Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783.

Bild:
<< vorherige Seite

Matthäus VI.
Einfachheit. -- Die menschlichen das Gepräge der
Vielfachheit.
Jene sind ihrer ursprünglichen Anlage
nach, das Werk eines Moments, eines göttlichschöpfe-
rischen Wortes; diese sind nach und nach Theilsweise durch
Zusätze von aussen und von fremden Händen entstanden.
Kaum Ein Menschenwerk ist das Werk Eines Menschen
-- wie viele Hände müssen beschäftigt seyn, ehe ein Kleid
von uns angezogen werden kann! -- durch wie viel Hände
geht ein einfacher Schuh -- wie auffallend hingegen ist
jedes Produkt der Natur das Werk einer einzigen Hand!
-- Ich will nicht von dem reden, was das Vergrösse-
rungsglas in jeder Blume, jeder Feld-Lilie -- Jedem
Grashalm für Wunder der zu Einem Ganzen zusam-
menstimmenden Mannigfaltigkeit entdeken kann -- Wie
jegliches Stäubchen ein Abgrund von Herrlichkeit ist. --
Salomons Herrlichkeit bestand aus lauter zusammen-
geflickten Leblosigkeiten, die ein nur nach und nach ent-
standnes Ganzes ausmachten. Jede Blume des Feldes
enthält vielmehr Mannigfaltigkeiten, hat mehr Ueberein-
stimmung und Ganzheit -- und ist aus lauter Kraft
und Leben, (wie viel geringer auch das Leben der Pflan-
ze, als des Thieres seyn mag) in ein einfaches Ganzes
gleichsam zusammen gegossen.

41.
Gott sorgen lassen.
Matth. VI.
20.

So nun Gott das Gras auf dem Felde
also kleidet, das doch Heute stehet und Mor-
gen in den Ofen geworfen wird; solt' Er

das

Matthäus VI.
Einfachheit. — Die menſchlichen das Gepräge der
Vielfachheit.
Jene ſind ihrer urſprünglichen Anlage
nach, das Werk eines Moments, eines göttlichſchöpfe-
riſchen Wortes; dieſe ſind nach und nach Theilsweiſe durch
Zuſätze von auſſen und von fremden Händen entſtanden.
Kaum Ein Menſchenwerk iſt das Werk Eines Menſchen
— wie viele Hände müſſen beſchäftigt ſeyn, ehe ein Kleid
von uns angezogen werden kann! — durch wie viel Hände
geht ein einfacher Schuh — wie auffallend hingegen iſt
jedes Produkt der Natur das Werk einer einzigen Hand!
— Ich will nicht von dem reden, was das Vergröſſe-
rungsglas in jeder Blume, jeder Feld-Lilie — Jedem
Grashalm für Wunder der zu Einem Ganzen zuſam-
menſtimmenden Mannigfaltigkeit entdeken kann — Wie
jegliches Stäubchen ein Abgrund von Herrlichkeit iſt. —
Salomons Herrlichkeit beſtand aus lauter zuſammen-
geflickten Lebloſigkeiten, die ein nur nach und nach ent-
ſtandnes Ganzes ausmachten. Jede Blume des Feldes
enthält vielmehr Mannigfaltigkeiten, hat mehr Ueberein-
ſtimmung und Ganzheit — und iſt aus lauter Kraft
und Leben, (wie viel geringer auch das Leben der Pflan-
ze, als des Thieres ſeyn mag) in ein einfaches Ganzes
gleichſam zuſammen gegoſſen.

41.
Gott ſorgen laſſen.
Matth. VI.
20.

So nun Gott das Gras auf dem Felde
alſo kleidet, das doch Heute ſtehet und Mor-
gen in den Ofen geworfen wird; ſolt’ Er

