Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 5. Leipzig, 1802.

Bild:
<< vorherige Seite

Unter diejenigen, mit welchen ich genauer umging,
seitdem ich verheyrathet war, gehört vorzüglich
Herr Stemmert. Dieser Mann war ehedem Fran-
ziskanermönch gewesen, hatte aber, theils aus bes-
serer Ueberzeugung, theils aber auch deswegen,
weil ihm sein eignes Fleisch und Blut sagte, es sey
besser, ein Hemd zu tragen, als einen wollenen Lap-
pen auf dem Leibe, besser im Bette zu schlafen, als
auf dem Strohsak zu lunzen, und des Nachts, wenn
andre ruhen, im Chor zu plärren, besser endlich,
mit einem hübschen Mädchen spazieren zu gehen,
als auf dem Termin herumzulatschen, und Butter,
Käse, Eier u. d. gl. zu betteln. Das alles über-
legte Herr Stemmert und verließ sein Kloster, und
that, me quidem judice, ganz recht daran, obgleich
ihn alle gute katholische Christen deßhalb tadeln
müssen. Mit seiner Apostasie vom Franziskaner-
orden verband er auch die Apostasie vom Römischen
Glauben, und handelte hierin wahrlich consequen-
ter, als jene Exmönche, welche zwar das Kloster
verlassen, und doch ächte katholische Christen blei-
ben wollen. In der römischen Religion ist alles
System, und alles hängt da, wie in einer Kette
zusammen, wer ein Gelenk dieser Kette auflöset,
trennt alles, und das ganze Gebäude fällt übern
Haufen. Die Kirche aber belegt den, der seinen
Orden verläßt, mit dem Anathema; wie kann abe

Unter diejenigen, mit welchen ich genauer umging,
ſeitdem ich verheyrathet war, gehoͤrt vorzuͤglich
Herr Stemmert. Dieſer Mann war ehedem Fran-
ziskanermoͤnch geweſen, hatte aber, theils aus beſ-
ſerer Ueberzeugung, theils aber auch deswegen,
weil ihm ſein eignes Fleiſch und Blut ſagte, es ſey
beſſer, ein Hemd zu tragen, als einen wollenen Lap-
pen auf dem Leibe, beſſer im Bette zu ſchlafen, als
auf dem Strohſak zu lunzen, und des Nachts, wenn
andre ruhen, im Chor zu plaͤrren, beſſer endlich,
mit einem huͤbſchen Maͤdchen ſpazieren zu gehen,
als auf dem Termin herumzulatſchen, und Butter,
Kaͤſe, Eier u. d. gl. zu betteln. Das alles uͤber-
legte Herr Stemmert und verließ ſein Kloſter, und
that, me quidem judice, ganz recht daran, obgleich
ihn alle gute katholiſche Chriſten deßhalb tadeln
muͤſſen. Mit ſeiner Apoſtaſie vom Franziskaner-
orden verband er auch die Apoſtaſie vom Roͤmiſchen
Glauben, und handelte hierin wahrlich conſequen-
ter, als jene Exmoͤnche, welche zwar das Kloſter
verlaſſen, und doch aͤchte katholiſche Chriſten blei-
ben wollen. In der roͤmiſchen Religion iſt alles
Syſtem, und alles haͤngt da, wie in einer Kette
zuſammen, wer ein Gelenk dieſer Kette aufloͤſet,
trennt alles, und das ganze Gebaͤude faͤllt uͤbern
Haufen. Die Kirche aber belegt den, der ſeinen
Orden verlaͤßt, mit dem Anathema; wie kann abe

