reden, brachte Premßler so wie von ohngefähr das Gespräch auf den Selbstmord, oder wie man rich- tiger sagen sollte, die Selbsttödtung und bestritt mich immer, wenn ich meine Meynung vertheidigte, daß der Selbstmord in sehr vielen Fällen erlaubt sey, und in einigen sogar Pflicht werden könne. Einst warf er mir ein, daß die Verbreitung einer solchen Lehre sehr vielen Schaden stiften könne. Im ge- geringsten nicht, erwiederte ich: wer so weit kommt, daß er sein Leben hasset und sein Daseyn muthig verabscheut, der wird sich hinrichten, und allen theologischen und philosophischen So- phismen für das Gegentheil kein Gehör geben: wer aus Melancholie sich ermorden will, hört oh- nehin auf keine Gründe; und wer endlich sein Le- ben lieb hat, oder sonst den Tod fürchtet, tödtet sich nicht, und wenn Du ihm noch so stark bewei- sest, daß es erlaubt sey, oder daß er sich in seinem jetzigen Fall hinrichten müsse. Ueber solche Mate- rien disputirt man bloß, damit die Zeit hingehe, obgleich das Pro und das Contra weder nutzen noch schaden kann.
Spät im Herbst 1799 blieb ich Abends bis um eilf Uhr auf dem Rathskeller: Premßler war auch zugegen, und als ich weggehen wollte, bat er mich, ihm noch Gesellschaft zu leisten. Ich ließ mir leicht zureden, und so saßen wir dann beysammen
reden, brachte Premßler ſo wie von ohngefaͤhr das Geſpraͤch auf den Selbſtmord, oder wie man rich- tiger ſagen ſollte, die Selbſttoͤdtung und beſtritt mich immer, wenn ich meine Meynung vertheidigte, daß der Selbſtmord in ſehr vielen Faͤllen erlaubt ſey, und in einigen ſogar Pflicht werden koͤnne. Einſt warf er mir ein, daß die Verbreitung einer ſolchen Lehre ſehr vielen Schaden ſtiften koͤnne. Im ge- geringſten nicht, erwiederte ich: wer ſo weit kommt, daß er ſein Leben haſſet und ſein Daſeyn muthig verabſcheut, der wird ſich hinrichten, und allen theologiſchen und philoſophiſchen So- phismen fuͤr das Gegentheil kein Gehoͤr geben: wer aus Melancholie ſich ermorden will, hoͤrt oh- nehin auf keine Gruͤnde; und wer endlich ſein Le- ben lieb hat, oder ſonſt den Tod fuͤrchtet, toͤdtet ſich nicht, und wenn Du ihm noch ſo ſtark bewei- ſeſt, daß es erlaubt ſey, oder daß er ſich in ſeinem jetzigen Fall hinrichten muͤſſe. Ueber ſolche Mate- rien diſputirt man bloß, damit die Zeit hingehe, obgleich das Pro und das Contra weder nutzen noch ſchaden kann.
Spaͤt im Herbſt 1799 blieb ich Abends bis um eilf Uhr auf dem Rathskeller: Premßler war auch zugegen, und als ich weggehen wollte, bat er mich, ihm noch Geſellſchaft zu leiſten. Ich ließ mir leicht zureden, und ſo ſaßen wir dann beyſammen
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reden, brachte Premßler ſo wie von ohngefaͤhr das
Geſpraͤch auf den Selbſtmord, oder wie man rich-
tiger ſagen ſollte, die Selbſttoͤdtung und beſtritt mich
immer, wenn ich meine Meynung vertheidigte, daß
der Selbſtmord in ſehr vielen Faͤllen erlaubt ſey,
und in einigen ſogar Pflicht werden koͤnne. Einſt
warf er mir ein, daß die Verbreitung einer ſolchen
Lehre ſehr vielen Schaden ſtiften koͤnne. Im ge-
geringſten nicht, erwiederte ich: wer ſo weit
kommt, daß er ſein Leben haſſet und ſein Daſeyn
muthig verabſcheut, der wird ſich hinrichten,
und allen theologiſchen und philoſophiſchen So-
phismen fuͤr das Gegentheil kein Gehoͤr geben:
wer aus Melancholie ſich ermorden will, hoͤrt oh-
nehin auf keine Gruͤnde; und wer endlich ſein Le-
ben lieb hat, oder ſonſt den Tod fuͤrchtet, toͤdtet
ſich nicht, und wenn Du ihm noch ſo ſtark bewei-
ſeſt, daß es erlaubt ſey, oder daß er ſich in ſeinem
jetzigen Fall hinrichten muͤſſe. Ueber ſolche Mate-
rien diſputirt man bloß, damit die Zeit hingehe,
obgleich das Pro und das Contra weder nutzen noch
ſchaden kann.
Spaͤt im Herbſt 1799 blieb ich Abends bis um
eilf Uhr auf dem Rathskeller: Premßler war auch
zugegen, und als ich weggehen wollte, bat er mich,
ihm noch Geſellſchaft zu leiſten. Ich ließ mir
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Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 5. Leipzig, 1802, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben05_1802/175>, abgerufen am 16.02.2025.
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