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Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 4,2. Leipzig, 1797.

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cher scheint antirepublikanische Gesinnungen zu
hegen.

Verdächtig seyn, heißt aber in Frankreich
so viel, als für keinen rechtschaffenen Bürger an-
erkannt zu seyn. Dieser Verdacht schadet der oben
erklärten Gleichheit nur in sofern, daß ein verdäch-
tiger Mensch zu keinem Amte gelangen kann. Da
es aber in seiner Gewalt steht, den Verdacht von
sich abzulehnen, durch veränderte, beßre Lebens-
art, so ist es seine Schuld, daß er die Rechte ei-
nes Bürgers wirklich nicht alle genießt, die ein
Bürger sonst genießen soll: virtualiter, wie man in
der Schule spricht, genießt er sie immer.

Ich habe den Verdacht der Franzosen und das
Anathema der christlichen Kirche oft mit einander
verglichen, und viel Aehnlichkeit zwischen beyden
angetroffen. Wen ehemals so ein Bannfluch traf,
der lebte in der Gesellschaft, wie wenn er gar nicht
darin lebte: jeder floh ihn, jeder vermied ihn, wie
man einen Menschen vermeidet, der von einem tol-
len Hunde gebissen ist. So ists beynahe jezt auch
in Frankreich. Ein Töpfer zu Dijon, der verarmt
war, bediente sich seiner schönen Tochter, um von
jungen Wollüstlingen Geld zu erschnappen. Aber
dieser Töpfer wurde auch so allgemein verachtet,
daß kein Mensch mit ihm reden wollte. Kam er
ins Weinhaus, so stand jederman da auf, wohin

cher ſcheint antirepublikaniſche Geſinnungen zu
hegen.

Verdaͤchtig ſeyn, heißt aber in Frankreich
ſo viel, als fuͤr keinen rechtſchaffenen Buͤrger an-
erkannt zu ſeyn. Dieſer Verdacht ſchadet der oben
erklaͤrten Gleichheit nur in ſofern, daß ein verdaͤch-
tiger Menſch zu keinem Amte gelangen kann. Da
es aber in ſeiner Gewalt ſteht, den Verdacht von
ſich abzulehnen, durch veraͤnderte, beßre Lebens-
art, ſo iſt es ſeine Schuld, daß er die Rechte ei-
nes Buͤrgers wirklich nicht alle genießt, die ein
Buͤrger ſonſt genießen ſoll: virtualiter, wie man in
der Schule ſpricht, genießt er ſie immer.

Ich habe den Verdacht der Franzoſen und das
Anathema der chriſtlichen Kirche oft mit einander
verglichen, und viel Aehnlichkeit zwiſchen beyden
angetroffen. Wen ehemals ſo ein Bannfluch traf,
der lebte in der Geſellſchaft, wie wenn er gar nicht
darin lebte: jeder floh ihn, jeder vermied ihn, wie
man einen Menſchen vermeidet, der von einem tol-
len Hunde gebiſſen iſt. So iſts beynahe jezt auch
in Frankreich. Ein Toͤpfer zu Dijon, der verarmt
war, bediente ſich ſeiner ſchoͤnen Tochter, um von
jungen Wolluͤſtlingen Geld zu erſchnappen. Aber
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daß kein Menſch mit ihm reden wollte. Kam er
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[124/0128] cher ſcheint antirepublikaniſche Geſinnungen zu hegen. Verdaͤchtig ſeyn, heißt aber in Frankreich ſo viel, als fuͤr keinen rechtſchaffenen Buͤrger an- erkannt zu ſeyn. Dieſer Verdacht ſchadet der oben erklaͤrten Gleichheit nur in ſofern, daß ein verdaͤch- tiger Menſch zu keinem Amte gelangen kann. Da es aber in ſeiner Gewalt ſteht, den Verdacht von ſich abzulehnen, durch veraͤnderte, beßre Lebens- art, ſo iſt es ſeine Schuld, daß er die Rechte ei- nes Buͤrgers wirklich nicht alle genießt, die ein Buͤrger ſonſt genießen ſoll: virtualiter, wie man in der Schule ſpricht, genießt er ſie immer. Ich habe den Verdacht der Franzoſen und das Anathema der chriſtlichen Kirche oft mit einander verglichen, und viel Aehnlichkeit zwiſchen beyden angetroffen. Wen ehemals ſo ein Bannfluch traf, der lebte in der Geſellſchaft, wie wenn er gar nicht darin lebte: jeder floh ihn, jeder vermied ihn, wie man einen Menſchen vermeidet, der von einem tol- len Hunde gebiſſen iſt. So iſts beynahe jezt auch in Frankreich. Ein Toͤpfer zu Dijon, der verarmt war, bediente ſich ſeiner ſchoͤnen Tochter, um von jungen Wolluͤſtlingen Geld zu erſchnappen. Aber dieſer Toͤpfer wurde auch ſo allgemein verachtet, daß kein Menſch mit ihm reden wollte. Kam er ins Weinhaus, ſo ſtand jederman da auf, wohin

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Zitationshilfe: Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 4,2. Leipzig, 1797, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben0402_1797/128>, abgerufen am 17.05.2024.