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0092" n="84"/>
        <p>Unter diejenigen, mit welchen ich genauer umging,<lb/>
&#x017F;eitdem ich verheyrathet war, geho&#x0364;rt vorzu&#x0364;glich<lb/>
Herr Stemmert. Die&#x017F;er Mann war ehedem Fran-<lb/>
ziskanermo&#x0364;nch gewe&#x017F;en, hatte aber, theils aus be&#x017F;-<lb/>
&#x017F;erer Ueberzeugung, theils aber auch deswegen,<lb/>
weil ihm &#x017F;ein eignes Flei&#x017F;ch und Blut &#x017F;agte, es &#x017F;ey<lb/>
be&#x017F;&#x017F;er, ein Hemd zu tragen, als einen wollenen Lap-<lb/>
pen auf dem Leibe, be&#x017F;&#x017F;er im Bette zu &#x017F;chlafen, als<lb/>
auf dem Stroh&#x017F;ak zu lunzen, und des Nachts, wenn<lb/>
andre ruhen, im Chor zu pla&#x0364;rren, be&#x017F;&#x017F;er endlich,<lb/>
mit einem hu&#x0364;b&#x017F;chen Ma&#x0364;dchen &#x017F;pazieren zu gehen,<lb/>
als auf dem Termin herumzulat&#x017F;chen, und Butter,<lb/>
Ka&#x0364;&#x017F;e, Eier u. d. gl. zu betteln. Das alles u&#x0364;ber-<lb/>
legte Herr Stemmert und verließ &#x017F;ein Klo&#x017F;ter, und<lb/>
that, <hi rendition="#aq">me quidem judice,</hi> ganz recht daran, obgleich<lb/>
ihn alle gute katholi&#x017F;che Chri&#x017F;ten deßhalb tadeln<lb/>
mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en. Mit &#x017F;einer Apo&#x017F;ta&#x017F;ie vom Franziskaner-<lb/>
orden verband er auch die Apo&#x017F;ta&#x017F;ie vom Ro&#x0364;mi&#x017F;chen<lb/>
Glauben, und handelte hierin wahrlich con&#x017F;equen-<lb/>
ter, als jene Exmo&#x0364;nche, welche zwar das Klo&#x017F;ter<lb/>
verla&#x017F;&#x017F;en, und doch a&#x0364;chte katholi&#x017F;che Chri&#x017F;ten blei-<lb/>
ben wollen. In der ro&#x0364;mi&#x017F;chen Religion i&#x017F;t alles<lb/>
Sy&#x017F;tem, und alles ha&#x0364;ngt da, wie in einer Kette<lb/>
zu&#x017F;ammen, wer ein Gelenk die&#x017F;er Kette auflo&#x0364;&#x017F;et,<lb/>
trennt alles, und das ganze Geba&#x0364;ude fa&#x0364;llt u&#x0364;bern<lb/>
Haufen. Die Kirche aber belegt den, der &#x017F;einen<lb/>
Orden verla&#x0364;ßt, mit dem Anathema; wie kann abe<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[84/0092] Unter diejenigen, mit welchen ich genauer umging, ſeitdem ich verheyrathet war, gehoͤrt vorzuͤglich Herr Stemmert. Dieſer Mann war ehedem Fran- ziskanermoͤnch geweſen, hatte aber, theils aus beſ- ſerer Ueberzeugung, theils aber auch deswegen, weil ihm ſein eignes Fleiſch und Blut ſagte, es ſey beſſer, ein Hemd zu tragen, als einen wollenen Lap- pen auf dem Leibe, beſſer im Bette zu ſchlafen, als auf dem Strohſak zu lunzen, und des Nachts, wenn andre ruhen, im Chor zu plaͤrren, beſſer endlich, mit einem huͤbſchen Maͤdchen ſpazieren zu gehen, als auf dem Termin herumzulatſchen, und Butter, Kaͤſe, Eier u. d. gl. zu betteln. Das alles uͤber- legte Herr Stemmert und verließ ſein Kloſter, und that, me quidem judice, ganz recht daran, obgleich ihn alle gute katholiſche Chriſten deßhalb tadeln muͤſſen. Mit ſeiner Apoſtaſie vom Franziskaner- orden verband er auch die Apoſtaſie vom Roͤmiſchen Glauben, und handelte hierin wahrlich conſequen- ter, als jene Exmoͤnche, welche zwar das Kloſter verlaſſen, und doch aͤchte katholiſche Chriſten blei- ben wollen. In der roͤmiſchen Religion iſt alles Syſtem, und alles haͤngt da, wie in einer Kette zuſammen, wer ein Gelenk dieſer Kette aufloͤſet, trennt alles, und das ganze Gebaͤude faͤllt uͤbern Haufen. Die Kirche aber belegt den, der ſeinen Orden verlaͤßt, mit dem Anathema; wie kann abe

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben05_1802
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben05_1802/92
Zitationshilfe: Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 5. Leipzig, 1802, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben05_1802/92>, abgerufen am 28.04.2024.