Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783.

Bild:
<< vorherige Seite

Verhöhnung Jesu.
Linken. Die aber vorüber giengen, lästerten Ihn
und schüttelten ihre Köpfe und sprachen: Der
du den Tempel Gottes zerbrichst, und bauest
ihn in dreyen Tagen, hilf dir selber. Bist du
Gottes Sohn, so steig herab vom Kreuz. Des-
gleichen auch die Hohenpriester spotteten sein,
sammt den Schriftgelehrten und Aeltesten, und
sprachen: Andern hat Er geholfen, und kann
Ihm selber nicht helfen. Ist Er der König in
Israel, so steige Er nun vom Kreuz; So wol-
len wir Ihm glauben. Er hat Gott vertraut:
Der erlöse Ihn nun, so Er Lust hat. Denn Er
hat gesagt: Ich bin Gottes Sohn. Desglei-
chen schmäheten Ihn auch die Mörder, die mit
Ihm gekreuzigt waren.

Noch einmahl: Es war keine Schmach zu erden-
ken, die dem Ehrwürdigsten nicht angethan ward. Von
der hochstolzen Priesterschaft herab durch alle Classen
des Pöbels bis auf den einen verruchten Mörder --
war alles Ein Herz, Eine Seele, Ein Gespött, Ein bos-
haftes Hohngelächter wider Christus. Aber, was war's,
was Ihm der bitterste und grimmigste Spott vorwerfen
konnte? Nichts, als Gottseeligkeit und Tugend;
Nichts, als Religion und Menschenliebe -- Er ver-
traute auf Gott
-- -- und andern hat Er gehol-
fen.
Sie zeugen wider sich selbst, indem sie wider Ihn
zeugen wollen. Sie ehren Ihn, indem sie Ihn lästern;
Sie erfüllen alte Weissagungen und bestätigen dadurch
wider Absicht und Willen, daß Er die Person sey, die

sie
K k 5

Verhöhnung Jeſu.
Linken. Die aber vorüber giengen, läſterten Ihn
und ſchüttelten ihre Köpfe und ſprachen: Der
du den Tempel Gottes zerbrichſt, und baueſt
ihn in dreyen Tagen, hilf dir ſelber. Biſt du
Gottes Sohn, ſo ſteig herab vom Kreuz. Des-
gleichen auch die Hohenprieſter ſpotteten ſein,
ſammt den Schriftgelehrten und Aelteſten, und
ſprachen: Andern hat Er geholfen, und kann
Ihm ſelber nicht helfen. Iſt Er der König in
Iſrael, ſo ſteige Er nun vom Kreuz; So wol-
len wir Ihm glauben. Er hat Gott vertraut:
Der erlöſe Ihn nun, ſo Er Luſt hat. Denn Er
hat geſagt: Ich bin Gottes Sohn. Desglei-
chen ſchmäheten Ihn auch die Mörder, die mit
Ihm gekreuzigt waren.

Noch einmahl: Es war keine Schmach zu erden-
ken, die dem Ehrwürdigſten nicht angethan ward. Von
der hochſtolzen Prieſterſchaft herab durch alle Claſſen
des Pöbels bis auf den einen verruchten Mörder —
war alles Ein Herz, Eine Seele, Ein Geſpött, Ein bos-
haftes Hohngelächter wider Chriſtus. Aber, was war’s,
was Ihm der bitterſte und grimmigſte Spott vorwerfen
konnte? Nichts, als Gottſeeligkeit und Tugend;
Nichts, als Religion und Menſchenliebe — Er ver-
traute auf Gott
— — und andern hat Er gehol-
fen.
Sie zeugen wider ſich ſelbſt, indem ſie wider Ihn
zeugen wollen. Sie ehren Ihn, indem ſie Ihn läſtern;
Sie erfüllen alte Weiſſagungen und beſtätigen dadurch
wider Abſicht und Willen, daß Er die Perſon ſey, die

