Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783.

Bild:
<< vorherige Seite

Alles, was ihr wollet etc.
sen der Natur und der Schrift -- und ohn welche gar
gar nichts richtig verstanden werden kann. -- Der
Mensch ist Ebenbild der Gottheit.

Diese Regel entscheidet schnell und sicher in Millio-
nen Fällen, über die man Stundenlang für und wider
räsonnirte, ohne an Bord zu kommen.

Sie ist Stimme Gottes in uns -- Licht, Wort,
Wahrheit Gottes, die uns nie irren läßt; uns immer
mit dem Glanz und der Schnelle des Blitzes das Beßte
zeigt, was gethan werden kann.

Sie ist so allgemein, so all umfassend, so anwend-
bar auf alles, daß der nie in Verlegenheit kommen kann,
was zu thun oder zu lassen sey, der dieser Regel mit Ein-
falt nnd Gewissenhaftigkeit zu folgen entschlossen ist. Täg-
liche, stündliche, augenblickliche Uebung sich in die Stelle,
in den Gesichtspunkt, in die Stärke oder Schwäche;
Größe oder Kleinheit, Empfindlichkeit oder Unempfind-
lichkeit, kurz, so gut wie möglich in die Seele des an-
dern hineinzudenken -- ist allein wahre Weisheit und Tu-
gend. In dem sie dem Menschen das süsseste Vergnügen
gewährt, giebt sie ihm zu gleicher Zeit eine beynahe über-
menschliche Kraft. Man verzeihe, wenn ich immer und
immer wieder auf dasselbe zurückkomme, und kein Ende
finden kann, von der allbekanntesten und unbekanntesten
Sache zu reden -- von einer Sache, die jedermann zu
kennen meynt, und die, sobald sie einmal erscheint, --
der Erscheinung eines auferstandenen Todten -- Einem
Engel, einer dastehenden Gottheit ähnlich zu seyn scheint.

Ich
D 4

Alles, was ihr wollet ꝛc.
ſen der Natur und der Schrift — und ohn welche gar
gar nichts richtig verſtanden werden kann. — Der
Menſch iſt Ebenbild der Gottheit.

Dieſe Regel entſcheidet ſchnell und ſicher in Millio-
nen Fällen, über die man Stundenlang für und wider
räſonnirte, ohne an Bord zu kommen.

Sie iſt Stimme Gottes in uns — Licht, Wort,
Wahrheit Gottes, die uns nie irren läßt; uns immer
mit dem Glanz und der Schnelle des Blitzes das Beßte
zeigt, was gethan werden kann.

Sie iſt ſo allgemein, ſo all umfaſſend, ſo anwend-
bar auf alles, daß der nie in Verlegenheit kommen kann,
was zu thun oder zu laſſen ſey, der dieſer Regel mit Ein-
falt nnd Gewiſſenhaftigkeit zu folgen entſchloſſen iſt. Täg-
liche, ſtündliche, augenblickliche Uebung ſich in die Stelle,
in den Geſichtspunkt, in die Stärke oder Schwäche;
Größe oder Kleinheit, Empfindlichkeit oder Unempfind-
lichkeit, kurz, ſo gut wie möglich in die Seele des an-
dern hineinzudenken — iſt allein wahre Weisheit und Tu-
gend. In dem ſie dem Menſchen das ſüſſeſte Vergnügen
gewährt, giebt ſie ihm zu gleicher Zeit eine beynahe über-
menſchliche Kraft. Man verzeihe, wenn ich immer und
immer wieder auf daſſelbe zurückkomme, und kein Ende
finden kann, von der allbekannteſten und unbekannteſten
Sache zu reden — von einer Sache, die jedermann zu
kennen meynt, und die, ſobald ſie einmal erſcheint, —
der Erſcheinung eines auferſtandenen Todten — Einem
Engel, einer daſtehenden Gottheit ähnlich zu ſeyn ſcheint.

