Mir war übrigens das Ding nicht zuwider: denn wer mich kennt, der weiß, daß ich die soge- nannte feine Lebensart nimmer gelernt habe, und daß ich jeden Augenblick gegen die Regeln der Eti- kette verstoße. Eben deswegen bin ich auch alle- mal wie auf der Folter, wenn ich in einer Gesell- schaft seyn muß, wo Herren und Damen von Eti- kette sind. Doch, ich darf mich nicht zur Regel machen, und wünschte selbst, daß ich in diesem Stücke anders wäre; aber was ist zu thun! natu- ram expellas furca! -- Genug, zur Ehre unsrer Komplimentmacher, Damen, Herren, Mosjehs, Mamsellen etc. muß und will ich gern bekennen, daß die Franzosen, blos aus übel verstandenem und in den Terrorismus verschobnen Freyheitssy- stem ihre Komplimente, und Artigkeiten geändert haben. Der Oberkrankenwärter Fraipon sprach einmal mit mir über diesen Punkt, und gestand: daß die Franzosen weit mehr Mühe gehabt hätten, ihre ungenirte Artigkeiten und ihr verbindliches Geschwätz abzulegen, als ihre Religion. Es hat, sagte er, gewaltig Mühe gekostet, unsre Leute zu gewöhnen, so mit einander umzugehen, wie die Bauren und die Hirten in der Schweiz: lieber hät- ten unsre Muskadins den lieben Gott gelästert, als ein Frauenzimmer ohne Schmeicheley vorbey- gelassen. Aber es mußte einmal seyn! Wer
Mir war uͤbrigens das Ding nicht zuwider: denn wer mich kennt, der weiß, daß ich die ſoge- nannte feine Lebensart nimmer gelernt habe, und daß ich jeden Augenblick gegen die Regeln der Eti- kette verſtoße. Eben deswegen bin ich auch alle- mal wie auf der Folter, wenn ich in einer Geſell- ſchaft ſeyn muß, wo Herren und Damen von Eti- kette ſind. Doch, ich darf mich nicht zur Regel machen, und wuͤnſchte ſelbſt, daß ich in dieſem Stuͤcke anders waͤre; aber was iſt zu thun! natu- ram expellas furca! — Genug, zur Ehre unſrer Komplimentmacher, Damen, Herren, Mosjehs, Mamſellen etc. muß und will ich gern bekennen, daß die Franzoſen, blos aus uͤbel verſtandenem und in den Terrorismus verſchobnen Freyheitsſy- ſtem ihre Komplimente, und Artigkeiten geaͤndert haben. Der Oberkrankenwaͤrter Fraipon ſprach einmal mit mir uͤber dieſen Punkt, und geſtand: daß die Franzoſen weit mehr Muͤhe gehabt haͤtten, ihre ungenirte Artigkeiten und ihr verbindliches Geſchwaͤtz abzulegen, als ihre Religion. Es hat, ſagte er, gewaltig Muͤhe gekoſtet, unſre Leute zu gewoͤhnen, ſo mit einander umzugehen, wie die Bauren und die Hirten in der Schweiz: lieber haͤt- ten unſre Muskadins den lieben Gott gelaͤſtert, als ein Frauenzimmer ohne Schmeicheley vorbey- gelaſſen. Aber es mußte einmal ſeyn! Wer
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Mir war uͤbrigens das Ding nicht zuwider:
denn wer mich kennt, der weiß, daß ich die ſoge-
nannte feine Lebensart nimmer gelernt habe, und
daß ich jeden Augenblick gegen die Regeln der Eti-
kette verſtoße. Eben deswegen bin ich auch alle-
mal wie auf der Folter, wenn ich in einer Geſell-
ſchaft ſeyn muß, wo Herren und Damen von Eti-
kette ſind. Doch, ich darf mich nicht zur Regel
machen, und wuͤnſchte ſelbſt, daß ich in dieſem
Stuͤcke anders waͤre; aber was iſt zu thun! natu-
ram expellas furca! — Genug, zur Ehre unſrer
Komplimentmacher, Damen, Herren, Mosjehs,
Mamſellen etc. muß und will ich gern bekennen,
daß die Franzoſen, blos aus uͤbel verſtandenem
und in den Terrorismus verſchobnen Freyheitsſy-
ſtem ihre Komplimente, und Artigkeiten geaͤndert
haben. Der Oberkrankenwaͤrter Fraipon ſprach
einmal mit mir uͤber dieſen Punkt, und geſtand:
daß die Franzoſen weit mehr Muͤhe gehabt haͤtten,
ihre ungenirte Artigkeiten und ihr verbindliches
Geſchwaͤtz abzulegen, als ihre Religion. Es hat,
ſagte er, gewaltig Muͤhe gekoſtet, unſre Leute zu
gewoͤhnen, ſo mit einander umzugehen, wie die
Bauren und die Hirten in der Schweiz: lieber haͤt-
ten unſre Muskadins den lieben Gott gelaͤſtert,
als ein Frauenzimmer ohne Schmeicheley vorbey-
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Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 4,2. Leipzig, 1797, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben0402_1797/105>, abgerufen am 16.02.2025.
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