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Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783.

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Hören und Thun.
schafnes, bewundernswürdiges Wesen -- wird mit ge-
heimer demuthsvoller Ehrfurcht von sich selbst erfüllt --
so bald seine innerste Kraft, sein aufrichtiger Ernst sich
regen -- des Herrn Worte schlechterdings zu befolgen,
wie's die Worte des Weisesten, des Gütigsten, des Al-
leinmächtigen verdienen! Aber wie wenige versuchen!
Wie wenige fangen an und vollenden den Versuch! Un-
ter tausend guten Menschen hab' ich noch den einzigen
nicht gesehen, der es sich zum einzigen Zweck setzte --
das Wort des Herrn zu hören, um es zu thun -- der
den Willen des Herrn nur einige Tage, mit der Ruhe,
Einfalt, Treue, Trugloser Gutherzigkeit vollbringe, wie
bald in jeder Gasse wenigstens auch ein Dienstbote dem
Willen einer gütigen oder strengen Herrschaft genug zu
thun sich bestreben mag. -- Daher sogar wenig Ruhe
und Festigkeit! Daher das unaufhörliche Hin- und
Herwanken, daher das täglich wiederkehrende Zagen
und Aengsteln in der menschlichen Brust! Daher keine
freye fruchtlose Anwendung der theuren Evangelischen
Verheissungen auf sich selbst! Daher keine Kraft, sie
andern mit eindringender Fruchtbarkeit ans Herz zu le-
gen -- Unser Haus ist auf den Sand gebaut. Wir dür-
fen auf Gott nicht rechnen, weil wir auf uns
selber nicht rechnen und zählen dürfen,
wie dür-
fen wir mit willkührlichen Forderungen vor den kommen,
dessen gerechteste Forderungen wir täglich mit einem
gleichsam hohnsprechenden Leichtsinne zurückweisen. Wir
wollen nicht, was Er will; wie kann Er wollen, was
wir? ... Wäre seine gränzenlose Barmherzigkeit

nicht --
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Hören und Thun.
ſchafnes, bewundernswürdiges Weſen — wird mit ge-
heimer demuthsvoller Ehrfurcht von ſich ſelbſt erfüllt —
ſo bald ſeine innerſte Kraft, ſein aufrichtiger Ernſt ſich
regen — des Herrn Worte ſchlechterdings zu befolgen,
wie’s die Worte des Weiſeſten, des Gütigſten, des Al-
leinmächtigen verdienen! Aber wie wenige verſuchen!
Wie wenige fangen an und vollenden den Verſuch! Un-
ter tauſend guten Menſchen hab’ ich noch den einzigen
nicht geſehen, der es ſich zum einzigen Zweck ſetzte —
das Wort des Herrn zu hören, um es zu thun — der
den Willen des Herrn nur einige Tage, mit der Ruhe,
Einfalt, Treue, Trugloſer Gutherzigkeit vollbringe, wie
bald in jeder Gaſſe wenigſtens auch ein Dienſtbote dem
Willen einer gütigen oder ſtrengen Herrſchaft genug zu
thun ſich beſtreben mag. — Daher ſogar wenig Ruhe
und Feſtigkeit! Daher das unaufhörliche Hin- und
Herwanken, daher das täglich wiederkehrende Zagen
und Aengſteln in der menſchlichen Bruſt! Daher keine
freye fruchtloſe Anwendung der theuren Evangeliſchen
Verheiſſungen auf ſich ſelbſt! Daher keine Kraft, ſie
andern mit eindringender Fruchtbarkeit ans Herz zu le-
gen — Unſer Haus iſt auf den Sand gebaut. Wir dür-
fen auf Gott nicht rechnen, weil wir auf uns
ſelber nicht rechnen und zählen dürfen,
wie dür-
fen wir mit willkührlichen Forderungen vor den kommen,
deſſen gerechteſte Forderungen wir täglich mit einem
gleichſam hohnſprechenden Leichtſinne zurückweiſen. Wir
wollen nicht, was Er will; wie kann Er wollen, was
wir? ... Wäre ſeine gränzenloſe Barmherzigkeit

nicht —
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[65[85]/0093] Hören und Thun. ſchafnes, bewundernswürdiges Weſen — wird mit ge- heimer demuthsvoller Ehrfurcht von ſich ſelbſt erfüllt — ſo bald ſeine innerſte Kraft, ſein aufrichtiger Ernſt ſich regen — des Herrn Worte ſchlechterdings zu befolgen, wie’s die Worte des Weiſeſten, des Gütigſten, des Al- leinmächtigen verdienen! Aber wie wenige verſuchen! Wie wenige fangen an und vollenden den Verſuch! Un- ter tauſend guten Menſchen hab’ ich noch den einzigen nicht geſehen, der es ſich zum einzigen Zweck ſetzte — das Wort des Herrn zu hören, um es zu thun — der den Willen des Herrn nur einige Tage, mit der Ruhe, Einfalt, Treue, Trugloſer Gutherzigkeit vollbringe, wie bald in jeder Gaſſe wenigſtens auch ein Dienſtbote dem Willen einer gütigen oder ſtrengen Herrſchaft genug zu thun ſich beſtreben mag. — Daher ſogar wenig Ruhe und Feſtigkeit! Daher das unaufhörliche Hin- und Herwanken, daher das täglich wiederkehrende Zagen und Aengſteln in der menſchlichen Bruſt! Daher keine freye fruchtloſe Anwendung der theuren Evangeliſchen Verheiſſungen auf ſich ſelbſt! Daher keine Kraft, ſie andern mit eindringender Fruchtbarkeit ans Herz zu le- gen — Unſer Haus iſt auf den Sand gebaut. Wir dür- fen auf Gott nicht rechnen, weil wir auf uns ſelber nicht rechnen und zählen dürfen, wie dür- fen wir mit willkührlichen Forderungen vor den kommen, deſſen gerechteſte Forderungen wir täglich mit einem gleichſam hohnſprechenden Leichtſinne zurückweiſen. Wir wollen nicht, was Er will; wie kann Er wollen, was wir? ... Wäre ſeine gränzenloſe Barmherzigkeit nicht — E

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783, S. 65[85]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_betrachtungen01_1783/93>, abgerufen am 04.09.2024.