Ich
D 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0083" n="55[75]"/><fw place="top" type="header">Alles, was ihr wollet &#xA75B;c.</fw><lb/>
&#x017F;en der Natur und der Schrift &#x2014; und ohn welche gar<lb/>
gar nichts richtig ver&#x017F;tanden werden kann. &#x2014; <hi rendition="#fr">Der<lb/>
Men&#x017F;ch i&#x017F;t Ebenbild der Gottheit.</hi></p><lb/>
            <p>Die&#x017F;e Regel ent&#x017F;cheidet &#x017F;chnell und &#x017F;icher in Millio-<lb/>
nen Fällen, über die man Stundenlang für und wider<lb/>&#x017F;onnirte, ohne an Bord zu kommen.</p><lb/>
            <p>Sie i&#x017F;t Stimme Gottes in uns &#x2014; Licht, Wort,<lb/>
Wahrheit Gottes, die uns nie irren läßt; uns immer<lb/>
mit dem Glanz und der Schnelle des Blitzes das Beßte<lb/>
zeigt, was gethan werden kann.</p><lb/>
            <p>Sie i&#x017F;t &#x017F;o allgemein, &#x017F;o all umfa&#x017F;&#x017F;end, &#x017F;o anwend-<lb/>
bar auf alles, daß der nie in Verlegenheit kommen kann,<lb/><hi rendition="#fr">was</hi> zu thun oder zu la&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ey, der die&#x017F;er Regel mit Ein-<lb/>
falt nnd Gewi&#x017F;&#x017F;enhaftigkeit zu folgen ent&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en i&#x017F;t. Täg-<lb/>
liche, &#x017F;tündliche, augenblickliche Uebung &#x017F;ich in die Stelle,<lb/>
in den Ge&#x017F;ichtspunkt, in die Stärke oder Schwäche;<lb/>
Größe oder Kleinheit, Empfindlichkeit oder Unempfind-<lb/>
lichkeit, kurz, &#x017F;o gut wie möglich in die Seele des an-<lb/>
dern hineinzudenken &#x2014; i&#x017F;t allein wahre Weisheit und Tu-<lb/>
gend. In dem &#x017F;ie dem Men&#x017F;chen das &#x017F;ü&#x017F;&#x017F;e&#x017F;te Vergnügen<lb/>
gewährt, giebt &#x017F;ie ihm zu gleicher Zeit eine beynahe über-<lb/>
men&#x017F;chliche Kraft. Man verzeihe, wenn ich immer und<lb/>
immer wieder auf da&#x017F;&#x017F;elbe zurückkomme, und kein Ende<lb/>
finden kann, von der allbekannte&#x017F;ten und unbekannte&#x017F;ten<lb/>
Sache zu reden &#x2014; von einer Sache, die jedermann zu<lb/>
kennen meynt, und die, &#x017F;obald &#x017F;ie einmal er&#x017F;cheint, &#x2014;<lb/>
der Er&#x017F;cheinung eines aufer&#x017F;tandenen Todten &#x2014; Einem<lb/>
Engel, einer da&#x017F;tehenden Gottheit ähnlich zu &#x017F;eyn &#x017F;cheint.</p><lb/>
            <fw place="bottom" type="sig">D 4</fw>
            <fw place="bottom" type="catch">Ich</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[55[75]/0083] Alles, was ihr wollet ꝛc. ſen der Natur und der Schrift — und ohn welche gar gar nichts richtig verſtanden werden kann. — Der Menſch iſt Ebenbild der Gottheit. Dieſe Regel entſcheidet ſchnell und ſicher in Millio- nen Fällen, über die man Stundenlang für und wider räſonnirte, ohne an Bord zu kommen. Sie iſt Stimme Gottes in uns — Licht, Wort, Wahrheit Gottes, die uns nie irren läßt; uns immer mit dem Glanz und der Schnelle des Blitzes das Beßte zeigt, was gethan werden kann. Sie iſt ſo allgemein, ſo all umfaſſend, ſo anwend- bar auf alles, daß der nie in Verlegenheit kommen kann, was zu thun oder zu laſſen ſey, der dieſer Regel mit Ein- falt nnd Gewiſſenhaftigkeit zu folgen entſchloſſen iſt. Täg- liche, ſtündliche, augenblickliche Uebung ſich in die Stelle, in den Geſichtspunkt, in die Stärke oder Schwäche; Größe oder Kleinheit, Empfindlichkeit oder Unempfind- lichkeit, kurz, ſo gut wie möglich in die Seele des an- dern hineinzudenken — iſt allein wahre Weisheit und Tu- gend. In dem ſie dem Menſchen das ſüſſeſte Vergnügen gewährt, giebt ſie ihm zu gleicher Zeit eine beynahe über- menſchliche Kraft. Man verzeihe, wenn ich immer und immer wieder auf daſſelbe zurückkomme, und kein Ende finden kann, von der allbekannteſten und unbekannteſten Sache zu reden — von einer Sache, die jedermann zu kennen meynt, und die, ſobald ſie einmal erſcheint, — der Erſcheinung eines auferſtandenen Todten — Einem Engel, einer daſtehenden Gottheit ähnlich zu ſeyn ſcheint. Ich D 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang: Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_betrachtungen01_1783
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_betrachtungen01_1783/83
Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783, S. 55[75]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_betrachtungen01_1783/83>, abgerufen am 13.06.2024.