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Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783.

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Johannes der Täufer und Herodes.
bracht! Wie ein Blitz entfuhr das Wort -- "So laßt
ihn enthaupten!" -- Aber die That blieb! Die Folgen
und die Schrecken der vollendeten That lagerten sich
schwehr auf seine Seele.

Der einfachste Streich, der den Hals der Unschuld
und des Göttlichen traf, traf zehentausendmahl seine in-
nerste Seele, ohne sie zu tödten. Da er von den Wun-
derthaten Jesus hörte, so war Johannes sein erster
Gedanke. Das böse Gewissen schaft alles zu Schreck-
bildern. Er sahe Johannes, den er hatte enthaupten
lassen in Jesus von den Todten auferstanden. Er ahn-
dete und furchte, daß Gott den unschuldigen von ihm
ermordeten auferweckt, und mit den herrlichsten Zeichen
seines Wohlgefallens ausgerüstet habe. Der Ungläu-
bigste, dem das Gewissen schlägt wegen einer unwider-
ruflichen That -- wird leicht abergläubig, oder über-
gläubig. Herodes, wie sehr er mit sadduzäischem Geist
erfüllt gewesen seyn mag -- ward durch sein böses Ge-
wissen zu dem Wahne verleitet, die Seele Johannes
sey in Christus Leib übergegangen, oder der enthauptete
Johannes habe sich in den nun lebenden, wunderthä-
tigen Christus verwandelt. Wer der Vernunft nicht
Gehör geben will, wird leicht Sclave der Unvernunft;
Wer nicht an Gottes Wahrheit glauben will -- wird
leicht der Lüge und dem Wahne glauben. Ein gutes
Gewissen führt so leicht und gerade zur Wahrheit, als
leicht und gerade ein böses zum Irrthum und zur Lüge
führt. Tugend ist Mutter der Wahrheit und der rich-
tigen Gotteserkenntniß. Gotteserleuchtung ist ein Vor-

recht
N 4

Johannes der Täufer und Herodes.
bracht! Wie ein Blitz entfuhr das Wort — „So laßt
ihn enthaupten!„ — Aber die That blieb! Die Folgen
und die Schrecken der vollendeten That lagerten ſich
ſchwehr auf ſeine Seele.

Der einfachſte Streich, der den Hals der Unſchuld
und des Göttlichen traf, traf zehentauſendmahl ſeine in-
nerſte Seele, ohne ſie zu tödten. Da er von den Wun-
derthaten Jeſus hörte, ſo war Johannes ſein erſter
Gedanke. Das böſe Gewiſſen ſchaft alles zu Schreck-
bildern. Er ſahe Johannes, den er hatte enthaupten
laſſen in Jeſus von den Todten auferſtanden. Er ahn-
dete und furchte, daß Gott den unſchuldigen von ihm
ermordeten auferweckt, und mit den herrlichſten Zeichen
ſeines Wohlgefallens ausgerüſtet habe. Der Ungläu-
bigſte, dem das Gewiſſen ſchlägt wegen einer unwider-
ruflichen That — wird leicht abergläubig, oder über-
gläubig. Herodes, wie ſehr er mit ſadduzäiſchem Geiſt
erfüllt geweſen ſeyn mag — ward durch ſein böſes Ge-
wiſſen zu dem Wahne verleitet, die Seele Johannes
ſey in Chriſtus Leib übergegangen, oder der enthauptete
Johannes habe ſich in den nun lebenden, wunderthä-
tigen Chriſtus verwandelt. Wer der Vernunft nicht
Gehör geben will, wird leicht Sclave der Unvernunft;
Wer nicht an Gottes Wahrheit glauben will — wird
leicht der Lüge und dem Wahne glauben. Ein gutes
Gewiſſen führt ſo leicht und gerade zur Wahrheit, als
leicht und gerade ein böſes zum Irrthum und zur Lüge
führt. Tugend iſt Mutter der Wahrheit und der rich-
tigen Gotteserkenntniß. Gotteserleuchtung iſt ein Vor-

recht
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[199[219]/0227] Johannes der Täufer und Herodes. bracht! Wie ein Blitz entfuhr das Wort — „So laßt ihn enthaupten!„ — Aber die That blieb! Die Folgen und die Schrecken der vollendeten That lagerten ſich ſchwehr auf ſeine Seele. Der einfachſte Streich, der den Hals der Unſchuld und des Göttlichen traf, traf zehentauſendmahl ſeine in- nerſte Seele, ohne ſie zu tödten. Da er von den Wun- derthaten Jeſus hörte, ſo war Johannes ſein erſter Gedanke. Das böſe Gewiſſen ſchaft alles zu Schreck- bildern. Er ſahe Johannes, den er hatte enthaupten laſſen in Jeſus von den Todten auferſtanden. Er ahn- dete und furchte, daß Gott den unſchuldigen von ihm ermordeten auferweckt, und mit den herrlichſten Zeichen ſeines Wohlgefallens ausgerüſtet habe. Der Ungläu- bigſte, dem das Gewiſſen ſchlägt wegen einer unwider- ruflichen That — wird leicht abergläubig, oder über- gläubig. Herodes, wie ſehr er mit ſadduzäiſchem Geiſt erfüllt geweſen ſeyn mag — ward durch ſein böſes Ge- wiſſen zu dem Wahne verleitet, die Seele Johannes ſey in Chriſtus Leib übergegangen, oder der enthauptete Johannes habe ſich in den nun lebenden, wunderthä- tigen Chriſtus verwandelt. Wer der Vernunft nicht Gehör geben will, wird leicht Sclave der Unvernunft; Wer nicht an Gottes Wahrheit glauben will — wird leicht der Lüge und dem Wahne glauben. Ein gutes Gewiſſen führt ſo leicht und gerade zur Wahrheit, als leicht und gerade ein böſes zum Irrthum und zur Lüge führt. Tugend iſt Mutter der Wahrheit und der rich- tigen Gotteserkenntniß. Gotteserleuchtung iſt ein Vor- recht N 4

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783, S. 199[219]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_betrachtungen01_1783/227>, abgerufen am 21.11.2024.