielleicht!<lb/>
Vermiſchung von Grimm und Furcht! Unfeſtigkeit, boͤſes Gewiſſen, in der Haltung der Hand!<lb/>
uͤbrigens ohne Gewiſſen! voll Teufeley — zwar nicht<lb/><hirendition="#et">Mit vernichtendem Stolz im hohen Auge geruͤſtet,</hi><lb/>
aber<lb/><hirendition="#et">Jn Meere verruchter Gedanken, in ſich verloren,<lb/>
Derer ſich, waͤr er ein Menſch, ſelbſt Adramelech nicht ſchaͤmte.</hi></p><lb/><p>Aber der untere noch mit der Stange! Wer will da Worte finden, den Graͤuel der<lb/>
Niedertraͤchtigkeit zu zeichnen! wie fehlt da aller Stolz! aller Schatten von Wuͤrde des Cha-<lb/>
racters oder Amtes! Wie ſcheint da alle Menſchlichkeit ein Ende zu haben! wie iſt da unerbitt-<lb/>
liche Schmerzensfreude, uͤber das breite gevierte Geſicht, entſetzliche Gefuͤhlloſigkeit, beſon-<lb/>
ders uͤber Mund und Backen, und Kinn und Naſe verbreitet! — und auch dieſe Hand! —<lb/>
wie verſchieden von einer wohlthaͤtigen Hand, die arbeitet, um einen Armen zu naͤhren, und<lb/>
die vom errungenen Brodte, der vergeßnen Duͤrftigkeit den halben Biſſen, von Gott nur ge-<lb/>ſehen, darreicht!</p><lb/><p>Kann man ſich wahrere Bildniſſe von menſchlicher Schlangen-Brut gedenken, als<lb/>
wir vor uns haben? Wer kann's ausſtehen, die Unſchuld in den Haͤnden ſolcher Verruchten zu<lb/>ſehen? wer fuͤhlt die Groͤße des goͤttlichen Schweigens nicht? „die das verbirgt, was Welten<lb/>„erſchuf.“ Ein Wort, und als Todtengerippe waͤren ſie dagelegen! Ein Blick — und zu Aſche<lb/>
zerblitzt ſtaͤubt' er ſie in die Luft — aber — Sie uͤberlaͤßt ſich dem, der da recht richtet —<lb/>
die himmliſche Unſchuld! <hirendition="#fr">Sie iſt nicht gekommen, die Seelen der Menſchen zu verder-<lb/>
ben, ſondern ſelig zu machen!</hi>— die ewige Erbarmung! Bring ihr eine Thraͤne danken-<lb/>
der Anbethung dar, kannſt du die gewiſſeſte aller Geſchichte glauben —<hirendition="#fr">Jeſus auf Gabba-</hi><lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#fr">Phyſ. Fragm.</hi><hirendition="#aq">I.</hi><hirendition="#fr">Verſuch.</hi> N</fw><fwplace="bottom"type="catch"><hirendition="#fr">tha!</hi></fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[89/0123]
der moraliſchen und koͤrperlichen Schoͤnheit.
Neben ihm, in der flachen Muͤtze, mit erhobner Seelenloſer Hand, ein Kerl voll grau-
ſamer zaͤher, lederner Dummheit! Dummheit in den Falten ſeiner Stirn! Falſchheit und Wol-
luſt im Blick ſeiner Augen, Bosheit in ſeinem Munde, beſonders in ſeinen Zaͤhnen!
Ob das aͤußerſte Geſicht neben ihm, mit der hohen Muͤtze und dem wilden Bart, noch
verruchter ſey, — wer will's beſtimmen? Feſter gewiß! Maͤchtiger — heulender vielleicht!
Vermiſchung von Grimm und Furcht! Unfeſtigkeit, boͤſes Gewiſſen, in der Haltung der Hand!
uͤbrigens ohne Gewiſſen! voll Teufeley — zwar nicht
Mit vernichtendem Stolz im hohen Auge geruͤſtet,
aber
Jn Meere verruchter Gedanken, in ſich verloren,
Derer ſich, waͤr er ein Menſch, ſelbſt Adramelech nicht ſchaͤmte.
Aber der untere noch mit der Stange! Wer will da Worte finden, den Graͤuel der
Niedertraͤchtigkeit zu zeichnen! wie fehlt da aller Stolz! aller Schatten von Wuͤrde des Cha-
racters oder Amtes! Wie ſcheint da alle Menſchlichkeit ein Ende zu haben! wie iſt da unerbitt-
liche Schmerzensfreude, uͤber das breite gevierte Geſicht, entſetzliche Gefuͤhlloſigkeit, beſon-
ders uͤber Mund und Backen, und Kinn und Naſe verbreitet! — und auch dieſe Hand! —
wie verſchieden von einer wohlthaͤtigen Hand, die arbeitet, um einen Armen zu naͤhren, und
die vom errungenen Brodte, der vergeßnen Duͤrftigkeit den halben Biſſen, von Gott nur ge-
ſehen, darreicht!
Kann man ſich wahrere Bildniſſe von menſchlicher Schlangen-Brut gedenken, als
wir vor uns haben? Wer kann's ausſtehen, die Unſchuld in den Haͤnden ſolcher Verruchten zu
ſehen? wer fuͤhlt die Groͤße des goͤttlichen Schweigens nicht? „die das verbirgt, was Welten
„erſchuf.“ Ein Wort, und als Todtengerippe waͤren ſie dagelegen! Ein Blick — und zu Aſche
zerblitzt ſtaͤubt' er ſie in die Luft — aber — Sie uͤberlaͤßt ſich dem, der da recht richtet —
die himmliſche Unſchuld! Sie iſt nicht gekommen, die Seelen der Menſchen zu verder-
ben, ſondern ſelig zu machen! — die ewige Erbarmung! Bring ihr eine Thraͤne danken-
der Anbethung dar, kannſt du die gewiſſeſte aller Geſchichte glauben — Jeſus auf Gabba-
tha!
Phyſ. Fragm. I. Verſuch. N
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 1. Leipzig u. a., 1775, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente01_1775/123>, abgerufen am 26.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.