das
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0064" n="36[56]"/><fw place="top" type="header">Matthäus <hi rendition="#aq">VI.</hi></fw><lb/><hi rendition="#fr">Einfachheit. &#x2014; Die men&#x017F;chlichen das Gepräge der<lb/>
Vielfachheit.</hi> Jene &#x017F;ind ihrer ur&#x017F;prünglichen Anlage<lb/>
nach, das Werk <hi rendition="#fr">eines</hi> Moments, <hi rendition="#fr">eines</hi> göttlich&#x017F;chöpfe-<lb/>
ri&#x017F;chen Wortes; die&#x017F;e &#x017F;ind nach und nach Theilswei&#x017F;e durch<lb/>
Zu&#x017F;ätze von au&#x017F;&#x017F;en und von fremden Händen ent&#x017F;tanden.<lb/>
Kaum Ein Men&#x017F;chenwerk i&#x017F;t das Werk <hi rendition="#fr">Eines</hi> Men&#x017F;chen<lb/>
&#x2014; wie viele Hände mü&#x017F;&#x017F;en be&#x017F;chäftigt &#x017F;eyn, ehe ein Kleid<lb/>
von uns angezogen werden kann! &#x2014; durch wie viel Hände<lb/>
geht ein einfacher Schuh &#x2014; wie auffallend hingegen i&#x017F;t<lb/>
jedes Produkt der Natur das Werk einer einzigen Hand!<lb/>
&#x2014; Ich will nicht von dem reden, was das Vergrö&#x017F;&#x017F;e-<lb/>
rungsglas in jeder Blume, jeder Feld-Lilie &#x2014; Jedem<lb/>
Grashalm für Wunder der zu Einem Ganzen zu&#x017F;am-<lb/>
men&#x017F;timmenden Mannigfaltigkeit entdeken kann &#x2014; Wie<lb/>
jegliches Stäubchen ein Abgrund von Herrlichkeit i&#x017F;t. &#x2014;<lb/><hi rendition="#fr">Salomons Herrlichkeit</hi> be&#x017F;tand aus lauter zu&#x017F;ammen-<lb/>
geflickten Leblo&#x017F;igkeiten, die ein nur nach und nach ent-<lb/>
&#x017F;tandnes Ganzes ausmachten. Jede Blume des Feldes<lb/>
enthält vielmehr Mannigfaltigkeiten, hat mehr Ueberein-<lb/>
&#x017F;timmung und Ganzheit &#x2014; und i&#x017F;t aus lauter Kraft<lb/>
und Leben, (wie viel geringer auch das Leben der Pflan-<lb/>
ze, als des Thieres &#x017F;eyn mag) in ein einfaches Ganzes<lb/>
gleich&#x017F;am zu&#x017F;ammen gego&#x017F;&#x017F;en.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>41.<lb/>
Gott &#x017F;orgen la&#x017F;&#x017F;en.</head><lb/>
            <note place="left">Matth. <hi rendition="#aq">VI.</hi><lb/>
20.</note>
            <p> <hi rendition="#fr">So nun Gott das Gras auf dem Felde<lb/>
al&#x017F;o kleidet, das doch Heute &#x017F;tehet und Mor-<lb/>
gen in den Ofen geworfen wird; &#x017F;olt&#x2019; Er</hi><lb/>
              <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#fr">das</hi> </fw><lb/>
            </p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[36[56]/0064] Matthäus VI. Einfachheit. — Die menſchlichen das Gepräge der Vielfachheit. Jene ſind ihrer urſprünglichen Anlage nach, das Werk eines Moments, eines göttlichſchöpfe- riſchen Wortes; dieſe ſind nach und nach Theilsweiſe durch Zuſätze von auſſen und von fremden Händen entſtanden. Kaum Ein Menſchenwerk iſt das Werk Eines Menſchen — wie viele Hände müſſen beſchäftigt ſeyn, ehe ein Kleid von uns angezogen werden kann! — durch wie viel Hände geht ein einfacher Schuh — wie auffallend hingegen iſt jedes Produkt der Natur das Werk einer einzigen Hand! — Ich will nicht von dem reden, was das Vergröſſe- rungsglas in jeder Blume, jeder Feld-Lilie — Jedem Grashalm für Wunder der zu Einem Ganzen zuſam- menſtimmenden Mannigfaltigkeit entdeken kann — Wie jegliches Stäubchen ein Abgrund von Herrlichkeit iſt. — Salomons Herrlichkeit beſtand aus lauter zuſammen- geflickten Lebloſigkeiten, die ein nur nach und nach ent- ſtandnes Ganzes ausmachten. Jede Blume des Feldes enthält vielmehr Mannigfaltigkeiten, hat mehr Ueberein- ſtimmung und Ganzheit — und iſt aus lauter Kraft und Leben, (wie viel geringer auch das Leben der Pflan- ze, als des Thieres ſeyn mag) in ein einfaches Ganzes gleichſam zuſammen gegoſſen. 41. Gott ſorgen laſſen. So nun Gott das Gras auf dem Felde alſo kleidet, das doch Heute ſtehet und Mor- gen in den Ofen geworfen wird; ſolt’ Er das

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang: Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_betrachtungen01_1783
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_betrachtungen01_1783/64
Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783, S. 36[56]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_betrachtungen01_1783/64>, abgerufen am 13.06.2024.