trügliche Zeichen der Unverbesserlichkeit, wenn Jesus neben Barrabas verurtheilt, Barrabas neben Jesus losgesprochen wird -- Vergessenheit der Pflichten, der Tugenden, der Wahrheit, der Unschuld ist schon schlimm genug; Tugend und Laster, Wahrheit und Lüge, einen Freund und einen Feind des menschlichen Ge- schlechtes in eine Linie stellen, die Wahl von beyden frey lassen, ist noch zwanzig- oder hundertmahl schlimmer -- aber das Schlimmste, das, worüber sich nichts schlimmeres denken läßt, ist -- die neben das Laster gestellte Tugend verdammen; Das neben die Tugend ge- stellte Laster freysprechen. Das geschah auf die schänd- lichstmöglichste Weise auf und vor Gabbatha -- ge- schiehet aber, welches ich wohl zu merken bitte, täglich bey jeder Sünde, wie sie immer Namen haben mag -- Was ist Sünde? -- Schlimmes dem Guten, Lüge der Wahrheit, Tod dem Leben, Momente Jahrhunderten -- ein viehisches Vergnügen einem göttlichen und himmli- schen vorziehen; Das wählen, dessen Wahl früh oder späte gereuen wird; Das verwerfen, dessen Verwer- fung früh' oder späte das Herz zerschneiden wird. Wer einen schlechten Menschen einem guten, einen lügen- haften einem Wahrheitliebenden, einen Gottlosen einem Gottseeligen, einen Christusfeind einem Christusfreun- de vorzieht -- Er steht vor Gabbatha, und ruft mit dem Pöbel Israels -- Nicht Jesum, sondern den Barrabas laß uns ledig.
Aber was wir ja hier nicht übergehen sollen, ist das Weib des Pilatus -- Gott warnet -- warnet den,
der
Jeſus und Barrabas.
trügliche Zeichen der Unverbeſſerlichkeit, wenn Jeſus neben Barrabas verurtheilt, Barrabas neben Jeſus losgeſprochen wird — Vergeſſenheit der Pflichten, der Tugenden, der Wahrheit, der Unſchuld iſt ſchon ſchlimm genug; Tugend und Laſter, Wahrheit und Lüge, einen Freund und einen Feind des menſchlichen Ge- ſchlechtes in eine Linie ſtellen, die Wahl von beyden frey laſſen, iſt noch zwanzig- oder hundertmahl ſchlimmer — aber das Schlimmſte, das, worüber ſich nichts ſchlimmeres denken läßt, iſt — die neben das Laſter geſtellte Tugend verdammen; Das neben die Tugend ge- ſtellte Laſter freyſprechen. Das geſchah auf die ſchänd- lichſtmöglichſte Weiſe auf und vor Gabbatha — ge- ſchiehet aber, welches ich wohl zu merken bitte, täglich bey jeder Sünde, wie ſie immer Namen haben mag — Was iſt Sünde? — Schlimmes dem Guten, Lüge der Wahrheit, Tod dem Leben, Momente Jahrhunderten — ein viehiſches Vergnügen einem göttlichen und himmli- ſchen vorziehen; Das wählen, deſſen Wahl früh oder ſpäte gereuen wird; Das verwerfen, deſſen Verwer- fung früh’ oder ſpäte das Herz zerſchneiden wird. Wer einen ſchlechten Menſchen einem guten, einen lügen- haften einem Wahrheitliebenden, einen Gottloſen einem Gottſeeligen, einen Chriſtusfeind einem Chriſtusfreun- de vorzieht — Er ſteht vor Gabbatha, und ruft mit dem Pöbel Iſraels — Nicht Jeſum, ſondern den Barrabas laß uns ledig.
Aber was wir ja hier nicht übergehen ſollen, iſt das Weib des Pilatus — Gott warnet — warnet den,
der
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[509[529]/0537]
Jeſus und Barrabas.
trügliche Zeichen der Unverbeſſerlichkeit, wenn Jeſus
neben Barrabas verurtheilt, Barrabas neben Jeſus
losgeſprochen wird — Vergeſſenheit der Pflichten, der
Tugenden, der Wahrheit, der Unſchuld iſt ſchon ſchlimm
genug; Tugend und Laſter, Wahrheit und Lüge,
einen Freund und einen Feind des menſchlichen Ge-
ſchlechtes in eine Linie ſtellen, die Wahl von beyden frey
laſſen, iſt noch zwanzig- oder hundertmahl ſchlimmer
— aber das Schlimmſte, das, worüber ſich nichts
ſchlimmeres denken läßt, iſt — die neben das Laſter
geſtellte Tugend verdammen; Das neben die Tugend ge-
ſtellte Laſter freyſprechen. Das geſchah auf die ſchänd-
lichſtmöglichſte Weiſe auf und vor Gabbatha — ge-
ſchiehet aber, welches ich wohl zu merken bitte, täglich
bey jeder Sünde, wie ſie immer Namen haben mag —
Was iſt Sünde? — Schlimmes dem Guten, Lüge der
Wahrheit, Tod dem Leben, Momente Jahrhunderten —
ein viehiſches Vergnügen einem göttlichen und himmli-
ſchen vorziehen; Das wählen, deſſen Wahl früh oder
ſpäte gereuen wird; Das verwerfen, deſſen Verwer-
fung früh’ oder ſpäte das Herz zerſchneiden wird. Wer
einen ſchlechten Menſchen einem guten, einen lügen-
haften einem Wahrheitliebenden, einen Gottloſen einem
Gottſeeligen, einen Chriſtusfeind einem Chriſtusfreun-
de vorzieht — Er ſteht vor Gabbatha, und ruft mit
dem Pöbel Iſraels — Nicht Jeſum, ſondern den
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Aber was wir ja hier nicht übergehen ſollen, iſt
das Weib des Pilatus — Gott warnet — warnet den,
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