die Schläuche zerreissen und der Most wird ver- schüttet, und die Schläuche verderben. Son- dern man fasst neuen Wein in neue Schläuche; So werden sie beyde mit einander behalten. Der Sinn dieser Worte wird wohl der seyn: "Ich will an &q;meinen Schülern nicht flicken; Nicht an den alten pha- &q;risäischen Grund, der noch von der Jüdischen Syna- &q;goge übrig seyn mag, meine neue göttliche Lehre anfli- &q;cken. Erst will ich neue Gefässe aus ihnen machen, eh' &q;ich den neuen Wein hineingiesse -- Erst sie bilden, fä- &q;hig machen, meine, verglichen mit den pharisäischen ganz &q;neue Grundsätze anzunehmen und aufzufassen." ---- Es ist nichts gemeineres und nichts gefährlicheres, als auf ein altes, verdorbenes, Sittenloses, Gefühlloses Herz einige Aeusserlichkeiten von Frömmigkeit gleichsam auf- kleistern -- Erst muß im Innersten ein Bedürfniß nach besserm Sinn, nach der ächten Christus-Gerech- tigkeit erregt werden; Dann ist die Seele jedes reinen Einflusses der Gottheit empfänglich. Durch bloß äus- serliche Uebungen, die man annimmt, sich allenfalls wie ein Kleid, wie einen Mantel an und umwerfen lässt, kann der Zweck Gottes mit dem Menschen nicht erreicht werden. Das Verderben ist zu groß, als daß es durch blosse Umschläge geheilet werden könne.
68. Anrühren Jesus.
Matth. IX. 21.
"Mögte ich nur Sein Kleid anrühren, so &q;würd ich gesund." -- "Und sie bathen Ihn,
&q;daß
Matthäus IX.
die Schläuche zerreiſſen und der Moſt wird ver- ſchüttet, und die Schläuche verderben. Son- dern man faſſt neuen Wein in neue Schläuche; So werden ſie beyde mit einander behalten. Der Sinn dieſer Worte wird wohl der ſeyn: „Ich will an &q;meinen Schülern nicht flicken; Nicht an den alten pha- &q;riſäiſchen Grund, der noch von der Jüdiſchen Syna- &q;goge übrig ſeyn mag, meine neue göttliche Lehre anfli- &q;cken. Erſt will ich neue Gefäſſe aus ihnen machen, eh’ &q;ich den neuen Wein hineingieſſe — Erſt ſie bilden, fä- &q;hig machen, meine, verglichen mit den phariſäiſchen ganz &q;neue Grundſätze anzunehmen und aufzufaſſen.„ —— Es iſt nichts gemeineres und nichts gefährlicheres, als auf ein altes, verdorbenes, Sittenloſes, Gefühlloſes Herz einige Aeuſſerlichkeiten von Frömmigkeit gleichſam auf- kleiſtern — Erſt muß im Innerſten ein Bedürfniß nach beſſerm Sinn, nach der ächten Chriſtus-Gerech- tigkeit erregt werden; Dann iſt die Seele jedes reinen Einfluſſes der Gottheit empfänglich. Durch bloß äuſ- ſerliche Uebungen, die man annimmt, ſich allenfalls wie ein Kleid, wie einen Mantel an und umwerfen läſſt, kann der Zweck Gottes mit dem Menſchen nicht erreicht werden. Das Verderben iſt zu groß, als daß es durch bloſſe Umſchläge geheilet werden könne.
68. Anrühren Jeſus.
Matth. IX. 21.
„Mögte ich nur Sein Kleid anrühren, ſo &q;würd ich geſund.„ — „Und ſie bathen Ihn,
&q;daß
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[106[126]/0134]
Matthäus IX.
die Schläuche zerreiſſen und der Moſt wird ver-
ſchüttet, und die Schläuche verderben. Son-
dern man faſſt neuen Wein in neue Schläuche;
So werden ſie beyde mit einander behalten. Der
Sinn dieſer Worte wird wohl der ſeyn: „Ich will an
&q;meinen Schülern nicht flicken; Nicht an den alten pha-
&q;riſäiſchen Grund, der noch von der Jüdiſchen Syna-
&q;goge übrig ſeyn mag, meine neue göttliche Lehre anfli-
&q;cken. Erſt will ich neue Gefäſſe aus ihnen machen, eh’
&q;ich den neuen Wein hineingieſſe — Erſt ſie bilden, fä-
&q;hig machen, meine, verglichen mit den phariſäiſchen ganz
&q;neue Grundſätze anzunehmen und aufzufaſſen.„ ——
Es iſt nichts gemeineres und nichts gefährlicheres, als
auf ein altes, verdorbenes, Sittenloſes, Gefühlloſes Herz
einige Aeuſſerlichkeiten von Frömmigkeit gleichſam auf-
kleiſtern — Erſt muß im Innerſten ein Bedürfniß
nach beſſerm Sinn, nach der ächten Chriſtus-Gerech-
tigkeit erregt werden; Dann iſt die Seele jedes reinen
Einfluſſes der Gottheit empfänglich. Durch bloß äuſ-
ſerliche Uebungen, die man annimmt, ſich allenfalls wie
ein Kleid, wie einen Mantel an und umwerfen läſſt,
kann der Zweck Gottes mit dem Menſchen nicht erreicht
werden. Das Verderben iſt zu groß, als daß es durch
bloſſe Umſchläge geheilet werden könne.
68.
Anrühren Jeſus.
„Mögte ich nur Sein Kleid anrühren, ſo
&q;würd ich geſund.„ — „Und ſie bathen Ihn,
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Lavater, Johann Caspar: Betrachtungen über die wichtigsten Stellen der Evangelien. Bd. 1: Matthäus und Markus. Dessau/Leipzig, 1783, S. 106[126]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_betrachtungen01_1783/134>, abgerufen am 21.11.2024.
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