Das historische Licht über diese Stellen giebt uns Josephus im fünften und sechsten Buche vom jüdischen Kriege. Nach unzähligen vorhergegangenen Unruhen, Verwirrungen, Elend und Jammer, womit das ganze Land wie überschwemmt war, belagerte im Jahr 70 der christlichen Zeitrechnung Titus, der Sohn des römischen Kaisers Vespasians, mit einem zahlreichen Krieges- heere die Stadt Jerusalem, eroberte und schleifte sie mit dem Tempel, ungeachtet des langen wütenden Wi- derstandes der Belagerten, die alle schonenden Anerbie- tungen Titus mit der unbegreiflichsten Verblendung ausschlugen, und ihn dadurch zu der Verwüstung nö- thigten, deren er immer so gern zuvorkommen wollte.
Erwartet, will Jesus sagen, erwartet keine Er- rettung mehr. Nun ihr Stadt und Tempel einmal be- lagert sehet. Verweilet keinen Augenblick länger in der Hoffnung, der Meßias, oder irgend ein anderer Be- freyer werde erscheinen. Nein -- es sind die Tage der Rache! Es muß, es wird alles erfüllet werden, was davon geschrieben ist. Die schleunigste Flucht ist das einzige Rettungsmittel. In jedem Momente Verzöge- rung ist Lebensgefahr.
Wehe den Schwangern und Säugenden! Ein Wort, für das ich dem Herrn mit Thränen des Dankes die Füße küssen mögte. Wie milde, wie zärt- lich, wie gerührt und wie rührend! Nicht kalt und hart blickt Er auf den Jammer des Gerichtes, der über Je- rusalem kommen sollte. Er nimmt Antheil am Leiden der Leidenden. Es sind Menschen, welche leiden --
und
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Unausbleibliche Zerſtörung Jeruſalems.
Das hiſtoriſche Licht über dieſe Stellen giebt uns Joſephus im fünften und ſechſten Buche vom jüdiſchen Kriege. Nach unzähligen vorhergegangenen Unruhen, Verwirrungen, Elend und Jammer, womit das ganze Land wie überſchwemmt war, belagerte im Jahr 70 der chriſtlichen Zeitrechnung Titus, der Sohn des römiſchen Kaiſers Veſpaſians, mit einem zahlreichen Krieges- heere die Stadt Jeruſalem, eroberte und ſchleifte ſie mit dem Tempel, ungeachtet des langen wütenden Wi- derſtandes der Belagerten, die alle ſchonenden Anerbie- tungen Titus mit der unbegreiflichſten Verblendung ausſchlugen, und ihn dadurch zu der Verwüſtung nö- thigten, deren er immer ſo gern zuvorkommen wollte.
Erwartet, will Jeſus ſagen, erwartet keine Er- rettung mehr. Nun ihr Stadt und Tempel einmal be- lagert ſehet. Verweilet keinen Augenblick länger in der Hoffnung, der Meßias, oder irgend ein anderer Be- freyer werde erſcheinen. Nein — es ſind die Tage der Rache! Es muß, es wird alles erfüllet werden, was davon geſchrieben iſt. Die ſchleunigſte Flucht iſt das einzige Rettungsmittel. In jedem Momente Verzöge- rung iſt Lebensgefahr.
Wehe den Schwangern und Säugenden! Ein Wort, für das ich dem Herrn mit Thränen des Dankes die Füße küſſen mögte. Wie milde, wie zärt- lich, wie gerührt und wie rührend! Nicht kalt und hart blickt Er auf den Jammer des Gerichtes, der über Je- ruſalem kommen ſollte. Er nimmt Antheil am Leiden der Leidenden. Es ſind Menſchen, welche leiden —
und
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Unausbleibliche Zerſtörung Jeruſalems.
Das hiſtoriſche Licht über dieſe Stellen giebt uns
Joſephus im fünften und ſechſten Buche vom jüdiſchen
Kriege. Nach unzähligen vorhergegangenen Unruhen,
Verwirrungen, Elend und Jammer, womit das ganze
Land wie überſchwemmt war, belagerte im Jahr 70 der
chriſtlichen Zeitrechnung Titus, der Sohn des römiſchen
Kaiſers Veſpaſians, mit einem zahlreichen Krieges-
heere die Stadt Jeruſalem, eroberte und ſchleifte ſie
mit dem Tempel, ungeachtet des langen wütenden Wi-
derſtandes der Belagerten, die alle ſchonenden Anerbie-
tungen Titus mit der unbegreiflichſten Verblendung
ausſchlugen, und ihn dadurch zu der Verwüſtung nö-
thigten, deren er immer ſo gern zuvorkommen wollte.
Erwartet, will Jeſus ſagen, erwartet keine Er-
rettung mehr. Nun ihr Stadt und Tempel einmal be-
lagert ſehet. Verweilet keinen Augenblick länger in der
Hoffnung, der Meßias, oder irgend ein anderer Be-
freyer werde erſcheinen. Nein — es ſind die Tage der
Rache! Es muß, es wird alles erfüllet werden, was
davon geſchrieben iſt. Die ſchleunigſte Flucht iſt das
einzige Rettungsmittel. In jedem Momente Verzöge-
rung iſt Lebensgefahr.
Wehe den Schwangern und Säugenden!
Ein Wort, für das ich dem Herrn mit Thränen des
Dankes die Füße küſſen mögte. Wie milde, wie zärt-
lich, wie gerührt und wie rührend! Nicht kalt und hart
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Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783, S. 393[413]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_betrachtungen01_1783/421>, abgerufen am 22.11.2024.
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