des Todes Jesu -- und es lag darin so viel, das zur Leidensgeschichte gehört, und unserm Herrn zur Ehre gereicht, daß sie von keinem Evangelisten übergan- gen wurde. Genug -- Sie läßt uns tief in das Herz und den Geist Jesu hineinblicken. Er sieht auf den Geist und die Seele der Handlung -- Nicht bloß auf den Nu- tzen, den eine Handlung auf das Wohl der Gesellschaft haben kann; Weniger auf diesen, als die Absicht, wor- aus die Handlung fliesset; als das Herz, die Empfin- dung, womit sie verrichtet wird. Was mit Liebe ge- than wird, das nimmt unser Herr mit Liebe auf. Die allernützlichste und glänzendste That ohne Liebe hat ih- ren Lohn dahin. Die stilleste, nutzloseste Liebesthat hat dort und hier grosse Belohnungen zu erwarten. -- Alle seine Haabe den Armen austheilen und seinen Leib brennen lassen -- Was kann man in den Augen der Welt mehr, und in den Augen Gottes weniger thun -- wenn dieß ohne Liebe geschiehet? Einen Trunk kaltes Wassers einem Jünger Christi mit Bruderliebe dargereicht -- wie wenig, wie nichts in den Augen der Welt, und wie theuer in den Augen dessen, der das Schärflein der Wittwe höher achtet, als alle Gaben der Reichen.
2. Was bekümmert ihr das Weib! Sie hat ein gutes Werk an Mir gethan. Die Gutherzig- keit kann nicht gutherziger sprechen. So gut kann kein guter Mensch von sich selbst denken, als Christus von dem Guten spricht. Was im tiefsten Grunde der Seele liegt, hebt Christus auf. Je tiefer es liegt, desto
bemerkter
Matthäus XXVI.
des Todes Jeſu — und es lag darin ſo viel, das zur Leidensgeſchichte gehört, und unſerm Herrn zur Ehre gereicht, daß ſie von keinem Evangeliſten übergan- gen wurde. Genug — Sie läßt uns tief in das Herz und den Geiſt Jeſu hineinblicken. Er ſieht auf den Geiſt und die Seele der Handlung — Nicht bloß auf den Nu- tzen, den eine Handlung auf das Wohl der Geſellſchaft haben kann; Weniger auf dieſen, als die Abſicht, wor- aus die Handlung flieſſet; als das Herz, die Empfin- dung, womit ſie verrichtet wird. Was mit Liebe ge- than wird, das nimmt unſer Herr mit Liebe auf. Die allernützlichſte und glänzendſte That ohne Liebe hat ih- ren Lohn dahin. Die ſtilleſte, nutzloſeſte Liebesthat hat dort und hier groſſe Belohnungen zu erwarten. — Alle ſeine Haabe den Armen austheilen und ſeinen Leib brennen laſſen — Was kann man in den Augen der Welt mehr, und in den Augen Gottes weniger thun — wenn dieß ohne Liebe geſchiehet? Einen Trunk kaltes Waſſers einem Jünger Chriſti mit Bruderliebe dargereicht — wie wenig, wie nichts in den Augen der Welt, und wie theuer in den Augen deſſen, der das Schärflein der Wittwe höher achtet, als alle Gaben der Reichen.
2. Was bekümmert ihr das Weib! Sie hat ein gutes Werk an Mir gethan. Die Gutherzig- keit kann nicht gutherziger ſprechen. So gut kann kein guter Menſch von ſich ſelbſt denken, als Chriſtus von dem Guten ſpricht. Was im tiefſten Grunde der Seele liegt, hebt Chriſtus auf. Je tiefer es liegt, deſto
bemerkter
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[442[462]/0470]
Matthäus XXVI.
des Todes Jeſu — und es lag darin ſo viel, das zur
Leidensgeſchichte gehört, und unſerm Herrn zur Ehre
gereicht, daß ſie von keinem Evangeliſten übergan-
gen wurde. Genug — Sie läßt uns tief in das Herz
und den Geiſt Jeſu hineinblicken. Er ſieht auf den Geiſt
und die Seele der Handlung — Nicht bloß auf den Nu-
tzen, den eine Handlung auf das Wohl der Geſellſchaft
haben kann; Weniger auf dieſen, als die Abſicht, wor-
aus die Handlung flieſſet; als das Herz, die Empfin-
dung, womit ſie verrichtet wird. Was mit Liebe ge-
than wird, das nimmt unſer Herr mit Liebe auf. Die
allernützlichſte und glänzendſte That ohne Liebe hat ih-
ren Lohn dahin. Die ſtilleſte, nutzloſeſte Liebesthat hat
dort und hier groſſe Belohnungen zu erwarten. — Alle
ſeine Haabe den Armen austheilen und ſeinen Leib
brennen laſſen — Was kann man in den Augen der
Welt mehr, und in den Augen Gottes weniger thun —
wenn dieß ohne Liebe geſchiehet? Einen Trunk kaltes
Waſſers einem Jünger Chriſti mit Bruderliebe
dargereicht — wie wenig, wie nichts in den Augen der
Welt, und wie theuer in den Augen deſſen, der das
Schärflein der Wittwe höher achtet, als alle
Gaben der Reichen.
2. Was bekümmert ihr das Weib! Sie hat
ein gutes Werk an Mir gethan. Die Gutherzig-
keit kann nicht gutherziger ſprechen. So gut kann kein
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Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783, S. 442[462]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_betrachtungen01_1783/470>, abgerufen am 25.11.2024.
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