Ich hatte, da ich von Herrn Bispink immer keine Antwort erhielt, an meine Mutter geschrie- ben, und diese um meinen Taufschein gebeten. Es war nämlich seit meinem Schreiben an Hn. Bis- pink auch den jenseits heinischen Pfälzern erlaubt worden, nach Hause zu gehen, weil man jene Pro- vinzen damals auch als der Republik eigen ansah. Es war mir sehr wahrscheinlich, daß meine Mut- ter bald antworten würde; und dann kam der Brief, wie alle Briefe an die Gefangnen und die Deserteurs in Dijon, an den Kommendanten Belin, und dann, was würde der ehrliche Mann gedacht ha- ben, oder vielmehr, was hätte er zu seinen Mit- beamten sagen sollen? Ich hätte ihn und mich kom- promittirt, und mich in keine geringe Verlegenheit versezt gefunden. Um also dem einen wie dem an- dern vorzubeugen, entschloß ich mich kurzweg, gleich den andern Tag abzufahren.
Wenn ich Geld übrig gehabt hätte, so hätte ich mir noch einige Kupferstiche und ein Buch ge- kauft, welches man in einem deutschen Buchladen schwerlich finden wird. Es ist das Vie privee de Marie Antoinette, femme du dernier tyran des Francois. Man hat zwar schon ein vie privee, wel- ches auch ins Deutsche übersezt und sogar in Wien gedruckt ist. Auch findet man in den Memoires der bekannten Madam Lamotte viel skandalöse Nach-
Ich hatte, da ich von Herrn Bispink immer keine Antwort erhielt, an meine Mutter geſchrie- ben, und dieſe um meinen Taufſchein gebeten. Es war naͤmlich ſeit meinem Schreiben an Hn. Bis- pink auch den jenſeits heiniſchen Pfaͤlzern erlaubt worden, nach Hauſe zu gehen, weil man jene Pro- vinzen damals auch als der Republik eigen anſah. Es war mir ſehr wahrſcheinlich, daß meine Mut- ter bald antworten wuͤrde; und dann kam der Brief, wie alle Briefe an die Gefangnen und die Deſerteurs in Dijon, an den Kommendanten Belin, und dann, was wuͤrde der ehrliche Mann gedacht ha- ben, oder vielmehr, was haͤtte er zu ſeinen Mit- beamten ſagen ſollen? Ich haͤtte ihn und mich kom- promittirt, und mich in keine geringe Verlegenheit verſezt gefunden. Um alſo dem einen wie dem an- dern vorzubeugen, entſchloß ich mich kurzweg, gleich den andern Tag abzufahren.
Wenn ich Geld uͤbrig gehabt haͤtte, ſo haͤtte ich mir noch einige Kupferſtiche und ein Buch ge- kauft, welches man in einem deutſchen Buchladen ſchwerlich finden wird. Es iſt das Vie privée de Marie Antoinette, femme du dernier tyran des François. Man hat zwar ſchon ein vie privée, wel- ches auch ins Deutſche uͤberſezt und ſogar in Wien gedruckt iſt. Auch findet man in den Memoires der bekannten Madam Lamotte viel ſkandaloͤſe Nach-
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Ich hatte, da ich von Herrn Bispink immer
keine Antwort erhielt, an meine Mutter geſchrie-
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war naͤmlich ſeit meinem Schreiben an Hn. Bis-
pink auch den jenſeits heiniſchen Pfaͤlzern erlaubt
worden, nach Hauſe zu gehen, weil man jene Pro-
vinzen damals auch als der Republik eigen anſah.
Es war mir ſehr wahrſcheinlich, daß meine Mut-
ter bald antworten wuͤrde; und dann kam der Brief,
wie alle Briefe an die Gefangnen und die Deſerteurs
in Dijon, an den Kommendanten Belin, und
dann, was wuͤrde der ehrliche Mann gedacht ha-
ben, oder vielmehr, was haͤtte er zu ſeinen Mit-
beamten ſagen ſollen? Ich haͤtte ihn und mich kom-
promittirt, und mich in keine geringe Verlegenheit
verſezt gefunden. Um alſo dem einen wie dem an-
dern vorzubeugen, entſchloß ich mich kurzweg,
gleich den andern Tag abzufahren.
Wenn ich Geld uͤbrig gehabt haͤtte, ſo haͤtte
ich mir noch einige Kupferſtiche und ein Buch ge-
kauft, welches man in einem deutſchen Buchladen
ſchwerlich finden wird. Es iſt das Vie privée de
Marie Antoinette, femme du dernier tyran des
François. Man hat zwar ſchon ein vie privée, wel-
ches auch ins Deutſche uͤberſezt und ſogar in Wien
gedruckt iſt. Auch findet man in den Memoires der
bekannten Madam Lamotte viel ſkandaloͤſe Nach-
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Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 4,2. Leipzig, 1797, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben0402_1797/144>, abgerufen am 21.11.2024.
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