ſie
K k 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p>
              <pb facs="#f0549" n="521[541]"/>
              <fw place="top" type="header">Verhöhnung Je&#x017F;u.</fw><lb/> <hi rendition="#fr">Linken. Die aber vorüber giengen, lä&#x017F;terten Ihn<lb/>
und &#x017F;chüttelten ihre Köpfe und &#x017F;prachen: Der<lb/>
du den Tempel Gottes zerbrich&#x017F;t, und baue&#x017F;t<lb/>
ihn in dreyen Tagen, hilf dir &#x017F;elber. Bi&#x017F;t du<lb/>
Gottes Sohn, &#x017F;o &#x017F;teig herab vom Kreuz. Des-<lb/>
gleichen auch die Hohenprie&#x017F;ter &#x017F;potteten &#x017F;ein,<lb/>
&#x017F;ammt den Schriftgelehrten und Aelte&#x017F;ten, und<lb/>
&#x017F;prachen: Andern hat Er geholfen, und kann<lb/>
Ihm &#x017F;elber nicht helfen. I&#x017F;t Er der König in<lb/>
I&#x017F;rael, &#x017F;o &#x017F;teige Er nun vom Kreuz; So wol-<lb/>
len wir Ihm glauben. Er hat Gott vertraut:<lb/>
Der erlö&#x017F;e Ihn nun, &#x017F;o Er Lu&#x017F;t hat. Denn Er<lb/>
hat ge&#x017F;agt: Ich bin Gottes Sohn. Desglei-<lb/>
chen &#x017F;chmäheten Ihn auch die Mörder, die mit<lb/>
Ihm gekreuzigt waren.</hi> </p><lb/>
            <p>Noch einmahl: Es war keine Schmach zu erden-<lb/>
ken, die dem Ehrwürdig&#x017F;ten nicht angethan ward. Von<lb/>
der hoch&#x017F;tolzen Prie&#x017F;ter&#x017F;chaft herab durch alle Cla&#x017F;&#x017F;en<lb/>
des Pöbels bis auf den einen verruchten Mörder &#x2014;<lb/>
war alles Ein Herz, Eine Seele, Ein Ge&#x017F;pött, Ein bos-<lb/>
haftes Hohngelächter wider Chri&#x017F;tus. Aber, was war&#x2019;s,<lb/>
was Ihm der bitter&#x017F;te und grimmig&#x017F;te Spott vorwerfen<lb/>
konnte? Nichts, als <hi rendition="#fr">Gott&#x017F;eeligkeit</hi> und <hi rendition="#fr">Tugend;</hi><lb/>
Nichts, als <hi rendition="#fr">Religion</hi> und <hi rendition="#fr">Men&#x017F;chenliebe &#x2014; Er ver-<lb/>
traute auf Gott</hi> &#x2014; &#x2014; und <hi rendition="#fr">andern hat Er gehol-<lb/>
fen.</hi> Sie zeugen wider &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t, indem &#x017F;ie wider Ihn<lb/>
zeugen wollen. Sie ehren Ihn, indem &#x017F;ie Ihn lä&#x017F;tern;<lb/>
Sie erfüllen alte Wei&#x017F;&#x017F;agungen und be&#x017F;tätigen dadurch<lb/>
wider Ab&#x017F;icht und Willen, daß Er die Per&#x017F;on &#x017F;ey, die<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">K k 5</fw><fw place="bottom" type="catch">&#x017F;ie</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[521[541]/0549] Verhöhnung Jeſu. Linken. Die aber vorüber giengen, läſterten Ihn und ſchüttelten ihre Köpfe und ſprachen: Der du den Tempel Gottes zerbrichſt, und baueſt ihn in dreyen Tagen, hilf dir ſelber. Biſt du Gottes Sohn, ſo ſteig herab vom Kreuz. Des- gleichen auch die Hohenprieſter ſpotteten ſein, ſammt den Schriftgelehrten und Aelteſten, und ſprachen: Andern hat Er geholfen, und kann Ihm ſelber nicht helfen. Iſt Er der König in Iſrael, ſo ſteige Er nun vom Kreuz; So wol- len wir Ihm glauben. Er hat Gott vertraut: Der erlöſe Ihn nun, ſo Er Luſt hat. Denn Er hat geſagt: Ich bin Gottes Sohn. Desglei- chen ſchmäheten Ihn auch die Mörder, die mit Ihm gekreuzigt waren. Noch einmahl: Es war keine Schmach zu erden- ken, die dem Ehrwürdigſten nicht angethan ward. Von der hochſtolzen Prieſterſchaft herab durch alle Claſſen des Pöbels bis auf den einen verruchten Mörder — war alles Ein Herz, Eine Seele, Ein Geſpött, Ein bos- haftes Hohngelächter wider Chriſtus. Aber, was war’s, was Ihm der bitterſte und grimmigſte Spott vorwerfen konnte? Nichts, als Gottſeeligkeit und Tugend; Nichts, als Religion und Menſchenliebe — Er ver- traute auf Gott — — und andern hat Er gehol- fen. Sie zeugen wider ſich ſelbſt, indem ſie wider Ihn zeugen wollen. Sie ehren Ihn, indem ſie Ihn läſtern; Sie erfüllen alte Weiſſagungen und beſtätigen dadurch wider Abſicht und Willen, daß Er die Perſon ſey, die ſie K k 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang: Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_betrachtungen01_1783
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_betrachtungen01_1783/549
Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783, S. 521[541]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_betrachtungen01_1783/549>, abgerufen am 24.11.2024.